„Wiederkehr“: Ein Film zum 100. Geburtstag von Johannes Bobrowski

Wind weht oft in diesem Film. Er ist zu hören als ein Streichen über die Gräser, ein Zerren an den Zweigen der Sträucher. Auch das Bewegen der Wolkenschatten aus dem weiten Himmel ist sein Werk. Vor allem und immer wieder ist der Wind zu sehen im Kräuseln, Schwingen und Schwappen des Wassers. Die Kamera bleibt an ihrem Platz und zeigt mit dem Wirken des Windes das Vergehen der Zeit. Solche Naturaufnahmen an der Memel und ihrem Nebenfluss, der Jura, am Berg Rombinus und in den Wiesen zwischen den Dörfern in der litauisch-russischen Grenzregion strukturieren den Film „Wiederkehr“.

Volker Koepp, 1944 in Stettin geboren, einer der bedeutendsten deutschen Dokumentarfilmer, ist zurückgekommen in diese Gegend. 1972 hatte er hier „Grüße aus Sarmatien“ gedreht, inspiriert durch die Gedichte Johannes Bobrowskis. Aufnahmen aus diesem Film hat er nun auch in sein neues Werk eingebaut. Schwarz-weiß sind sie, doch die Natur zeigte sich damals schon so eigen, so weit, so tonangebend. „Kalte Heimat“ (1994) und „In Sarmatien“ (2013) entstanden ebenfalls dort. Der Titel seines neuesten Films bezieht sich also auf den Regisseur – und „Wiederkehr“ heißt auch ein Gedicht von Johannes Bobrowski; zu dessen 100. Geburtstag der Film im Auftrag des RBB entstand. Am Mittwoch wurde er in der Akademie der Künste voraufgeführt.

Zeit vergeht: Anfangs lässt der Regisseur einen 85 Jahre alten Bauern vor seinem Holzhaus zwischen seinen Ziegen vom schweren Leben sprechen. Ein anderer Alter steht auf einem Steg im Memeldelta mit Fernglas um den Hals und weist in verschiedene Richtungen, nach Klaipeda, nach Kaliningrad. Am Himmel entdeckt er erst einen Seeadler, dann dessen winziges Gegenstück, ein Wintergoldhähnchen. Er spricht deutsch, als würde er die Sprache selten benutzen. Die Kamera zeigt nicht die Vögel, sondern die Freude im zerfurchten Gesicht.

Nach und nach kommen jüngere Leute ins Bild. So erzählt eine junge Mitarbeiterin des Goethe-Instituts von Kaliningrad die Geschichte ihrer Familie; ihre Eltern kamen als Spätaussiedler nach Deutschland. Nun ist sie selbst wieder im Osten, in einer Gegend, wo sich die Grenzen mehrfach geändert haben.

Während Volker Koepp bisher die Landschaft und Tradition erkundete, die Bobrowskis Lyrik und Prosa grundieren, beobachtet er dieses Mal, wie sich die Menschen der Region des Dichters bewusst erweisen. An seinem Geburtshaus in Tilsit, dem heutigen Sowjetsk, erinnert ein Schild an ihn. Im Museum für Stadtgeschichte zeigt die Chefin Tafeln einer Bobrowski-Ausstellung und erzählt, dass sie vor zwanzig Jahren angefangen habe, Bobrowski zu lesen und seither nicht mehr aufgehört habe: „Ich möchte immer tiefer gehen.“

In Vilkyškiai, unter dem deutschen Namen Willkischken Handlungsort des Romans „Litauische Claviere“, erzählt der deutsche Orgelbauer Jörg Naß zunächst von Bobrowskis Liebe zur Musik, wie diese seinen Sprachfluss rhythmisierte. Dann führt er in das Arbeitszimmer des Schriftstellers. Alles ist da: sein Schreibtisch, das Clavichord, seine Liege, sogar die dicke weiße Strickjacke, die Johannes Bobrowski auf vielen Fotos trägt. Als im Jahr 2011 nach dem Tod seiner Witwe die Stadt Berlin nicht willens und die Johannes-Bobrowski-Gesellschaft nicht in der Lage war, die Wohnung in Friedrichshagen als Museum zu halten, packten Jörg Naß und andere Enthusiasten mit der Unterstützung der Bobrowski-Söhne die Zimmereinrichtung in Berlin zusammen und bauten sie originalgetreu im Gemeindezentrum der evangelischen Kirche von Vilkyškiai wieder auf.

Eine Litauerin, um die dreißig, erzählt, dass oft Schulklassen kämen, um sich mit dem Dichter und seinem Werk zu beschäftigen. Schließlich ist nicht nur die anliegende Straße, sondern auch die örtliche Mittelschule nach ihm benannt. Auch das ist eine Wiederkehr. Eine versöhnliche Stimmung prägt den Film: Im sagenhaften Sarmatien hat die Landschaft ihren alten Reiz behalten, und junge Menschen entdecken Johannes Bobrowski neu.

Wiederkehr Ein Film von Volker Koepp, Di, 11. 4., 22.45 Uhr, RBB Fernsehen