Studieren : Hochschulen brauchen Diversität: Wir müssen die Vielfalt stärken!
Nur so werden Potenziale freigesetzt. Und neue Einsichten gewonnen, schreibt Peter-André Alt.

Berlin - Die Förderung der Vielfalt an unseren Hochschulen ist neuerdings ein wichtiges Thema. Sie muss Menschen unterschiedlicher Herkunft gelten, also das gesamte Spektrum geschlechtsspezifischer, ethnischer, religiöser und sozialer Hintergründe erfassen. Schon seit längerem spielt die Gewinnung internationaler Studierender für unser akademisches System eine wichtige Rolle; sie wird auch in Zeiten der Corona-Krise, anders als aktuell in den Vereinigten Staaten, vom Staat großzügig unterstützt.
Weniger gut sieht es dagegen bei der Internationalisierung des wissenschaftlichen Personals aus – hier stehen wir im Weltvergleich noch am Anfang. Allein die Zahl der Professuren, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ohne deutschen Pass besetzt wird, ist verschwindend gering. Sie betrug im Jahr 2018 3415 Personen, das entspricht 7,1 Prozent. Dass hier enorme Möglichkeiten verschenkt werden, bleibt offenkundig. Noch immer gelingt es nur in Ausnahmefällen, Berufungen aus dem Ausland zu realisieren. Unsere Hochschulen sind nationale Institutionen, die zwar weltweit kooperieren, aber im Inneren nicht vielfältig genug sind.
Wer das ändern möchte, sollte Begriffe wie Integration oder Inklusion meiden. Denn bei der Diversität geht es nicht um Hilfen für diejenigen, die womöglich in unserem Land eine Minderheit darstellen, sondern um eine Freisetzung von Potenzialen. Die Vielfalt der Blickwinkel auf Themen, Probleme und Lösungswege bildet ein Element wissenschaftlicher Qualität.
Forschung steigert ihre Erkenntniskraft, wenn sie nicht immer dieselben Wege verfolgt. Denken, das andere Richtungen als die uns vertrauten einschlägt, erschließt neue Einsichten. Diversität ist in diesem Sinne die Produktivkraft einer Hochschule, und wenn wir sie nicht nutzen, dann werden wir im internationalen Wettbewerb bald das Nachsehen haben. Dabei sollte die Frage, wie man diese Erkenntnis in Berufungskommissionen praktisch umsetzt, eher zweitrangig sein. Denn es muss im ureigenen Interesse des höheren Bildungssystems liegen, seine Vielfalt weiterzuentwickeln.
Die Diversität der Hochschule birgt neben Chancen gewiss auch bisher unbekannte Herausforderungen. Mit der Internationalisierung von Studierenden und Lehrenden nimmt die potenzielle Zahl spannungsträchtiger Meinungskonflikte zu. Krieg und Widerstand, Rebellion und Umsturz, Ausgrenzung, Vertreibung und Migration – das sind in einer divers zusammengesetzten Universität nicht nur Gegenstände der Forschung, sondern Elemente individueller Lebenserfahrung. Mit ihnen wächst die sehr konkrete Sensibilität gegenüber politischen Problemen aller Art in einem geradezu existenziellen Grad persönlicher Betroffenheit. Je mehr Menschen aus aller Welt an einer Hochschule studieren und arbeiten, desto vielfältiger wird auch das Potenzial für Spannungsfelder und Konflikte, aber eben auch für deren wissenschaftliche Bearbeitung.
Unsere Hochschulen sind dazu in der Lage, die hier schlummernden Herausforderungen auf konstruktive Weise zu bestehen. Denn der wissenschaftliche Diskurs ist selbst durch unterschiedlichste Positionen und Methoden gekennzeichnet – Streit gehört zur Wissenschaft. Vor Diversität muss also niemand Angst haben, wenn es um die Hochschulen geht. Vielfalt erfordert keinen Mut, sondern nur die Einsicht, dass wir gewinnen, wenn wir unsere Perspektiven erweitern.
Der Autor ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.