Leitartikel zu Ebola: Katastrophe globalen Ausmaßes
Die Nachrichten werden von Tag zu Tag schlimmer. Inzwischen meldet das amerikanische Zentrum für Seuchenkontrolle (CDC), es sei davon auszugehen, dass die westafrikanische Ebola-Epidemie bis Januar 2015 zwischen 550 000 und 1,4 Millionen Menschen erfassen könne – wenn nicht zusätzliche Maßnahmen gegen deren Ausbreitung ergriffen werden. Die Neuansteckungen nehmen exponentiell zu. Wir sind mit einer Katastrophe globalen Ausmaßes konfrontiert.
Es war der schludrige Umgang zu Beginn der Epidemie, der den heutigen Notfall heraufbeschwor. Als im März die Kunde von den ersten Ebola-Toten im guineischen Regenwald die Runde machte, wiegelte die WHO ab: Den „Ärzten ohne Grenzen“, die schon damals vor einer Ausbreitung der Seuche auf dicht besiedelte urbane Zentren warnten, wurde Panikmache vorgeworfen.
Angst ist die schlechteste aller Berater
Als das Virus dann tatsächlich sowohl Freetown, die Hauptstadt Sierra Leones, wie Monrovia, die Hauptstadt Liberias, erreichte, reagierte die Welt, wie sie es reflexartig immer tut: Sie suchte sich abzuschotten. Nachbarländer machten die Grenzen dicht, Fluggesellschaften stellten ihre Flüge ein, die Häfen der drei westafrikanischen Staaten wurden nicht mehr angelaufen. Auch wenn Experten davor warnten, dass solche Maßnahmen das Ausmaß der Seuche noch weiter verschlimmern, weil sie die Not der betroffenen Bevölkerung vergrößern und den Transport notwendiger Hilfe behindern, blieb die Welt bei ihrer Abschottungsstrategie. Es ist die Angst, der schlechteste aller Berater, der die Politik diktiert.
Die Furcht, die Seuche könne auf Länder der Ersten Welt übergreifen, ist vollkommen irrational. Gesundheitsexperten erläutern, dass sich das nur über die Körperflüssigkeit eines bereits erkrankten Infizierten übertragene Virus unter den klinischen und hygienischen Bedingungen Europas oder den USA gar nicht ausbreiten kann. Sobald ein angesteckter Europäer tatsächlich an Fieber, Durchfall oder Erbrechen erkrankt, würde er sofort in einer Isolierstation Platz finden.
Das ist in Westafrika nicht der Fall. Die wenigen Quarantäne-Stationen sind hier heillos überfüllt: Wenn ein Mitglied einer in einem Dreizimmerhaus lebenden 18-köpfigen Familie erkrankt, weiß keiner der Verwandten, wohin sie den Infizierten bringen können. Er wird deshalb notdürftig zu Hause versorgt und steckt dabei noch den Rest der Familie an.
Was man dagegen tun kann? Am dringendsten sind derzeit Plätze in Isolierstationen nötigt. Solche Stationen aufzubauen, erfordert keine logistischen Wunder. Die „Ärzte ohne Grenzen“ arbeiten in Monrovia mit Zelten, die innerhalb weniger Tage aufgebaut werden können. Woran es mangelt, sind ausgebildete Pflegekräfte, die sich um die Kranken kümmern können: Schwestern und Pfleger, die wissen (oder schnell lernen), wie man sich vor dem Virus schützt, oder Sanitäter, die in der Abwehr von ABC-Waffen ausgebildet wurden. Sowohl die „Ärzte ohne Grenzen“ wie die WHO klagen darüber, dass sie keine Leute finden, die bereit sind, ins Krisengebiet zu kommen.
Nun kann man die Angst vor Ansteckung nicht als völlig unbegründet abtun. Tatsächlich haben sich bereits einige westliche Helfer angesteckt – und zwar sechs im vergangenen halben Jahr, von denen einer, ein 75-jähriger spanischer Ordensbruder, starb.
In Westafrika steht eine Menge auf dem Spiel
Alle anderen erholten sich oder befinden sich auf dem Weg der Besserung. Würde die Bundeswehr, die behauptet, keine Evakuierungsmöglichkeiten für in Westafrika erkrankte Deutsche zu haben, aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen. Es würden sich gewiss mehr als die bislang 2.000 Freiwilligen im Land Robert Kochs und Rudolf Virchows finden.
Schließlich steht in Westafrika eine Menge auf dem Spiel. Es geht dort nicht nur darum, Hunderttausende von Menschen vor dem Tod zu retten. Vielmehr muss ein Seuchenherd, der die gesamte Menschheit bedroht, aus der Welt geschaffen werden. Denn falls die Epidemie nicht bald unter Kontrolle gebracht wird, kann sie nach dem Urteil von Experten „endemisch“ werden.
Das heißt: der Virus-Herd brodelt auf kleiner Flamme über Jahrzehnte vor sich hin und kann jederzeit zu einer ausgewachsenen Epidemie aufkochen. Bornierte Nationalisten könnten versucht sein, auch dieser Gefahr durch Abschottung zu begegnen. Doch in der globalisierten Welt ist eine derartige Strategie zum Scheitern verurteilt ist. In den Zeiten der mittelalterlichen Pest konnte man vielleicht noch Städte oder ganze Regionen ihrem Schicksal überlassen. In unserem Zeitalter der Flugzeuge, Kraftfahrzeuge und Containerschiffe ist das ausgeschlossen. Wir globalisierte Erdenbürger müssen handeln. Und zwar schnell.