400 Jahre Zeitungsstadt Berlin: Kalter Krieg wurde in Berlin verschärft über die Medien ausgetragen

Mit der Überschrift „Heroisches Ringen“ erschien am 29. April 1945 letztmalig „Der Panzerbär – Kampfblatt für die Verteidigung Groß-Berlins“. Viele Berliner dürften das vierseitige Propaganda-Blättchen mit der gedruckten Aufforderung „Lesen und weitergeben“ nicht zu Gesicht bekommen haben.

Die Rote Armee hatte sich bereits bis zum Stadtzentrum vorgekämpft. Am 2. Mai 1945 kapitulierte die Hauptstadt des NS-Staates. Nach zwei zeitungslosen Wochen erblickte mit dem Namen „Tägliche Rundschau – Frontzeitung für die deutsche Bevölkerung“ die erste Berliner Nachkriegs-Gazette das Licht der Welt. Herausgegeben und redigiert von der Sowjetischen Militärregierung.

Sowjetische Besatzungsmacht verteilte Zeitungslizenzen

Nach der bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands am 8. Mai hatte die sowjetische Siegermacht für einige Wochen in Berlin die alleinige Befehlsgewalt. US-Amerikaner und Briten übernahmen erst Anfang Juli in ihren Sektoren das Kommando. Moskau nutzte diese Zeit, um sich in der Informationspolitik einen Vorsprung gegenüber den westlichen Besatzungsmächten zu verschaffen.

In kurzer Folge erteilte die sowjetische Militärverwaltung die Lizenz zur Gründung neuer Tageszeitungen, die von ihr gelenkt und kontrolliert wurden – zunächst für die „Berliner Zeitung“ als offizielles Sprachrohr des Magistrats, danach für die Zeitungen der „antifaschistisch-demokratischen Parteien.“ Ihre Titel: „Deutsche Volkszeitung“ (KPD), „Das Volk“ (SPD), „Neue Zeit“ (CDU). Im August kam noch „Der Morgen“, Organ der Liberal-Demokratischen Partei, hinzu. Als die westlichen Alliierten in Berlin einzogen, war die Medienlandschaft von der sowjetischen Besatzungsmacht beherrscht.

„Zone“ und „Kriegstreiber“

Mit eigenen Nachrichtenblättern hielten die angelsächsischen Besatzer in den Westsektoren dagegen. Am 2. August kamen die Briten mit „Der Berliner“ auf den Markt, sechs Tage später starteten die Amerikaner „Die Allgemeine Zeitung“. Sie wurde gegen Ende des Jahres 1945 eingestellt. Als erste deutsche Zeitung in West-Berlin erhielt „Der Tagesspiegel“ eine Lizenz. Die Herausgeber verpflichteten sich zu „einer gerechten, fairen, unparteiischen Darstellung der Ereignisse des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens.“ Kritik an der Militärregierung war freilich tabu.

Mit Erlaubnis der Franzosen, die im August den ihnen zugewiesenen Sektor im Norden Berlins übernommen hatten, startete am 12. November 1945 die Abendzeitung „Der Kurier“. Als weitere Tageszeitungen kamen im britischen Sektor das „Spandauer Volksblatt“ und der „Telegraf“ hinzu. Letzterer trat an die Stelle des britischen „Berliner“.

„Operation Talk Back“

Nach einer Direktive des Alliierten Kontrollrates vom Juni 1945 konnten sämtliche Zeitungen in allen vier Sektoren angeboten und verkauft werden. Das änderte sich im Herbst 1947. Weil sich die Amerikaner – wie es hieß – bösartigen Angriffen und propagandistischen Unwahrheiten kommunistischer Medien ausgesetzt sahen, begannen sie mit einer Gegenkampagne unter dem Titel „Operation Talk Back“. Mit der Folge, dass der freie Pressevertrieb beiderseits eingeschränkt oder untersagt wurde.

Mit der Einführung der D-Mark in West-Berlin und der im Juni 1948 begonnenen sowjetischen Blockade der westlichen Teilstadt verschärfte sich die Situation. Die Moskauer Militärverwaltung unterband den Postversand in die Sowjetzone und ließ den Zeitungsverkauf auf der Straße und in den Kiosken Ost-Berlin zentralisieren. Der westliche Zeitungshandel beantwortete das Verbot mit dem Boykott der Ost-Zeitungen.

Inzwischen waren in Ost-Berlin weitere Zeitungen gegründet worden. Die „Tribüne“ als Sprachrohr der Einheitsgewerkschaft FDGB, die „Junge Welt“, Hausblatt der Freien Deutschen Jugend und „Neues Deutschland“. Nach dem von der KPD erzwungenen Zusammenschluss von Kommunisten und Sozialdemokraten zur SED wurde das ND als Zentralorgan der Regierungspartei zur wichtigsten Zeitung der 1949 gegründete DDR.

