Maren Jasper-Winter: „Deutschland ist für Einwanderer Wartezeit und Bürokratie“

Wie können wir die ukrainischen Flüchtlingskinder gut ins Berliner Bildungssystem aufnehmen? Hier die Ideen der FDP-Abgeordneten Maren Jasper-Winter.

Die FDP-Politikerin Maren Jasper-Winter in Berlin
Die FDP-Politikerin Maren Jasper-Winter in BerlinBerliner Zeitung/Markus Wächter

Nach ersten Schätzungen leben jetzt 25.000 ukrainische Flüchtlingskinder in Berlin. Wie soll die Stadt mit dieser großen Herausforderung umgehen? Wir haben Menschen gefragt, die sich mit Integration auskennen – aus eigener Erfahrung, durch ihr Nachdenken und berufliches Handeln: sieben Fragen für eine bessere Integration. Hier antwortet die FPD-Abgeordnete Maren Jasper-Winter.

Können die ukrainischen Kinder auf beides vorbereitet werden – auf die Rückkehr in ihr Heimatland und ein mögliches Leben in Deutschland?

Es wäre natürlich schön, wenn der Krieg beendet wäre und wir bereits über Rückkehr sprechen könnten. Mit Blick auf die aktuelle Lage ist das noch eine Illusion. Der Fokus muss derzeit auf dem Ankommen in Deutschland liegen und darauf, dass ukrainische Kinder unmittelbar Schutz und Unterstützung erhalten. Der Schulbesuch schafft hier eine Form von „Normalität“ im Angesicht der Ausnahmesituation. Insgesamt sollte beides stattfinden: die Bewahrung der ukrainischen Identität und die deutsche Integration zugleich.

Sollten alle geflüchteten Schulkinder in Willkommensklassen gehen?

In Willkommensklassen treffen Kinder aufeinander, die sich in ähnlichen Situationen befinden. Für die Kinder, die kaum Deutsch sprechen, halte ich sie für einen guten Einstieg in unser Schulsystem. Doch gibt es auch Kinder, die so gut Deutsch sprechen, dass direkt im Regelschulsystem mithalten können. Das sollte dann auch ermöglicht und entsprechende Schulplätze geschaffen werden. Die schnelle Eingliederung und Integration in den normalen Schulbetrieb sollte das Ziel sein. Denn Bildung ist das wichtigste Gut und die elementare Voraussetzung für individuelles Vorankommen und ein selbstbestimmtes Leben.

Wenn Sie Berlins Bildungssenatorin wären, was würden Sie jetzt tun?

Ich würde die Zusammenarbeit mit den Bezirken verstärken und sie darin unterstützen, möglichst viele reguläre Schulplätze zu schaffen. Da fällt dem Senat das auf die Füße, was jahrelang nur schleppend passierte: der Ausbau unserer Schulen. Gleichzeitig sollten wir ukrainische Lehrerinnen schnell einsetzen und zügig ihre Berufsqualifikationen anerkennen, damit sie hier regulär arbeiten können. Auch im Erzieherinnenbereich übrigens. Auch muss der Senat die Kitas darin unterstützen, schnell mehr Kapazitäten für mehr Kitaplätze aufzubauen. Leider fehlt dem Senat wieder einmal der Überblick: Es gibt kaum verlässliche Zahlen zur Anzahl Geflüchteter im Kita- oder Schulalter. Hier muss der Senat dringend mit den Ämtern zusammenarbeiten, um die Anzahl der erforderlichen Plätze zu antizipieren. Gleichzeitig darf nicht aus dem Blick geraten, dass wir an Schulen und Kitas psychologisches Fachpersonal benötigen, welches Kinder mit einer Fluchtgeschichte betreuen kann.

Wie können wir mehr Räume gewinnen und mehr Menschen, die erziehen und unterrichten?

