0 Uhr 30: Fahrende Unfallstatistik
Es ist nachts, halb eins. Am Alex steige ich ins Taxi. „Wo solls’n hinjehn?“ fragt der Fahrer. „Nach Köpenick.“ – „Juti.“ Wir klären noch genauer, wohin. Dann haut er den Gang rein, und wir fahren los. In der Holzmarktstraße kommt plötzlich ein Schatten von rechts. Ein Radfahrer. Bremsen quietschen. Als der Schreck vorüber ist, beginnen der Fahrer und ich über Beinahe-Unfälle zu reden. Irgendwann gleitet das Gespräch zu echten hinüber.
„Hör mir uff mit Unfälle!“ sagt der Fahrer und fängt an zu gestikulieren. „An ditt Auto hier is nischt mehr orijinal. Is’n richtiger Unjlückswagen.“ O weh, denke ich. Mir wird mulmig. Ich sitze also in einem Unglückswagen! Wir rasen an der Jannowitzbrücke vorbei. Der Fahrer redet weiter. „Die rechte Türe musste ausjewechselt werden. Is mir eena mit’m Motorrad rinjebrettert! Sah nich jut aus. Koffaraumklappe ooch. Iss’n Ell-ka-wee ruffgefahrn. Jott sei Dank nur leicht. Dem Fahrgast is nich allzu ville passiert.“ Wir sausen am Osthafen entlang, nehmen scharf die Kurve zum Ostkreuz. Ich beginne zu schwitzen.
„Frontscheibe war ooch kaputt. Mitten uff de A 100. Bin grade noch anne Seite jekomm. War’n Stein oda watt. Keena weeß, woher.“ Wir brettern an der Rummelsburger Bucht entlang. Mir wird ein bisschen schwindelig, und ich kurbele das Fenster ein Stück runter.
„Bei den großen Sturm vor ein paar Jahre iss’n Ast uffs Dach jefalln. Ick hab ooch imma een Pech!“ Der Fahrer gibt an der Nalepastraße ordentlich Stoff. Nachts fährt es sich hier richtig schön zügig. Ich übe mich in progressiver Muskelentspannung nach Jacobson. „Mootahaube war ooch im Arsch. Da iss’n Radfahrer rübajemacht. Wie’n Stuntman. Dem is nischt passiert. Aber’ ditt Auto war vabeult.“ Auf der Höhe der Wuhlheide versuche ich, ein bisschen zu beten. Dann denke ich: Du betest ja sonst nicht. Und ergebe mich dem Schicksal.
Dieses meint es gnädig mit mir. Hinter der Alten Försterei biegt das Auto unbeschadet in meine Wohngegend ein und hält genau vor dem Haus. Ich atme tief aus, zahle und gebe dem Fahrer ein ordentliches Trinkgeld, weil ich lebendig angekommen bin. Dann fällt mir ein: Mensch, vielleicht ist genau das seine Masche. Auf Angst und Mitleid machen und dann kräftig kassieren!