Leitartikel: Abschaffen!
Die rot-schwarze Koalition in Berlin ist ein echtes Phänomen. Angetreten, um in Stabilität und Verlässlichkeit die zahlreichen Probleme dieser Stadt zu bewältigen, serviert sie dem staunenden Publikum fast täglich überzeugende Beweise ihrer Unfähigkeit, und zwar in den Kernbereichen der jeweiligen Parteien. Klaus Wowereit bei der Chefsache BER und Frank Henkel, der in der Opposition noch den starken Law-and-Order-Mann der CDU mimte, liefert gerade den Nachweis, dass er bis jetzt bei der Aufklärung der sogenannten NSU-Morde von allen guten Geistern verlassen war – wenn es denn je welche gab.
Verbal hat Henkel sich dazu bekannt, dass die heimtückischen Morde der Rechtsterroristen eine Schande nationalen Ausmaßes darstellen. Sein Handeln – besser: Nichthandeln – deckt sich damit nicht. Erstaunlich ist, warum ihn nicht, als Skandale und Rücktritte im Bundesamt für Verfassungsschutz und in diversen Landesämtern sämtliche roten Warnlichter blinken ließen, wenigstens der politische Selbstschutz dazu veranlasste, aktiv zu werden. Und auf das Genaueste im Bereich Rechtsextremismus des Geheimdienstes zu kontrollieren, ob dort alles mit rechten Dingen zugeht. Hat er nicht.
Das übliche Bauernopfer
Also ließ Henkel Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid fallen und brachte damit das in solchen Affären übliche Bäuerinnenopfer dar. Schmid gab zwar zuletzt ein trauriges Bild ab, aber die gelernte Datenschützerin gehörte eindeutig zu den besseren Geheimdienstchefs in Berlin. Sie hielt den VS nach einer Serie von Skandalen in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren über ein Jahrzehnt lang aus den Schlagzeilen. Damals war der Geheimdienst noch ein eigenständiges Landesamt, und der Platz reicht hier nicht aus, um nur annähernd die Rechtsverstöße und Schweinereien aufzulisten, die sich die Beamten leisteten.
Es reichte von der Urbach-Affäre, wo ein V-Mann des Amtes Waffen für Linksextremisten beschaffte, über die Beschäftigung von Ex-Stasi-Offizieren als Spitzel nach der Wende bis zum absoluten Tiefpunkt, der Schmücker-Affäre. Dabei war das Amt Mitte der 70er-Jahre in einen Mord an einem ihrer Spitzel verstrickt, versteckte die Mordwaffe im amtlichen Panzerschrank, manipulierte dann die Gerichtsverfahren, ganz nach Art der Stasi. Das ist die Tradition des Berliner Verfassungsschutzes.
Henkel will ihn jetzt reformieren und Leute einstellen, die in der Aktenkammer Links und Rechts unterscheiden können. Auch Klaus Wowereit wünscht einen Neuanfang. Den gab es aber schon um das Jahr 2000, nach den Skandalen. Damals wurde das Amt zwecks besserer Kontrolle als Abteilung in die Senatsverwaltung für Inneres integriert.
Geholfen hat es, wie die NSU-Affäre zeigt, offenbar nicht, abgesehen von der für Henkel unschönen Konsequenz, dass jeder Verfassungsschutzskandal auch seiner ist. Wer den nächsten Skandal möglichst verhindern will, kann mit dem Amt nur eines tun: abschaffen. Geheimdienste haben in Demokratien grundsätzlich nichts verloren, sie bilden eine Exklave im Rechtsstaat.
Es bleibt nur eins: abschaffen
Ihr Werkzeug ist der regelmäßige Bruch des üblichen Rechts, ihr Charakter berufsbedingt Abschottung und Konspiration und ihr natürlicher Feind Transparenz und Kontrolle. Wenn man als Geheimdienstler ganztags, gesetzlich legitimiert, im faktisch rechtsfreien Raum agiert, warum soll man sich dann nach getaner Arbeit streng ans Landesarchivgesetz halten?
Unter Rot-Schwarz ist natürlich keine Abschaffung zu erwarten. Die plakative Forderung heißt aber realpolitisch nichts anderes, als dass der Geheimdienst entgegen dem Trend eingehegt und einer rigorosen Aufgabenkritik unterzogen werden muss: Welche Aufgaben, etwa bei der Analyse des Extremismus, können von Wissenschaftlern oder Sachverständigen wahrgenommen werden, welche müssen künftig von der Polizei unter Beachtung des Legalitätsprinzips erledigt werden?
Zur Diskussion stehen auch die Kontrollpflichten des Parlaments. Es reicht nicht, mit dem Finger auf den Senat zu zeigen, denn vier Finger weisen dabei auf die Abgeordneten zurück. Das Berliner Verfassungsschutzgesetz ist zwar im Grunde nicht schlecht. Die Parlamentarier haben sich 2001 weitreichende Rechte auf Auskunft und Unterrichtung eingeräumt.
Sie können prinzipiell Akten einsehen, Dienstkräfte des VS befragen und sogar einen Kontrolleur in das Amt schicken und sich vertraulich ein eigenes Bild über relevante Vorgänge machen. Dass die Serienmorde an Migranten eine Staatsaffäre sind, haben ja alle lange gewusst. Trotzdem hat das Landesparlament offenkundig nicht alle seine Kontrollinstrumente in der NSU-Affäre aktiv genutzt. Das war sträfliche Unterlassung.