Täter bis heute unbekannt: In Berlin sind 286 Morde nicht aufgeklärt

Eine erstochene Spandauerin, ein erschossener Neuköllner, mehrere tote Kinder: Manche Morde sind Jahrzehnte her, doch die Polizei sucht weiter die Schuldigen.

Spurensicherung am Tatort.
Spurensicherung am Tatort.imago/Couperfield

Der Täter brach ein Fenster im Erdgeschoss auf und stieg in das Haus ein. Bevor er in dem Zehlendorfer Kinderheim zum Mörder wurde, rauchte er noch eine Zigarette. Dann warf er die Kippe und die leere Schachtel Roth-Händle weg. Beides wurde später von der Polizei sichergestellt.

Im Erdgeschoss erstach er dann eine 51-jährige Erzieherin. Die Polizei zählte 51 Messerstiche. Der Täter schlich in den ersten Stock, wo die Kinder schliefen, und tötete einen Fünfjährigen mit 27 Messerstichen.

Dieser Doppelmord ereignete sich vor 54 Jahren und ist bis heute nicht aufgeklärt – so wie Hunderte andere Kapitaldelikte.

286 Tötungsdelikte sind seit 1968 in Berlin ungeklärt. „Berücksichtigung finden hier auch Vermisstenfälle, bei denen seitens des Landeskriminalamtes Berlin der Verdacht besteht, dass ein Gewaltverbrechen vorliegen könnte“, so Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) in seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des AfD-Abgeordneten Marc Vallendar.

Der Kopf der Leiche wurde nie gefunden

Einige dieser Fälle waren schlagzeilenträchtig. Etwa der Fall Ilse-Maren Graalfs aus Wilmersdorf: Sie verschwand am 21. März 1997. Vier Tage später wurde ihr Torso an der A24 gefunden. Der Kopf der Frau ist bis heute weg. Aus der Wohnung der damals 55-Jährigen fehlte Schmuck. Anfang Mai desselben Jahres hinterließ dann ein Unbekannter auf dem Anrufbeantworter der Tochter der Toten obszöne und beleidigende Botschaften. Die Nummer der Tochter war in einem Adressbuch vermerkt, das ebenfalls aus der Wohnung von Ilse-Maren Graalfs gestohlen wurde. Auch eine Jahre später erfolgte Veröffentlichung der Tonaufnahme brachte keine verwertbaren Ergebnisse.

Der Fall Jürgen Bohm: Der Unternehmensberater wurde am 28. Dezember 2001 gegen 6.15 Uhr beim Joggen im Volkspark Wilmersdorf von einem Mann getötet. Der Täter stach ihm 23-mal in den Kopf.

Der Fall Kirsten Sahling: Die 39-jährige Frau aus Spandau wurde am 20. Juni 2009 gegen 8.50 Uhr beim Joggen im Spandauer Forst (Jagen 31) von einem Mann erstochen. Der Mörder flüchtete auf einem auffällig roten Fahrrad über das Gelände des Evangelischen Johannesstifts. Nach Polizeiangaben hatte die Psychologin, die sich um Krebskranke kümmerte, keine Feinde. Auch in der Nachbarschaft war die Frau sehr beliebt.

Der Fall Burak Bektas: Am 5. April 2012 wurde der 22-Jährige aus Neukölln erschossen. Er stand mit Freunden an einer Bushaltestelle in der Rudower Straße, als ein Unbekannter mit einer Waffe auf die Gruppe zukam und wortlos das Feuer eröffnete. Ein Projektil traf ihn tödlich. Zwei 16 und 17 Jahre alte Jugendliche wurden schwer verletzt. Die Ermittlungen der Polizei blieben bisher erfolglos. Freunde und Familie des Opfers vermuten einen Rechtsradikalen hinter der Tat. Die Polizei hat dafür nach eigener Aussage keine Anhaltspunkte.

Ermittler setzen auf DNA-Spuren

Wenn alle Ermittlungsansätze ausgeschöpft sind, wird ein Fall zu einem Altfall – im Volksmund „Cold Case“ genannt. Aber ein Mörder muss sein Leben lang damit rechnen, doch noch gefasst zu werden. Denn eine Ermittlungsakte wird nie wirklich geschlossen, weil Mord nicht verjährt.

Im Landeskriminalamt kümmert sich deshalb im Dezernat 11, das unter anderem Tötungsdelikte verfolgt, ein Kommissariat für Sonderermittlungen um ungeklärte Mordfälle der letzten Jahrzehnte. Laut Akmann konnten in den vergangenen fünf Jahren fünf Tatverdächtige zu lang zurückliegenden Tötungsdelikten ermittelt werden.

Bei ihren Nachforschungen setzen die Ermittler auch auf neue Techniken wie etwa die Auswertung von DNA-Spuren, was vor Jahrzehnten noch nicht möglich war.

Tatsächlich löst mitunter eine neue DNA-Spur einen alten Fall. So konnte im Jahr 2009 ein Mann überführt werden, der 1992 in Moabit einen 52-Jährigen mit einem Hammer erschlagen hatte. An der Tatwaffe, die Jahre später noch einmal aus der Asservatenkammer geholt und untersucht wurde, fanden sich DNA-Spuren des Täters. Sie konnten ihm zugeordnet werden, weil er bereits wegen eines anderen Deliktes in Haft saß und in der DNA-Datenbank des BKA gespeichert war.

Die Hoffnung auf einen DNA-Treffer hatten die Ermittler im Fall des Kinderheim-Mörders von 1968 auch. Doch die Auswertung der DNA-Spuren an dem von ihm weggeworfenen Zigarettenrest und der Roth-Händle-Schachtel erbrachte nichts.