360-Grad-Aussicht vom Skywalk: Marzahn bietet einen phänomenalen Blick auf Berlin
Jetzt bloß nicht zu lange in die Tiefe schauen, sonst braut das Gehirn ein Horrorszenario zusammen: wie die Stahlkonstruktion mit lautem Getöse zusammenbricht und alles in die Tiefe rauscht. – Natürlich bricht da nichts zusammen, das ist ja dutzendfach festgeschraubt, abgesichert und überprüft. Also schnell nach vorn geschaut zum Horizont, wo der Fernsehturm zu sehen ist und aus der Ferne fast grazil wirkt. Links von ihm erheben sich die Treptowers, noch etwas weiter links raucht ein Schornstein langsam vor sich hin, und dazwischen gibt es jede Menge Plattenbauten, Autos und Bäume, Bäume, Bäume. Und am Himmel fast überm Haus überraschend viele Flugzeuge im Landeanflug auf Tegel.
Es gibt viele Möglichkeiten, sich ein Bild von Berlin zu machen. Zu Fuß, auf dem Stadtplan, aus Wohnungsfenstern, vom Fernsehturm oder gar vom Flugzeug aus. Doch dieser Blick von dort oben auf dem 21-Geschosser in der Marzahner Raoul-Wallenberg-Straße ist so ungewohnt, dass man ihn am liebsten gar nicht abwenden möchte. „Skywalk Marzahn“ hat die Wohnungsbaugesellschaft ihre Aussichtsplattform in 70 Metern Höhe ein bisschen angeberhaft genannt. Nein, im Himmel ist man da oben noch nicht, aber schön ist es. Und definitiv nichts für Menschen, die Angst vor Höhe haben.
„Wir hatten ganz oft Anfragen von Gruppen, die die Marzahner Großsiedlung mal von oben sehen wollten“, sagt der Leiter des Degewo-Kundenzentrums, Dirk Enzesberger. Darunter seien Architektur-Studenten ebenso gewesen wie Reisegruppen, Gäste des Bezirks Marzahn-Hellersdorf oder Stadtplaner. Doch stets musste die Degewo ablehnen. „Die Dächer unserer Häuser sind nicht für eine Begehung geeignet.“ So sei zunächst die Idee entstanden, eine Aussichtsterrasse zu bauen. „Dann aber hat uns einer unserer Ingenieure gefragt: ,Wollt ihr eine Terrasse oder etwas mit Kick?’“
Ein Steg im Nichts
Die Degewo entschied sich für den Kick. Doch leichter gesagt als getan: Bis zur offiziellen Eröffnung am Montagnachmittag dauerte es drei Jahre. Brandschutz, Statiker, Bauamt, Prüfingenieure – das 400 000 Euro teure Skywalk-Projekt hatte viele Beteiligte. Am Ende entstand eine gewundene Treppe, die aus der 21. Etage hinaus aufs Dach des Hauses führt – mit einem frei schwebenden Steg, der fünf Meter lang ist und quasi in der Luft hängt. Das Ganze mündet in einer 5 mal 6 Meter großen Plattform oben auf dem Dach des Gebäudes, die einen Rundum-Blick auf Berlin ermöglicht. Beschriftete Fotografien erklären, was wo zu sehen ist.
„Wir hatten eigentlich erwogen, den Steg aus Glas zu machen“, erzählt Enzesberger. Da das Glas aber ganz dick hätte sein müssen, wäre es nicht mehr richtig durchsichtig gewesen – und hätte zudem die Kosten in die Höhe getrieben. Die jetzige Konstruktion aus Gitterrost sei viel besser, ist man bei der Degewo überzeugt. Sie erhöhe den Kick.
Lange vor dem Bau wurden auch die Bewohner des Hauses über die Plattform in Kenntnis gesetzt. „Wir haben ihnen das Projekt in einer separaten Veranstaltung vorgestellt“, sagt Kundenzentrums-Leiter Enzesberger. Man habe sicherstellen wollen, dass sich die Hausbewohner nicht belästigt fühlen von den Besuchern, die künftig im Haus unterwegs sein werden. 140 Mieter haben die Plattform bereits besichtigt. Im Haus leben 300 Mietparteien.
Der Guide kennt den Fluchtweg
Allein darf die Plattform übrigens niemand betreten: Das geht aus Sicherheitsgründen nur in einer Gruppe und nur in Begleitung eines von zwölf ehrenamtlichen Guides. Der Führer muss die Flucht- und Rettungswege kennen. Einer dieser ehrenamtlichen Skywalk-Guides ist Reinhard Schumacher. Der Rentner lebt seit mehr als 30 Jahren in Marzahn und seit zehn in dem Haus. Er fand die Idee gleich toll. „Ich hab viel Zeit und finde es gut, dass ich für meine Arbeit nicht weit fahren muss.“ Ist kein Besucher da, ist der Weg zur Plattform verschlossen, zur Sicherheit überträgt eine Kamera, was sich dort oben abspielt – die Bilder landen direkt beim Concierge, dem Pförtner im Hochhaus.
Begeistert vom Skywalk ist auch Karin Scheel, die die nahe gelegene Galerie M leitet und das Projekt als Vertreterin der Gewerbetreibenden mitbegleitet hat. „Ich hoffe, dass es auch gut angenommen wird.“
Beim Bezirk hat man daran keinen Zweifel. „Das ist eine touristische Attraktion“, sagt Christian Gräff, Stadtrat für Stadtentwicklung in Marzahn-Hellersdorf. „Und es sorgt für den Aha-Effekt, den Besucher bei uns oft haben: ,Ich wusste ja gar nicht, dass es so schön, grün und heterogen bei Ihnen ist.“