Wir kuscheln in einer politischen Welt: Der queere Teddy Award auf der Berlinale
Er ist wohl der älteste und wichtigste queere Filmpreis der Welt: der Teddy Award, der auf der Berlinale verliehen wird. Wie war es 2023 an der Volksbühne?

Klar, dass man nicht einfach so tun kann oder will, als wäre nichts gewesen: Seit vielen Jahren wird der Teddy Award am Vorabend zur großen Bären-Gala auf der Berlinale verliehen – doch diesmal ist das eben der 24. Februar, der Jahrestag der erneuten russischen Invasion in der Ukraine. Noch bevor die Teddy-Gala eigentlich beginnt, rollen Aktivisten ein blau-gelbes Banner aus, das zur Unterstützung der Ukraine gemahnt. Und noch bevor im rosafarbenen Anzug Moderator Brix Schaumburg (Deutschlands erster geouteter Trans-Schauspieler) die Bühne in der Volksbühne betritt, läuft auf der Leinwand der berühmte Schluss-Monolog aus Charlie Chaplins „Der große Diktator“ von 1940, in dem Chaplin eindringlich für Demokratie, Frieden und Menschlichkeit plädiert.
Das wird dann auch die Stimmung dieses Abends mitbestimmen: Es gab schon heiterere Teddy-Galas in den letzten Jahren. Diese ist vom Grundton her eher bedächtig, dabei aber trotzdem erbaulich. Auch wenn der Berliner Soul-Sänger Lie Ning (dessen Debüt-LP Mitte April erscheint) sein herzzerreißendes „Utopia“ singt – und wenn die Berliner Sängerin Luna am Klavier ihre Ballade „Blau“ anstimmt („Klassenkameraden, sie alle stellen Fragen / ‚Wieso bist du anders?‘ Ey, wieso bin ich anders?“), um von dort aus zu Klangteppich-Akkorden überzugehen, auf dem Aktivistinnen ihre Solidarität mit der Revolution im Iran bekräftigen.

Ist diese politische Attitüde aufgesetztes Pflichtprogramm? Nein, sie passt natürlich hervorragend zum Teddy Award, der in seinen nunmehr 37 Jahren immer auch einen starken gesellschaftspolitischen Anspruch hatte, im Namen der Marginalisierten: queeren Geschichten in einem glamourösen Rahmen Aufmerksamkeit zu verschaffen. Als Tilda Swinton, Pedro Almodóvar oder Gus Van Sant vor vielen Jahren ihre Teddy-Trophäen aus Berlin mitnahmen, waren sie längst noch nicht die Stars, die sie heute sind – sondern Underdogs im Underground-Kino.
Die stärksten Momente des Abends sind die, in denen die Preisträger sich nicht mehr halten können vor Freude. Nach Worten ringen. Und dann kein Ende ihrer Dankesrede finden. Man spürt: Das hat eine andere Dringlichkeit als bei Hollywood-Celebritys, die ihren dritten Oscar abstauben. Die Produktionen stammen längst nicht nur aus Nordamerika und Europa, sondern auch aus Gesellschaften und Ländern, in denen Queerness (noch) stärker kriminalisiert wird als im globalen Nordwesten. Darauf hatte sicher auch die sehr divers besetzte Jury ein Auge, die sich zusammensetzte aus Alfonso F. Escadón, Darunee Terdtoontaveedej, Melanie Iredale, Sasha Prokopenko, Tom Oyer und Xena Scullard.
Eine Woche lang haben sie sich drei Dutzend Filme angeschaut. Und sich dann für diese entschieden: Der Teddy für den besten Spielfilm geht an „All the Colours of the World Are Between Black and White“ von Babatunde Apalowo – die Liebesgeschichte zweier Männer in Nigeria. „In einem feindseligen sozialen und politischen Umfeld, in dem die Überbleibsel der Kolonialgesetze Homosexualität kriminalisieren und darauf abzielen, jede Art von Queerness zu verschlucken“, heißt es in der Begründung der Jury, „zeigt dieser bescheidene und fesselnde Film die Kraft des Mutes, den Mut der Geschichten, den Mut der Figuren, den Mut der Crew, diesen Film zu machen.“
Der Teddy für den besten Dokumentarfilm geht an „Orlando, ma biographie politique“ des Schriftstellers, der mit „Orlando“ überhaupt erst seinen ersten Film vorlegte. Inspiriert von Virginia Woolfs gleichnamigem Roman und seiner genderfluiden Hauptfigur (und sicher auch von der Spielfilm-Adaption von 1992 mit Tilda Swinton), porträtiert der Film Dutzende nicht-binäre Orlandos dieser Welt, seien sie nun acht oder siebzig Jahre alt.
Den Preis für den besten Kurzfilm nehmen Matthew Thorne und Derik Lynch mit nach Hause, für „Marungka Tjalatjunu“. Ein Film aus der indigenen Queer-Community Australiens. „Ein Film, in dem die Wunden generationenübergreifender Traumata durch die Medizin der Gemeinschaft, der Akzeptanz und der Eigenartigkeit der indigenen Spiritualität geheilt werden“, so die Teddy-Jury. Der Jury Award der Teddys wiederum geht an Sacha Polak für ihren Film „Silver Haze“ – die Geschichte einer jungen Frau, die nach einem Brandanschlag, den sie überlebt hat, Vergeltung und eine Lösung sucht und dabei Liebe, eine auserwählte Familie und Akzeptanz findet. „Was diesen Film als sozialrealistisches Drama auszeichnet“ so die Jury, „ist die nur allzu seltene und authentische Darstellung einer lesbischen Geschichte im England der Arbeiterklasse.“
Ein gesellschaftspolitischer Anspruch wurde bei allen Entscheidungen der Teddy-Jury deutlich. Ganz besonders beim Spezialpreis: Der geht in diesem Jahr an die beiden Ukrainer Andriy Khalpakhchi und Bohdan Zhuk, die im Juni ein queeres Filmfestival in Kiew planen – aufbauend auf ihrer Arbeit in der queeren „Sunny Bunny“-Filmreihe beim Molodist-Filmfestival, die es dort seit 2001 bereits gibt. Wobei die Zusammenarbeit mit dem Preisträger Andriy Khalpakhchi, wie Laudator Wieland Speck (der Teddy-Gründer, den sie hier liebevoll „Daddy of the Teddy“ nennen) betont, noch viel weiter zurückreiche: Schon in den 1980er-Jahren hätten die Kontakte zwischen Kiew und der (traditionell besonders queeren) Berlinale-Sektion Panorama bestanden, aus der auch der Teddy Award hervorging.
Ein besonders schönes Detail der Teddy-Gala 2023: Wenn die nominierten Filme auf der Leinwand gezeigt werden, läuft dort nicht der Original-Ton, sondern die Pianistin Amy Protscher „does her magic“, wie Moderator Brix Schaumburg es nennt: Sie spielt live am Klavier einen improvisierten Soundtrack, der die Filme klanglich zusammenhält, aber jedem dabei doch auch seine Eigenheiten lässt. Ein musikalisches Detail, das für den Community-Aspekt des Preises steht.
Nach zweieinhalb Stunden Gala werden in der Volksbühne noch auf allen Etagen die Tanzböden eröffnet. Viele, die keine Tickets mehr für die Gala selbst bekommen haben, kommen auch jetzt erst in der Volksbühne an. Das Gefühl, das bleibt: Teddys sind von Haus aus kuschelig. Aber wir kuscheln und wir tanzen eben doch in einer politischen Welt.