150 Jahre RAW: Von der Bahnwerkstatt zur Partymeile

„Abendgarderobe erbeten“, heißt es in der Einladung zur offiziellen Geburtstagsfeier des RAW-Geländes – eine seltsame Vorstellung angesichts eines Ortes, an dem sich vor allem Hipster, Skater, Raver, Touristen sowie Dealer, Diebe und sonstige Ganoven tummeln. Die Polizei hat ihn als „kriminalitätsbelastet“ eingestuft. Doch das war nicht immer so. 1867, noch bevor Deutschland ein eigener Nationalstaat wurde, gründete man hier in der Gegend um die Warschauer Straße die Königlich-Preußische Eisenbahnwerkstatt II.

Die Dampfloks trieben den Boom der Gründerjahre an, immer mehr Loks und Güter- wie Personenwaggons mussten gewartet und repariert werden. In dem damals noch dünn besiedelten Außenbezirk der preußischen Hauptstadt entstand im selben Jahr ganz in der Nähe der alte Ostbahnhof als Endpunkt der Königlichen Ostbahn. Schon damals begann die Karriere der Gegend als Vergnügungsviertel mit Bordellen, Nachtlokalen, Billigabsteigen – Bahnhofsmilieu eben.

1882 wurde das Bahnwerk erweitert, weil nun auch die Berliner Stadtbahn zu warten und reparieren war. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs stieg die Mitarbeiterzahl auf 1200 Personen. Den sperrigen Namen Reichsbahnausbesserungswerk, kurz RAW, erhielt das Gelände erst 1920. 1944 wurden bei einem Luftangriff 80 Prozent des Werks zerstört, die DDR richtete es wieder her und verlieh ihm zum 100-jährigen Jubiläum den Namen des von den Nazis ermordeten Kommunisten Franz Stenzer.

Fünf Jahre nach dem Mauerfall kommt die Stilllegung des Werks. 1999 zieht der Verein RAW Tempel mit 30 sozialen und kulturellen Projekten in die Hallen und Werkstätten. Zwei Jahre später präsentiert die Bahn als Eigentümerin eigene Pläne: Sie wolle Wohnungen, Restaurants und ein Hotel errichten. Doch dann verkauft sie lieber an das isländisch-deutsche Unternehmen RED Berlin Development GmbH.

Lange geschieht nichts, Anwohner und das Bezirksparlament von Friedrichshain-Kreuzberg sind gegen den Wohnungsbau – könnte ja sein, dass sich dann die neuen Bewohner über den kulturellen Lärm beklagen. 2015 wird verkauft: Der größere Teil (52 000 der rund 70 000 Quadratmeter) an ein Göttinger Immobilienunternehmen, das verspricht, Kinderzirkus, Theater und Skaterhalle zu erhalten. Auch von neuen Büros, Galerien und Sportstudios ist die Rede.

Der kleinere Teil geht an drei weitere Eigentümer. Wieder wollen die Privaten Wohnungen bauen – wieder verhindert das der Bezirk mit dem Argument, Anwohner könnten die lärmende Kultur auf dem Erwachsenen-Spielplatz einschränken. Im Englischen bedeutet „raw“ übrigens rau oder grob. Das trifft die Sache bis heute.

150 Jahre RAW - Galanacht: Sa, 30.9., 20.30 Uhr, Crack Bellmer, Revaler Str. 99