Die Schulbauoffensive ist voranzutreiben. Hier würde ich viel stärker als bisher Schulen in freier Trägerschaft einbinden, die mehr Räume schaffen könnten, würde man sie gleichermaßen in der Schulbauoffensive berücksichtigen. Gleichzeitig muss der Senat ernsthaft evaluieren, inwieweit die komplexe Struktur der Offensive mit vielen unterschiedlichen Verantwortlichen den Prozess verlangsamt. Leider ist der Berliner Senat nicht dem guten Vorbild Hamburgs gefolgt. Hamburg hat eine landeseigene Gesellschaft gegründet, die für alle Schulbaumaßnahmen zuständig war. Gleichzeitig sollten wir Lehrkräften und Erzieherinnen aus der Ukraine ermöglichen, schnell ihre Qualifikationen anzugleichen.

Was sind Ihre persönlichen Berührungspunkte mit dem Thema „Einwanderung“?

Ich unterstütze in meinem Heimatbezirk Mitte die Initiative „freeartus“, die Migranten durch Bildung, Kultur und Arbeit unterstützt. Das angegliederte Restaurant beschäftigt vor allem geflüchtete Menschen aus Syrien. Über diese Initiative bekomme ich mit, wo in puncto Einwanderung in Berlin der Schuh drückt. Als ich eine junge Frau persönlich bei ihrer Einbürgerung begleitet habe, hat mich das sensibilisiert für die Hürden, die wir als Land aufgebaut haben. Bisher ist Deutschland für Einwanderer mit unzähligen Formularen, langen Wartezeiten und umständlicher Bürokratie verbunden. Das kann so nicht bleiben. Wir sollten uns als Gesellschaft noch mehr um unsere Willkommenskultur bemühen. Die Flüchtlingsbewegungen im Jahr 2015 und jetzt haben gezeigt, dass Deutschland in der Krise zusammenrücken und anpacken kann. Doch unsere Solidarität braucht einen langen Atem, auch wenn die Schlagzeilen aus den Zeitungen verschwunden sind.

Gibt es schon ukrainische Kinder in Ihrem Umfeld? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?  

Als ich vor zwei Wochen auf dem Spielplatz mit meinen Söhnen war, habe ich eine Mutter mit ihren Kindern kennengelernt. Sie hat sich nach Kriegsausbruch mit ihren drei Kindern ins Auto gesetzt und ist bis zur völligen Erschöpfung sechs Tage lang bis zur polnischen Grenze gefahren. Dort hat ein ehrenamtlicher Helfer die Familie bis nach Berlin gebracht. Sie war jetzt sehr glücklich darüber, dass ihre Söhne schon in Kita und Schule bei uns im Kiez gehen und auf dem Spielplatz spielen können. In Sicherheit. Anders als ihre Eltern, die noch in der Ostukraine sind. Das hat mich sehr berührt.

Worauf müssen wir achten, damit Integration wirklich gelingt?

Integration braucht langfristiger Strategien, um Geflüchtete als vollwertige Mitglieder in unserer Gesellschaft aufzunehmen. So überwältigend die Welle der Hilfe für Ukrainerinnen und Ukrainer ist, – wir dürfen nicht vergessen, dass zum Beispiel auch syrische, afghanische und libysche Flüchtlinge weiterhin unsere Unterstützung benötigen. Wir müssen uns um Lösungen bemühen, die ihnen den Aufstieg aus eigener Kraft ermöglicht. Wir alle müssen uns bemühen, die Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Kulturen weiter auszubauen. Berlin ist eine offene und bunte Stadt, und das soll sie auch in Zukunft bleiben.

(Die Fragen stellte Eva Corino)

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Isabella Galanty
Person und Serie
Die Berliner Zeitung möchte eine Debatte anstoßen, wie man die ukrainischen Flüchtlingskinder am besten ins Berliner Bildungssystem aufnehmen kann. Hier der Beitrag von Dr. Maren Jasper-Winter. Sie ist frauenpolitische Sprecherin sowie Sprecherin für Aus- und Weiterbildung der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin. Vor ihrer Tätigkeit als Abgeordnete war sie als Unternehmensjuristin tätig. Sie engagierte sich bei den Jungen Liberalen und trat 1999 in die FDP ein. Seit 2008 ist sie Bezirksvorsitzende der FDP Berlin-Mitte. Maren Jasper-Winter lebt mit ihrer Familie in Berlin.