Wlada Kolosowas „Der Hausmann“: Wie ein Roman die Liebes- zur Klassenfrage macht

Wlada Kolosowa erzählt in ihrem Berlin-Roman „Der Hausmann“ über Männer, Frauen, Beziehungen und Klassenkampf. Und Omas, die im Rollator Drogen verticken.

Wlada Kolosowa: der ganz normale Irrsinn einer Großstadt.
Wlada Kolosowa: der ganz normale Irrsinn einer Großstadt.Mario Heller

Schließlich wird das Leben dann doch noch aufregend. Thea und Tim schlidderten schon in die Ödnis einer sich verläppernden Beziehung. Ganz allmählich, denn noch schien alles gut zu sein, hatten sie mehr als zweimal Sex in der Woche, wie Tim erleichtert feststellte. Aber ihre Liebe war längst auf Abwegen. Und dann kommt der Schlag ins Gesicht: Vor der Wohnungstür stehen bärtige Männer und schlagen einfach zu.

Tim geht zu Boden. Zu Thea, die jeden Tag früh raus muss und deswegen nicht zu Hause ist, sagt er kein Wort. Ab diesem Punkt hat „Der Hausmann“, so der Titel des neuen Romans von Wlada Kolosowa, eine Fragestellung: Woher kommt diese plötzliche Gewalt? In flott erzählten, bisweilen ins Groteske, aber jederzeit Realistische gesteigerten Episoden pirschen wir uns an die überraschende und vielschichtige Antwort heran.

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Leykam Verlag
Das Buch
Wlada Kolosowa, Raúl Soria: Der Hausmann. Roman mit Graphic Novel.
Leykam Verlag, Wien 2022.
320 Seiten, 24,50 Euro.

Berlin-Neukölln: das Klischee, der ganz normale Irrsinn

Auf diese Weise lernen wir allmählich eine Hausgemeinschaft in Berlin-Neukölln kennen. Außerhalb des S-Bahn-Rings, wie uns erklärt wird, also dort, wo Abgehängte und Gestrandete wohnen. Das, verrät der Roman, ist „Triple-A“: Ausländer, Arbeitslosigkeit, Armut. Zigarettenkippen und anderer Müll im Treppenhaus, zwielichtige Gestalten im Hinterhof, Kinder, Drogen – der ganz normale Irrsinn einer Großstadt.

Und, ein Klischee: Tim und Thea sind ein Hipster-Paar, er ein Comiczeichner, sie Influencerin. Die beiden haben kaum Geld. Irgendwann wurde ihnen die günstige Wohnung im trendig-schicken Kreuzberg gekündigt. Also gings nach Neukölln. Tim kommt aus kleinen Verhältnissen, seine Mutter arbeitete als Putzfrau. Jetzt putzt er das vermüllte Treppenhaus – und der verwöhnten Thea hinterher.

Sie ist Tochter aus gutem Hause, Berlin-Dahlem, und von einer aufreizenden Sorglosigkeit: „Sie hatte so viel Hunger nach Leben, dass banale Details sie nicht weiter beschäftigten.“ Tim geht herkunftsbedingt jeder Leichtsinn ab, und seine prekäre Künstlerexistenz fordert ihn schon zum Äußersten. Mehr geht nicht. Als Thea dann auch noch in einem Start-up für veganes Hundefutter zu arbeiten beginnt, entfremdet sich das Paar zusehends.

Das Buch mischt hier einiges kapitalismuskritisches Pathos in die Geschichte. Theas neuer Job überfordert nicht nur sie, deren sorglose Lebhaftigkeit zur überdrehten, dauergestressten Schlaflosigkeit wird, sondern entleert auch die Beziehung zu Tim. Es saugt sie regelrecht aus, Kolosowa beschwört die weit ins Private reichende, vampireske Macht dieser nur scheinbar harmlos-unbekümmerten Start-up-Seligkeit.

Tim kann sich den selbstgefährdenden Aktionismus gar nicht leisten. Thea wiederum hat reiche Eltern, auf die sie sich im Falle des Scheiterns einfach verlässt. Und so wird die Liebes- zur Klassenfrage – und die Beziehung muss scheitern. Erste Ernüchterung, holzschnittartig formuliert: Gegen die sozioökonomischen Gewalten kommt auf Dauer keine Liebe an. Aber das ist nur ein Strang in Kolosowas Roman.

So freundet sich „Hausmann“ Tim mit Maxim an, dem jungen Kriegsflüchtling aus der Ostukraine, und bringt ihm Deutsch bei. Tim lernt zudem den ebenfalls putzfreudigen Hausdrachen kennen, die 80-jährige Frau Birkenberg, die sich insgeheim als Influencerin (Seniorenspartipps) und Drogenkurierin (mit Rollator) versucht – und repariert der Frau vollkommen arglos den Computer.

Geht es hier um den Klassismus in der Hipster-Szene?

Ihre Geschichte schmückt Kolosowa mit vielen genauen Beobachtungen, mit Wortwitz und Situationskomik. Zerstreut sich dabei allerdings in allzu viele Richtungen. Vielleicht wollte die 35-jährige, in St. Petersburg geborene Autorin etwas zu viel: Warum muss Maxim aus der Ukraine geflohen sein? Warum muss Oma Birkenberg im Darknet surfen? Warum muss Thea sich für veganes Hundefutter verdingen?

Kolosowa bietet hier ein irres Diskurs-Potpourri. Dass sich ihr Buch auch optisch, also mit verschiedenen Seitengestaltungen, den jeweiligen Erzählsträngen anpasst und sogar einen – von Raúl Soria wunderbar piktogrammartig gezeichneten – Comic bietet, schafft sehr unterschiedliche Leseanreize und damit weitere Kurzweil. Nur zu gern würde man mehr von solchen hybriden, eben mehrformatigen Romanen lesen.

Doch offenbar will Kolosowa die Geschichte mit einem sehr heterogenen Spektrum nach allen Seiten anschlussfähig machen. Oder sie hat der Liebesgeschichte von Tim und Thea einfach nicht getraut. Und so geht es um den Klassismus in der Hipster-Szene. Um den russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine, um Einsamkeit im Alter, aber auch um Gentrifizierung und Selbstausbeutung in der New Economy.

All das überlädt die ohnehin etwas richtungslose und zerfaserte Geschichte, auch wenn sie bis zur letzten Seite unterhaltsam bleibt.