Der Kunde muss eine Maske tragen, die Kassiererin nicht
Unser Autor ist verwundert darüber, wie schnell einige Leute die Sicherheit über Bord geworfen haben. Auf Kosten anderer.
Berlin-Es tragen doch mehr Leute einen kleinen Boris Palmer in sich als man glauben möchte.

Eine Freundin, die anfangs „aus Solidarität“ nicht mal auf Abstand spazieren gehen wollte, hat ihr soziales Leben wieder aufgenommen. Ein befreundeter Pfleger habe ihr erzählt, dass nur alte Männer über 80 an den Beatmungsmaschinen hingen. Ach so, na dann! Nach solchen Gesprächen erscheint die Idee mit den Lockerungen in einem anderen Licht.
Allen Appellen für Eigenverantwortung zum Trotz, braucht der Mensch leider Regeln und deren Kontrolle. Das ist kein Ruf nach einem Überwachungs- oder Polizeistaat. Kontrolle kann – wie im Straßenverkehr – Schwächere schützen. Kürzlich hatte der Senat hohe Bußgelder für Verstöße gegen Abstandsregeln beschlossen. Nun beobachtet der Innensenator, dass die Zahl derer steigt, die der Maßnahmen überdrüssig sind. Millionen Menschen könnten aber nicht von der Polizei überwacht werden.
Das stimmt, wirft aber gleichzeitig die Frage auf, warum vor ein paar Wochen genug Polizei zur Verfügung stand, um in Parks zu patrouillieren und Leute aufzuscheuchen, die allein und mit meterweitem Abstand zueinander auf Wiesen lagen. Nun sitzen bei gutem Wetter große Gruppen völlig unbehelligt nah beieinander. Vor ein paar Tagen liefen zwei Mitarbeiter des Ordnungsamts auf einem Mittelstreifen Slalom um sehr viele rund um Bänke gruppierte Menschen. Angesprochen haben sie niemanden. Die Signalwirkung ist nicht nur virologisch gefährlich, das inkonsequente Vorgehen liefert auch jenen Futter, die gerade die Gesellschaft spalten wollen: „Seht Ihr, kann doch gar nicht so schlimm sein!“
Das denken sich offenbar auch die Mitarbeiter im nahen Supermarkt, den Kunden nur in begrenzter Zahl betreten dürfen, mit Maske sowie Korb oder Wagen und unter Einhaltung von Abstandsregeln. Die einzigen, die dort keine Masken tragen, sind die Mitarbeiter. Geschenkt, wenn da nicht der zweite Punkt wäre: Die einzigen, die sich hier nicht im geringsten um irgendwelche Abstände zu anderen scheren, sind die Mitarbeiter.
Wer weiß, vielleicht ist ihnen das Klatschen der Leute auf den Balkonen und die allseits niedergeschriebene Dankbarkeit zu Kopf gestiegen. Wer will es ihnen verdenken? Plötzlicher Ruhm hat schon ganz andere überfordert.