Kolumne : Warum Deutschlands Bildungssystem besser abschneidet, als es die OECD-Zahlen sagen
Auf die seit 1986 jährlich veröffentlichten OECD-Zahlen ist ein kritischer Blick geboten, meint Peter-André Alt.

BerlinFolgt man der letzten Statistik des Bildungsfinanzberichts, so kommen wir in Deutschland nicht recht vorwärts, wenn es um die Steigerung unserer Investitionen in Schulen und Hochschulen geht. 4,2 Prozent unserer Wirtschaftsleistung gaben wir 2018 für Bildung aus. Damit liegt Deutschland unterhalb des Durchschnitts der 36 OECD-Mitgliedsstaaten, der sich bei fünf Prozent einpendelt. Es reicht also nur zu Mittelmaß, trotz wachsender Studierenden- und Absolventenzahlen und immer höherer Qualifizierung – jeder Dritte in der Gruppe der 25- bis 34-Jährigen hat heute einen Studienabschluss. Dem stehen allerdings in derselben Altersgruppe 13 Prozent ohne jede Berufsausbildung entgegen. Und nur etwa die Hälfte aller Geringqualifizierten geht in Deutschland einer geregelten Arbeit nach. Das sind Werte, die Anlass zur Besorgnis geben.
Zugleich ist ein kritischer Blick auf die seit 1986 jährlich veröffentlichten OECD-Zahlen geboten. Denn nationale Besonderheiten führen hier, wie in vielen Statistiken, zu Verzerrungen. Deutschland etwa gereicht einer der Vorzüge seines Bildungssystems zu Bewertungsnachteilen. Die duale Ausbildung mit ihrer Kombination aus Praxis und Theorie führt seit langem zu einer soliden, auch international anerkannten Qualifikation. In anderen OECD-Ländern werden Fachkompetenzen, die bei uns die Berufsschulen vermitteln, an Hochschulen erlernt. Nur muss das keineswegs heißen, dass die Standards dort höher sind; das Gegenteil ist nicht selten der Fall. Aber für die deutsche Position in der OECD-Statistik bedeutet unser System einen Nachteil. Was nicht durch ein Studium erlernt wird, gilt automatisch als minderwertig. Die duale Ausbildung, um die uns viele Länder beneiden, erscheint als Manko, weil sie statistisch nicht angemessen verortet werden kann.
Ein zweites, mindestens so gravierendes Beispiel: Neben dem öffentlichen Beitrag zur Finanzierung des Bildungssystems bewertet die offizielle OECD-Statistik auch von privaten Haushalten erbrachte Studiengebühren. Länder wie die USA oder das Vereinigte Königreich weisen dementsprechend einen hohen Gesamtbeitrag zum Bildungssystem auf, in dem neben staatlichen zugleich private Leistungen enthalten sind. Das ist umso problematischer, als viele Regierungen außerhalb Deutschlands ihre öffentliche Finanzierung der Hochschulen in den letzten zehn Jahren rücksichtslos heruntergefahren und das System sich selbst überlassen haben. In der Komplettsumme wird das durch die Einrechnung privater Leistungen nicht unmittelbar einsichtig. Natürlich kann man argumentieren, dass die ausschließlich öffentliche Alimentierung der Hochschulen in Deutschland über Steuereinnahmen abgedeckt wird. Auch hier steckt also ein privater Anteil im staatlichen Finanzierungsmodell.
Andererseits gilt es zu betonen, dass Bürger in den USA und Großbritannien doppelt zur Kasse gebeten werden, wenn ihre Kinder an den besten Hochschulen ihres Landes studieren; sie zahlen Steuern und sie erbringen die zumeist exorbitant hohen Studiengebühren. Dass das angloamerikanische System für diese Art von Bezuschussung auch noch durch eine Statistik belohnt wird, in der die privaten Gebührenlasten der Bürger mitzählen, benachteiligt erkennbar das deutsche Modell. Allerdings bleibt auch unsichtbar, was die aktuelle Corona-Krise an den Tag bringt: Dass angloamerikanische Universitäten erheblich unter dem Rückgang ihrer Einnahmen durch das Fernbleiben internationaler Studierender leiden. Diese Art materieller Abhängigkeiten gibt es in Deutschland dank der staatlichen Finanzierung der Hochschulen zum Glück nicht.