Notstand? Fragt doch mal nach, warum so viele Lehrkräfte Teilzeit arbeiten!
Lehrermangel in Deutschland: Sollen die Lehrkräfte doch einfach mehr arbeiten, sagen die Berater der Kultusministerkonferenz. Unser Autor hat andere Vorschläge.

In Berlin sind Winterferien. Alles ist friedlich in Klassenzimmern und Schulhöfen. Nächste Woche dürfte es vor allem ein Thema geben, das in den Lehrerzimmern für Aufwallungen sorgen wird: die Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK), einem Beratergremium der Kultusministerkonferenz (KMK). Die Experten haben sich mit der Frage befasst, wie man den Lehrermangel in Deutschland zumindest lindern kann. Die Antworten laufen darauf hinaus, dass die Anforderungen an das vorhandene und das künftige Lehrpersonal größer werden. Die Lehrerlobbyisten haben die Vorschläge bereits verworfen. Was wären die Alternativen?
Die Ausgangslage ist erschütternd. In Deutschland gibt es schon jetzt zu wenig Lehrer. Und in den nächsten Jahren werden zwei demografische Entwicklungen das Problem verschärfen: Angesichts der geburtenschwachen Jahrgänge wird es rein statistisch nicht genug junge Menschen geben, die Lehrer werden können. Und auf der anderen Seite gehen die geburtenstarken Jahrgänge 1963 ff. nach und nach in Rente.
Auf absehbare Zeit kommen also deutlich weniger ausgebildete Lehrkräfte nach, als angesichts der Entwicklung der Schülerzahlen gebraucht werden. Berechnungen der KMK zufolge liegt die Lücke zwischen Lehrkräftebedarf und -angebot zwischen 2021 und 2035 jedes Jahr im Schnitt bei etwa 1600. In der Summe also deutlich über 20.000. Pessimistischere Prognosen gehen vom Vierfachen aus.
Die Wissenschaftler der Ständigen Kommission erwarten, dass das Problem des Lehrkräftemangels in den kommenden 20 Jahren bestehen bleibt. Bislang war die KMK davon ausgegangen, dass es von 2035 an eine Entlastung gibt.
Fast die Hälfte der Lehrkräfte arbeitet in Teilzeit
Die Kommission gibt nun eine ganze Reihe von Empfehlungen, die kurz- bis langfristig Entlastung schaffen sollen. Vier Ratschläge, die besonders schnell wirken könnten, haben die Lehrerorganisationen besonders erbost. Erstens: die Überprüfung und strengere Genehmigung von Teilzeitregelungen. Fast die Hälfte der Lehrkräfte arbeitet in Teilzeit. Und davon knapp ein Drittel weniger als 50 Prozent. Die Kommission empfiehlt, die Möglichkeiten dafür zu begrenzen; hier liege die größte Beschäftigungsreserve.
Geprüft werden solle außerdem eine befristete Erhöhung des Unterrichtskontingents pro Woche für Lehrkräfte mit finanziellem Ausgleich oder Abgeltung durch weniger Arbeitszeit in späteren Jahren. Drittens werden Anreize empfohlen, damit ältere Lehrer aus dem Ruhestand zurückkommen oder über die Altersgrenze hinaus arbeiten. Und viertens: Klassen sollten dort vergrößert werden, wo festgelegte Maximal- oder Orientierungswerte unterschritten werden.
Um mit dem Letzten anzufangen: Die Forderung nach kleineren Klassen, um bessere Unterrichtsergebnisse zu erhalten, war in Berlin schon Gegenstand von Arbeitskampfmaßnahmen.
Die größte Chance und das größte Problem zugleich bieten die Teilzeitregelungen. Gelten strengere Regeln erst für künftige Lehrer, dauert es mit der Entlastung zu lange. Sollen bereits genehmigte Teilzeitregelungen zurückgenommen werden, dürfte das zu Arbeitsprozessen und auch Unfrieden in den Lehrerzimmern führen. Vielleicht sollte man zunächst mal alle Teilzeitler fragen, warum sie nicht voll arbeiten. Da bekommt man sicher Hinweise darauf, was sich an Schule ändern muss, um wieder attraktiver für die Arbeitnehmer zu werden.
Zur Wahrheit gehört auch, dass Teilzeit-Lehrer zur Entlastung der öffentlichen Haushalte beitragen. Denn nicht jede reduzierte Stelle wurde ausgeglichen. Daher der Vorschlag: Der Personaletat, der für eine Schule errechnet wird, bleibt der Schule erhalten, egal, wie viel Teilzeit dort gearbeitet wird. Die Schulleitung kann dann das Geld für Entlastung und Unterstützung der vorhandenen Lehrer einsetzen. Das könnte zu interessanten Lösungen führen.
Die Ständige Kommission hat weitere Stellschrauben genannt – Hybridunterricht, Korrekturhilfen, Gymnasiallehrer in anderen Schulformen, leichtere Anerkennung ausländischer Abschlüsse –, die man diskutieren und erproben sollte. Am Ende wird man aber die Ausbildung zum und die Arbeit als Lehrer attraktiver machen müssen. Geld ist ein Hebel, Reputation und gesellschaftliche Anerkennung sind mindestens genauso wichtig.
Sicher ist, dass der Fachkräftemangel an deutschen Schulen für uns alle die größten und nachhaltigsten Probleme bringt. Daher sollte man ihn nicht der Konkurrenz der Bundesländer überlassen, die versuchen, sich gegenseitig die Lehrer zu klauen.
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