Leitartikel zum Städtebau: Warum Berlin Verdichtung braucht

Mitte der 60er-Jahre war Berlin wieder einmal im Wandel, aber der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann war nicht ganz wohl dabei. „Im Kommen ist jetzt der Kreuzberg“, schrieb sie 1965, „die feuchten Keller und die alten Sofas sind wieder gefragt, die Ofenrohre, die Ratten, der Blick auf den Hinterhof. Dazu muss man sich die Haare wachsen lassen, muss herumziehen, muss herumschreien, muss predigen, muss betrunken sein…“ Die Ausdrucksformen des subkulturellen Milieus schienen Bachmann unbehaglich.

Später wurde kräftig durchgelüftet in Kreuzberg und anderswo. Im Karneval der Avantgarden geht es nie schnurstracks in eine Richtung, aber immer zieht er kreative Geister an und noch mehr jene, die sich dafür halten. Eine Stadtgesellschaft lebt von solchen Konjunkturen, die bisweilen auch als Bedrohung empfunden werden mögen. Eine dynamische Stadt ist selten ein Hort der Rücksichtnahme.

Das Ende der Ära Wowereit sollte daher nicht nur von dessen potenziellen Nachfolgern aus Profilierungsgründen zum Anlass genommen werden, über die Stadt, und wie wir in ihr leben wollen, nachzudenken. Vor allzu großer Planungsfreude muss allerdings gewarnt werden. Nicht selten waren es die großen Masterpläne, die in Überforderung, vorzeitigem Abbruch und dauerhaften Provisorien mündeten und die Stadt hernach auf Jahrzehnte mit baulichen und gesellschaftspolitischen Irrtümern zurückließen.

Der große Stadtsoziologe Siegfried Kracauer unterschied in einem kleinen Stück über Berlins Straßen zwischen zwei Arten von Stadtbildern: „den einen, die bewusst geformt sind, und den anderen, die sich absichtslos ergeben.“ Kracauer favorisierte Letztere und erkannte in ihnen auch den Widerstreit der Interessen, der im lebendigen urbanen Raum tobt. Dieser Widerstreit hat in den letzten Jahren in Berlin sehr unterschiedliche Formen angenommen. Am deutlichsten wurde er in der Auseinandersetzung um die künftige Nutzung des stillgelegten Flughafens Tempelhof.

Das Ergebnis des Volksentscheids war vor allem auch ein vehement artikuliertes Misstrauen gegen das bewusst Geformte. Was innerhalb der jüngeren Berliner Kulturgeschichte bislang als randständige Bewegungen, nicht selten zur Erhaltung des Status quo, wahrgenommen worden war, wurde plötzlich mehrheitsfähig. Und so zeigt sich in den so heterogenen Initiativen, die hier trotzig eine Stadtbrache verteidigen, wie unwirtlich sie auch sein mag, und dort für die Unverrückbarkeit von Mauerresten kämpfen, stets auch ein beachtlicher Gestaltungswille.