Leitartikel zum Nahost-Konflikt: Stur für den Frieden

John Kerrys Sturheit hat sich ausgezahlt. Ohne seinen persönlichen Einsatz gäbe es keine Gesprächsgrundlage für Israelis und Palästinenser. Im Stillen hatten beide Konfliktpartner darauf gesetzt, dass die jeweils andere Seite bei der Friedensinitiative des US-Außenministers nicht mitziehen würde. Doch Kerry vermochte es, mit großer Überredungskunst dem israelischen Premier und dem palästinensischen Präsidenten die Rückkehr an den Verhandlungstisch schmackhaft zu haben. Die Alternative wäre gewesen, sich erheblichen Ärger in Washington einzuhandeln, was weder Netanjahu noch Abbas riskieren wollten.

Israel kann von einem Neustart im Friedensprozess nur profitieren. Es winkt die Aussicht, verlorene Sympathien in der Welt zurückzugewinnen, nachdem das Land sich bislang wegen des stetigen Siedlungsbaus wachsender Kritik ausgesetzt sah. Für Benjamin Netanjahu gab das den Ausschlag. Der israelische Regierungschef braucht dringend internationalen Rückhalt, nicht nur im Atomkonflikt mit dem Iran, sondern auch wegen der schwer kalkulierbaren Lage in den Nachbarstaaten.

Für die Palästinenser ist es zwar bitter, in Gespräche mit Netanjahu einzusteigen, solange der sich vorab auf nichts festlegen mag. Aber die israelische Zusage, mehr als hundert palästinensische Häftlinge freizulassen, erwies sich am Ende für Abbas als verlockend genug. Wenig ist in Gaza und dem Westjordanland so emotional besetzt wie das Thema Gefangene. Mit Bildern heimkehrender „Freiheitskämpfer“ lässt sich zumindest kurzfristig beim eigenen Volk punkten.

Zudem hat auch Abbas verstanden, dass er international an Glaubwürdigkeit nur verlieren kann, wenn er den von Netanjahu beteuerten Willen zum Kompromiss nicht in Verhandlungen testet. Das Ja der Vereinten Nationen zu einem Staat Palästina hat ihm vor einem Jahr einen diplomatischen Erfolg beschert, aber dem Ende der israelischen Besatzung keinen Deut näher gebracht. Die amerikanische Vorgabe, eine Friedenslösung müsse sich an den Grenzen von 1967 orientieren, können die Israelis jedenfalls nicht so einfach ignorieren wie einen UN-Beschluss.

Skepsis ist dennoch geboten. Netanjahu ist bislang nicht sonderlich an einem Verhandlungsfrieden interessiert, der einen weitgehenden israelischen Abzug aus dem Westjordanland und Konzessionen in Ost-Jerusalem erfordert. Vieles spricht jedoch dafür, dass er seine Haltung ändern könnte. Das rechte Lager in Israel hat keine echte personelle Alternative. Sollten die Siedlerlobbyisten um Wirtschaftsminister Naftali Bennet – allesamt erklärte Gegner einer Zwei-Staaten-Lösung – die Koalition verlassen, wäre Ersatz leicht zu finden.

Shelly Jachimovich von der linken Arbeitspartei hat wiederholt ihre Bereitschaft erklärt, im Falle eines ernst gemeinten Friedensprozesses Netanjahu zu unterstützen. Auch Avigdor Lieberman, bekanntgeworden als Enfant terrible der israelischen Außenpolitik, wäre austauschbar. Die Religiösen von Schas und Thora-Partei würden liebend gerne wieder in der Regierungspolitik mitmischen – schon um ihre fromme Klientel zu versorgen. Ohnehin hätte Netanjahu die israelische Öffentlichkeit bei Friedensschritten auf seiner Seite.

Alles hängt jetzt davon ab, ob in den geplanten Verhandlungen eine klare Richtung eingeschlagen wird oder ob sie im Streit um Kleinigkeiten leerlaufen. Sicher ist nur eines: Ein erneutes Scheitern würde bloß die Hardliner – die israelischen Nationalisten und die palästinensischen Islamisten von der Hamas – stärken. Umso wichtiger ist es, der Grenzfrage und den Sicherheitsaspekten Priorität zu geben. Bislang hat Netanjahu kein Wort darüber verloren, wo denn genau ein palästinensischer Staat entstehen solle. Erst wenn beide Seiten sich darüber einigen, lässt sich auch das leidige Problem Siedlungsexpansion lösen. In den Siedlerblöcken, die auf israelischer Seite liegen, müsste ungehindert weiter gebaut werden dürfen, in den tief im Westjordanland gelegenen Siedler-Sprengseln indes nicht.

Gerade weil John Kerry bereits Hunderte Stunden in seine Pendeldiplomatie investiert hat, ist zu hoffen, dass dabei auch das künftige Prozedere genauer festgelegt wurde. Ansonsten könnten die Friedensgespräche binnen Kürze wieder platzen – so wie 2010. Bislang haben sich US-Vermittler nicht durch großes Verständnis für die Tiefenpsychologie des komplizierten Nahostkonflikts ausgezeichnet. Entsprechend gering sind die israelischen wie palästinensischen Erwartungen, dass die Kerry-Formel bis ans Ziel trägt: zwei Staaten für zwei Völker, die in Frieden koexistieren. Doch geringe Erwartungen sind in diesem Fall eher von Vorteil.