Zum 70. Geburtstag: Jimmy Page, Halbgott der Doppelhalsgitarre

Der zwanzigjährige Gitarrist und ehemalige Kunststudent Jimmy Page war ein vernünftiger junger Engländer. Als die Londoner Bluesrock-Gruppe The Yardbirds 1964 um ihn buhlte, lehnte er ab. Als viel gefragter Session-Gitarrist hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits ein beachtliches Auskommen, das er nicht aufs Spiel setzen wollte. Vor allem aber fürchtete er, das Tourneeleben werde seiner Gesundheit schaden!

Doch jeder Rock’n’Roller beginnt einmal als unschuldiger Jüngling, und nachdem Page den mittlerweile erfolgreichen Yardbirds 1966 doch noch beigetreten war, gab er sich dann während der Siebzigerjahre alle Mühe, seinen frühen Lebensstil-Faux-Pas nachhaltig zu kompensieren, indem er mit der stilprägenden, 1967 gegründeten Hardrockgruppe Led Zeppelin Exzesse feierte, wie sie die Musikwelt vormals nicht gekannt hatte: Ein Jahrzehnt lang vagabundierte die Band saufend und alle möglichen Substanzen injizierend durch Nordamerika und Europa, zerlegte dabei fachgerecht Hotelzimmer, entführte minderjährige Groupies, brach alle Zuschauerrekorde und flog als erste Rockgruppe in der eigenen Boeing 720 von Stadion zu Stadion.

Auch als musikalischer Leiter des Quartetts lebte sich Jimmy Page voll aus: Sein fingerfertiges Gitarrenspiel kombinierte harte Rockriffs, psychedelisches Geigenbogenwimmern, schnelle Blues-Soli und mystisch modales Folkzupfen und wurde von John Bonhams monolithischem Schlagzeuggeprügel, Sänger Robert Plants theatralischem Winseln und John Paul Jones’ virtuosem Dum-Di-Dum-Bassspiel zu einem kaleideskopischen Proto-Heavy-Metal komplettiert. Dabei enstanden Rock-Klassiker wie „Whole Lotta Love“, „Dazed And Confused“ oder „Kashmir“.

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Mystisch und brachial

Doch nicht nur Jimmy Pages Vielseitigkeit als Gitarrist wurde für Led Zeppelin prägend. In seiner Zeit als Session-Mann, in der er Anfang der Sechzigerjahre an unzähligen Jazz-, Rock-, Pop- und Blues-Aufnahmen beteiligt war, lernte er viel über Studio-Technologie. So kreierte er als Produzent den Led-Zeppelin-Sound, einen zuweilen massiv donnernden Raumklang, der bis heute Rockern aller Rock-Untersparten als Vorbild gilt.

Das Massenpublikum liebte Led Zeppelin und ihre mystisch-brachiale Bühnenpräsenz – trotz weitgehender Ablehnung durch die Musikpresse. Nachdem die Kritiker das im Jahr 1970 erschienene Album „Led Zeppelin III“ mit besonders garstigen Verrissen bedacht hatten, beschloss Jimmy Page, das Folgealbum der Band solle keinen Titel haben und der Name der Band sollte nirgendwo auf dem Cover abgebildet sein.

Trotzdem wurde das Album, das heute allgemein unter dem Titel „Led Zeppelin IV“ gehandelt wird, zum Meilenstein der Rockgeschichte, enthält es doch das ikonischste Gitarren-Arpeggio der Rockgeschichte: Mit „Stairway to Heaven“ wurden Led Zeppelin zur weltersten Stadionrock-Gruppe, und in den Folgejahren wurden die Arenen immer noch größer, die Gitarrensoli immer noch länger und die Drogen immer härter. Als schließlich John Bonham 1980 an seinem Erbrochenen erstickte, entschloss sich der Rest der Gruppe zum Aufgeben.

Halbgott der Doppelhalsgitarre

In den Folgejahrzehnten lenkte der stets arbeitssame Jimmy Page sein Wirken wieder in geordnetere Bahnen: Er gab das Heroin auf, schrieb Film-Soundtracks, und wo man früher viel über sein Interesse am Okkultismus gelesen hatte, wurde nun über seine Arbeit für wohltätige Zwecke berichtet. Ein paar Mal lebten sogar Led Zeppelin wieder auf: 1985, beim „Live-Aid“-Konzert etwa, mit Phil Collins am Schlagzeug, und 2007, zu einem Konzert in der Londoner O2-Arena – diesmal trommelte John Bonhams Sohn Jason.

Als Zauberergewand tragenden Halbgott der Doppelhalsgitarre kennt man den abseits der Bühne öffentlichkeitsscheuen Jimmy Page am ehesten – jedoch lohnt sich ein Blick auf eine Szene in Michelangelo Antonionis Film „Blow Up“ aus dem Jahr 1966, in der die Yardbirds einen Auftritt haben: Für einen kurzen Moment sieht man Page darin lächelnd spielen, ebenso schüchtern wie selbstbewusst, wohl noch unbedarft, aber vielleicht schon ahnend, was da Großes und Verrücktes auf ihn zukommt.

Heute feiert Jimmy Page, der in zweiter Ehe verheiratet und Vater von vier Kindern ist, bei bester Gesundheit seinen 70.Geburtstag.