Leitartikel: Die Partnersuche geht weiter
Zwei Momente haben die Wahrnehmung der deutschen Politik seit dem 22. September geprägt: Erst die überbordende Schadenfreude über das Scheitern der FDP, dann das raumgreifende Interesse an den komplizierten Vorbereitungen für eine neue Regierungskoalition. So ist die historische Dimension des Ergebnisses der Bundestagswahl 2013 aus dem Blickfeld geraten: Zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung 1990 konstituiert sich ein Bundestag, in dem (nimmt man CDU und CSU zusammen) nur vier Parteien vertreten sind.
Damit ist ihre Zahl zum ersten Mal seit den 50er-Jahren zurückgegangen, als die KPD verboten wurde und bürgerliche Randgruppen in der Union aufgingen. In der Schlussphase der alten Bundesrepublik kamen die Grünen dazu. Zum Auftakt des neuen Deutschland folgte die Linke (zunächst als PDS). Diese Erweiterungen des parlamentarischen Spektrums haben stets zu Debatten über das damit beginnende neue Parteiensystem geführt. Zu Recht. Umso verwunderlicher, dass sie nun ausbleibt. Denn die Verkleinerung könnte sich als ebenso folgenträchtig erweisen wie die Vergrößerungen zuvor.
Von den 64 Jahren bundesrepublikanischer Nachkriegsgeschichte war die FDP in 52 an der Regierung beteiligt. Länger als jede andere Partei. CDU und CSU regierten „nur“ 44 Jahre. Doch nun versinken die Liberalen im Sumpf eigener Unfähigkeit und öffentlicher Häme. Kämen sie 2017 wieder in den Bundestag, wären sie die erste Partei, der die Rückkehr gelänge. Denn die Grünen schafften bei der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 im Westen zwar die Fünf-Prozent-Hürde nicht. Aber weil ihre Partner vom Bündnis 90 im damals getrennt ausgezählten „Beitrittsgebiet“ es auf sechs Prozent brachten, behielten sie einen Vorposten im Bundestag, der ihnen das Comeback erleichterte. Die FDP wird schnell merken, dass ihre Fraktionen in einigen Landtagen dafür kein Ersatz sein können.
Bislang ging die Auffächerung des politischen Angebots zulasten der SPD. Grüne und Linke weiden auf ihrem Terrain. Nun trifft die Verknappung des Angebots die Union. Denn die Liberalen sind zwar 1969 unter Bundeskanzler Willy Brandt eine sozialliberale Koalition eingegangen. Aber Hans-Dietrich Genscher hat sie 1983 zurück ins bürgerliche Lager geführt, wo sie als Mehrheitsbeschaffer der Union verharrten. Auch ihre letzte Hoffnung Christian Lindner hat bisher nicht glaubhaft machen können, dass er willens wäre, eine neue Brücke zur SPD zu schlagen – wenn die Wähler ihm die Gelegenheit gäben.
SPD muss die Linke entdämonisieren
Sollte die FDP aus dem Parteiensystem ausscheiden, hätte dies tiefgreifende machtpolitische Folgen für die Union. Da sie einer absoluten Mehrheit nicht so schnell mehr so nahe kommen dürfte wie diesmal, braucht sie einen neuen Partner minderer Größe. Deshalb richtet sich der Blick nach Wiesbaden. Im Labor der Landespolitik wurde schon Mitte der 80er-Jahre eine neue Verbindung getestet: Rot-Grün. Der hessische Turnschuhminister Joschka war die Voraussetzung für den deutschen Außenminister Fischer.
In ihrem Nebenjob als CDU-Chefin hat Bundeskanzlerin Angela Merkel daher brennendes Interesse daran, dass ihr Parteifreund Volker Bouffier einen Neubeginn mit den Grünen wagt. Ausgerechnet in Hessen, wo die politische wie kulturelle Konfrontation zwischen der alten und der neuen bürgerlichen Partei bisher am schärfsten war. Wenn’s hier mit dem neuen Nachbarn klappt, steht Schwarz-Grün im Bund nichts mehr im Wege.
Die SPD muss auf der anderen Seite die Linke entdämonisieren. Im Land Berlin regiert sie bereits abwechselnd mit ihr und der CDU. Das muss auch im Bund möglich werden, will sie im Kampf um die Macht endlich wieder eine Chance haben. Und die FDP? Aus den Augen, aus dem Sinn! Sie ist im neuen Parteiensystem, das sich im 18. Deutschen Bundestag zu etablieren beginnt, nicht mehr erforderlich. Ob die Euro-kritische Neugründung „Alternative für Deutschland“ eine Chance hat, dieses politische Quartett durcheinanderzubringen – darüber lässt sich erst nach der Europawahl 2014 mit einigem Anspruch auf Plausibilität spekulieren.
Ach ja, was die arme kleine Opposition gegen die große Regierungsmehrheit im Bundestag angeht – um die muss sich niemand Sorgen machen. CDU/CSU wie SPD haben größtes Interesse daran, Linken und Grünen in der Geschäftsordnung die besten Voraussetzungen für ihre Arbeit zu ermöglichen. Sie brauchen sie ja noch! Und nicht zuletzt die Erwartung einer nie dagewesenen Antwort auf die alte Frage „Wer mit wem?“ dürfte dafür sorgen, dass die Kleinen nach der großen Koalition von 2013 bei der Wahl 2017 noch besser abschneiden werden als nach der vorigen.