40 Jahre Flughafen Berlin-Tegel: Eine Liebeserklärung an den Flughafen Tegel
Die Fluggastbrücke, die vom Flieger ins Terminal A führt, wirkt schmaler als anderswo, und sie scheint bei jedem Schritt zu schwanken. Im Gebäude empfängt ein grauer Kunststoffboden mit Noppen die Passagiere, noch ein Gruß aus den 1970er-Jahren. Dann heißt es erst einmal warten, bis die Koffer kommen, auf einer herzzerreißend ächzenden Gepäckanlage, die ebenfalls schon ein längeres Dasein hinter sich hat. Will jemand nach dem Flug auf die Toilette? Keine gute Idee. Denn für Männer und Frauen gibt es jeweils nur eine Kabine, und da kann leicht ein langer Stau entstehen. Willkommen in Berlin, willkommen in Tegel!
Tegel, der letzte verbliebene Flughafen im Berliner Stadtgebiet und ein wichtiges Tor zu dieser Stadt. Tegel, der Jubilar: Vor 40 Jahren, am 23. Oktober 1974, wurde die Eröffnung der heutigen Anlage gefeiert, am 1. November 1974 begann dort der Betrieb.
Tegel, das Unikat: Auf keinem anderen Metropolenflughafen in Europa sind die Wege vom Auto zum Check-in so kurz wie im Tegeler Terminal A, kein anderer Airport seiner Klasse leistet sich so viele dezentrale Gates mit jeweils eigenen Kontrollen und ohne dass jeder Passagier erst mal einen Duty-free-Shop durchwandern muss. Tegel, der Unvollendete: Die geplante U-Bahn-Verbindung nach Jungfernheide wurde nie gebaut, anstelle eines zweiten Flugsteigrings mit sechseckigem Grundriss entstand nur eine Ansammlung provisorisch anmutender Einfachstbauten. „Vereinigte Hüttenwerke“, spottete ein Politiker einst.
Tegel, das Wachstumswunder: In den vergangenen 13 Jahren hat sich die Zahl der Fluggäste verdoppelt, in diesem Jahr werden es erstmals mehr als 20 Millionen sein. Die Rekordmarke wird voraussichtlich im November geknackt, kündigt die Flughafengesellschaft an. Wohl kein anderer Airport auf diesem Kontinent operiert schon so lange an der Kapazitätsgrenze, kaum ein anderer hat so lange so hohe Steigerungsraten wie TXL.
Wie bei James Bond
Tegel – trotz der Engpässe und der betagten Infrastruktur aber immer noch ein wunderbarer Arbeitsplatz, schwört Elmar Kleinert, der Betriebsleiter. „Mein Lieblingsplatz ist mein Büro“, behauptet der 53-Jährige. Es gibt nicht viele Arbeitnehmer, die das sagen. Doch Kleinerts Begeisterung lässt sich nachvollziehen.
Von seinem Schreibtisch im fünften Obergeschoss sieht er beide Start- und Landebahnen sowie große Teile des Vorfelds, auf dem fast jeder Stellplatz mit einem Flugzeug besetzt ist. Kleinert sieht viel Betrieb, aber auch viel Enge, und er sieht die alten Fluggastbrücken. „Sie gehören zur ersten Generation“, sind also vier Jahrzehnte alt wie einiges hier. Auch das Design ist oft noch original wie einst von den Architekten Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Klaus Nickels geplant: Beschläge aus abgerundetem Plastik, Bodenbeläge in Aubergine. „Eine Atmosphäre wie bei James Bond“, sagt Kleinerts Mitarbeiterin Katy Krüger, die das Terminalmanagement des Flughafens leitet.
Anders gesagt: Von seinem Büro aus sieht der Geschäftsleiter Operations der Flughafengesellschaft FBB all das, was gut und was problematisch ist in Tegel. Und er hat auch einen großen Teil der Menschen, die Tegel in Schwung halten, im Blick. „Wenn Sie einen Flughafen haben, wo es genug Platz gibt, wo man immer noch ein zusätzliches Gate, eine zusätzliche Abstellposition einrichten kann, ist das nicht schwierig. Doch Tegel ist anders, hier ist Platz ein kostbares Gut“, sagt Kleinert. „Das prägt die Art und Weise, wie hier gearbeitet wird. Wir haben eine sehr gute Mannschaft.“ Der Verkehr in Tegel sei pünktlicher als auf Flughäfen, wo es mehr Platz und weniger Passagiere gibt, sagt Katy Krüger. „Darauf sind wir stolz.“
Dabei leidet TXL unter objektiven Beschränkungen, gegen die auch die beste Mannschaft nichts ausrichten kann. Beschränkungen, die seit einigen Jahren immer schmerzlicher zu spüren sind. Ein Beispiel: Im Laufe der Jahre konnte die Zahl der Abstellpositionen zwar auf 49 erhöht werden, aber mehr Platz für Flugzeuge gibt es definitiv nicht. Pro Stunde sind in Tegel maximal 52 Starts und Landungen möglich. Mittlerweile wird dieser Stundenhöchstwert täglich vier Mal erreicht, sagt Kleinert. Dann ist Tegel voll. Ein weiterer Eckwert: Für mehr als 32 Starts pro Stunde reicht die Kapazität der fünf Fluggastterminals nicht aus – Schluss, Ende.
Airlines werden abgewiesen
Die Restriktionen haben für die deutsche Hauptstadt ernste Folgen. Gern würden die Fluggesellschaften noch mehr Verbindungen nach Tegel anbieten, mehr Interkontinentalflüge, die sich Berlin seit Langem wünscht, wären ebenfalls möglich. „Die Nachfrage ist groß, doch wir können leider nicht alle Wünsche der Airlines erfüllen. Und zwar seit vielen Jahren schon“, bedauert Kleinert. Erst am neuen Schönefelder Flughafen BER wäre viel mehr Verkehr möglich. „Wir sind die größten Fans einer baldigen BER-Eröffnung“, sagt der Betriebsleiter. Als sie erfuhren, dass aus der für Juni 2012 angekündigten Inbetriebnahme nichts wird, war das ein Schock, sagt Krüger. „Doch für eine Schockstarre blieb keine Zeit“, so die 37-Jährige. „In Tegel musste es weitergehen, wir mussten weitermachen.“
Lufthansa und Air Berlin stockten ihr Flugangebot mangels BER in TXL auf, und auch die täglichen Herausforderungen wurden nicht weniger: renitente Fluggäste, widriges Wetter. Da gehören die Menschen, die sich Tegel als temporären Wohnort ausgesucht haben und meist unauffällig irgendwo herumsitzen, zu den kleinsten Problemfaktoren. Die Finnin, die vor einigen Jahren monatelang im Flughafen lebte, war kein Einzelfall, sagt Kleinert. „Solche Menschen gibt es immer wieder mal bei uns.“
Weitermachen, das führte auch dazu, dass die Flughafengesellschaft wieder in den totgesagten Airport investierte, 17,5 Millionen Euro. Ein Teil des Geldes kam den Toiletten zugute. Größer sind die Anlagen nicht geworden, aber immerhin. Nächstes Jahr wird es weitere Investitionen geben, kündigt Kleinert an. Unter anderem, damit die betagten Gepäckanlagen durchhalten und die alten Computersysteme funktionstüchtig bleiben. Denn die nächsten Rekordmarken bei den Fluggastzahlen sind in Sicht. Wie lange hält Tegel noch durch? „So lange, wie es nötig ist“, hofft Elmar Kleinert. Totgesagte leben länger.