Verschwendung: Warum landet jedes vierte Berliner Schulessen im Müll?

Das Geld ist knapp bei Eltern und Senat. Dennoch erlaubt sich Berlin eine Verschwendung, die 2022 vermutlich bis zu 44 Millionen Steuergeld kosten soll. Warum?

Viele Berliner Schulessen landen auf dem Müll.
Viele Berliner Schulessen landen auf dem Müll.Imago/STPP

In den Berliner Grundschulen werden während des Schulbetriebs offenbar täglich tonnenweise Lebensmittel weggeschmissen. Caterer berichten, dass ein beträchtlicher Teil der Schülermittagessen jeden Tag unangerührt in der Mülltonne landet. Seit dem 1. August 2019 zahlt das Land die Mahlzeiten. Die Eltern bestellen zwar Mahlzeiten, aber viele Kinder holen sie nicht ab. Seit der Kostenfreiheit ist dieser Anteil größer geworden.

Ziel dieser sozialpolitischen Maßnahme war und ist es, jedem Kind eine warme Mahlzeit am Tag zu ermöglichen. Wenige Monate nach Einführung jubelte die damalige Bildungssenatorin Sandra Scheeres bei einem Pressetermin: „Das kostenlose Schülermittagessen kommt gut an.“ Doch offenbar nicht gut genug.

Am Anfang des Schuljahres seien die Kinder noch ziemlich zuverlässig und holten die bestellten Essen auch ab, sagt Maria Girrbach-Heger, die die Essensausgabe im Evangelischen Gymnasium zum Grauen Kloster beaufsichtigt. „Aber am Schuljahresende ist es dann so, dass von 130 angelieferten Mahlzeiten täglich etwa 50 nicht abgeholt werden. Weil die Kinder dann lieber in die Pause gehen, um zu spielen.“

Fast alle Eltern der Schule haben ihre Kinder bei dem kostenlosen Mittagessen angemeldet, berichtet Girrbach-Heger. Dabei haben sie wohl zwei Optionen: Entweder sie bestellen durch oder sie schauen sich mit ihrem Kind den Speiseplan an und ordern nur bestimmte Gerichte. Der Vertrag, den sie mit dem Caterer schließen, verpflichtet sie, ihre Kinder vom Essen abzumelden, wenn diese zum Beispiel krank sind. Dennoch gibt es eine wachsende Anzahl von Eltern, die dieser Verpflichtung nicht nachkommen.

„Es gibt Tage, da liefern wir 400 Essen an eine Schule und müssen 200 Essen wieder mitnehmen,“ sagt Klaus Kühne, der Geschäftsführer des Catering-Unternehmens 3 Köche, das täglich 20.000 Mittagessen an Berlins Grundschulen liefert.

Die Gründe dafür, dass die Gerichte von den Kindern nicht abgeholt werden, sind verschieden. Das kann an der Jahreszeit liegen, am Wetter – lieber spielen als in die Mensa gehen – oder am Rezept.  Diese und andere Faktoren führen bei der Essensdisziplin der Kinder zu Schwankungen, die sich schwer kalkulieren lassen. „Aber im Durchschnitt kann man sagen, dass 25 Prozent der von uns gekochten Schülermittagessen direkt entsorgt werden,“ sagt Kühne.

Nicht an die Tafel geliefert, nicht an die Schweine verfüttert.

Er würde sie gerne bei der Tafel vorbeibringen, aber das dürfe er nicht, weil die Hygienevorschriften in Deutschland so streng seien. „Ein frisch gekochtes Essen darf nur drei Stunden bei 65 Grad warm gehalten und die Wärmeketten dürfen nicht unterbrochen werden, sonst könnte das Essen schon verdorben sein“, schildert Kühne.

Deshalb müssen die übrig gebliebenen Speisen sehr schnell entsorgt werden. Es handelt sich um etwa 1200 Kilogramm täglich, die direkt in die Biogasanlage wandern. „Zu DDR-Zeiten haben wir damit die Schweine gefüttert. Aber das ist heute auch nicht mehr erlaubt, aus Angst vor Seuchen“, sagt Kühne.

An der Qualität des Essens scheint es nicht zu liegen. Inzwischen hat Berlin höhere Standards als andere Bundesländer, die den Caterern vorschreiben, mindestens 60 Prozent Bio-Lebensmittel zu verwenden. Um Preis- und Qualitätsdumping zu verhindern, zahlen die Bezirke einen Einheitspries von 4,39 Euro pro Essen. Girrbach-Heger, die die Speisen von 3 Köche regelmäßig probiert, bestätigt: „Das ist gutes Kantinenessen und durchaus kindgerecht.“ Ist die Verschwendung an allen Schulen gleich ausgeprägt? An den Schulen, wo die Pausen länger seien und die Lehrer mit ihren Schülern gemeinsam in die Mensa gingen, werde weniger weggeschmissen, aber immer noch viel zu viel.

Im Jahr 2022 soll das Schülermittagessen 177 Millionen kosten

Für das Land ist es eine teure Angelegenheit. Eine parlamentarische Anfrage von Katharina Günther-Wünsch, der bildungspolitischen Sprecherin der CDU, hat gerade ergeben, dass das Land Berlin für das kostenlose Mittagessen 2021 rund 112 Millionen Euro ausgegeben hat. 2022 – so die Prognose – sollen es sogar rund 177 Millionen Euro sein.

Offiziell liegt die Essensbeteiligung der Schüler in den letzten drei Jahren bei neunzig Prozent. Aber wenn die Aussagen von Klaus Kühne zutreffen, liegt die tatsächliche Essensbeteiligung nur bei 65 Prozent – und damit kaum höher als in Zeiten, als das Mittagessen noch kostenpflichtig war.

25 Prozent von 112 Millionen, das macht 30,5 Millionen an Steuergeld, die im letzten Jahr sozusagen direkt in der Mülltonne gelandet sind. In diesem Jahr wären es mindestens 44 Millionen. Denn in dieser Prognose sind die Preissteigerungen durch den Ukraine-Krieg noch gar nicht abgebildet, wie Rolf Hoppe, der Geschäftsführer von Luna-Catering, berichtet.

Nicht gehaltenes Versprechen: das digitale Abrechnungssystem

Ein Sprecher der Bildungsverwaltung sagte, dass man diese Verschwendung durchaus als Problem sieht: „Jedes weggeworfene Mittagessen ist ärgerlich, nicht nur aus finanziellen Gründen. Zusammen mit den Bezirken, die ja die Vertragspartner der Caterer sind, wollen wir genau das auch verhindern.“

In die rechtliche Verordnung soll wohl ein Passus aufgenommen werden, der es den Caterern ermöglicht, Kinder vorübergehend vom Essen auszuschließen, wenn sie pro Monat mehr als acht Gerichte nicht abgeholt haben. Außerdem planen die Bezirke die Einführung eines digitalen Abrechnungssystems.

Leider dauert dieser Planungszustand schon ziemlich lange an. Rolf Hoppe sagt, dass die Bezirke schon vor zwei Jahren versprochen hatten, ein digitales Abrechnungssystem zur Verfügung zu stellen. Weil es fehlt, behelfen sich die Caterer – wenn überhaupt – mit Klassenlisten. Dabei wird aber nur geprüft, ob die Kinder berechtigt sind, ein Mittagessen zu erhalten, und nicht, wer mal wieder versäumt hat, es abzuholen.