Zunächst bestimmten als Zeitungsmacher erfahrene Altkommunisten wie Lex Ende und Rudolf Herrnstadt das Gesicht des Blattes. Sie unterlagen zwar den Weisungen der Parteispitze, hatten aber auch eigenständige Ideen und Realitätssinn. Das wurde ihnen zum Verhängnis. Auf Betreiben von Walter Ulbricht wurde Herrnstadt nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 zum Parteifeind erklärt und auf einen Archivposten in die Provinz verbannt. Für Ende verfügten die Machthaber den Ausschluss aus der SED.

Der Kalte Krieg wurde in Berlin verschärft über die Medien ausgetragen. West-Blätter ereiferten sich über „die rote Diktatur“, attackierten die „Marionetten Moskaus“ und berichteten abfällig über „die Zone“. Die zentral gesteuerten Zeitungen im Osten polemisierten gegen die „Kriegstreiber“ im Westen, deren DDR-Bild geprägt sei von „bourgeoisem Klassenhass, konterrevolutionärem Annexionsstreben und antikommunistischer Verblendung.“ Ein Versuch, den medialen Schlagabtausches wenig zu versachlichen, scheiterte. 1964, drei Jahre nach dem Mauerbau, bot Ulbricht an, westdeutsche Presseorgane wie „Die Zeit“ und die „Süddeutsche Zeitung“ in der DDR zum Verkauf zuzulassen, wenn in der Bundesrepublik das „Neue Deutschland“ verkauft werden könnte. Bonn lehnte unter Verweis auf das KPD-Verbot und auf Staatsschutz-Gesetze ab.

Springer baut an der Mauer

Im September 1956 stieg der Hamburger Verleger Axel Springer als Minderheits-Gesellschafter beim Berliner Ullstein Verlag ein. Drei Jahre später gehörte ihm das traditionsreiche Unternehmen bis auf einen kleinen Anteil ganz. Mit ihm erwarb er die Zeitungen „Berliner Morgenpost“ und „BZ“. Zusammen mit den Lokalausgaben von „Welt“ und „Bild“ gewann Springer im Westteil der Stadt eine publizistische Dominanz. Er setzte sie konsequent im Kampf gegen die verhasste SED-Diktatur ein. Die deutsche Teilung und ihre ersehnte Überwindung wurde Springer zum Lebensthema. Mit der Vision, dass Berlin künftig wieder die deutsche Hauptstadt sein werde, errichtete er seit 1959 im historischen, während des Krieges verwüsteten Zeitungsviertel an der Kochstraße, dicht vor der Sektorengrenze, ein Hochhaus samt Druckerei als Verlagszentrale.

Von seinem Chefzimmer konnte er ab Mitte August 1961 auf die Mauer und die Hauptstadt eines Staates schauen, den er für unrechtmäßig hielt und den die Redakteure seiner Blätter nur in Anführungszeichen schreiben durften. Der Springer Verlag hielt diesen strikten Kurs auch bei, als Willy Brandt als Bundeskanzler seine Ost- und Entspannungspolitik einleitete und eine Verständigung mit der DDR suchte. Unterstützung für diesen Kurs bekam der einstige Regierende Bürgermeister am entschiedensten vom „Spandauer Volksblatt“.

SED-Blätter bekamen ihre täglichen Argumentations-Anweisungen

Auf der östlichen Seite der Mauer wurde die Zeitungslandschaft im Laufe der Jahre immer eintöniger. Die SED-Blätter bekamen ihre täglichen Argumentations-Anweisungen von der Agitations- und Propaganda-Abteilung des Zentralkomitees. Die Zeitungen der Blockparteien wurden vom staatlichen Presseamt auf Linie gebracht. Gewiss, in manchen Ressorts, insbesondere im Feuilleton, gelang es, eigene Akzente zusetzen. Auch konnten Redakteure auf die Fähigkeit ihrer Leser bauen, zwischen den Zeilen zu lesen. Und 1989, in der Vorwendezeit, wurden „Neue Zeit“ und „Der Morgen“ geradezu aufmüpfig.

Das änderte aber nichts am Gesamteindruck, dass sich die Berichterstattung der Ost-Zeitungen über das eigene Land bis zum Ende der Ära Honecker in bedingungsloser Parteilichkeit, in Personenkult und Schönfärberei erschöpfte. „Wir führen keine Fehlerdiskussion“, kanzelte ein ZK-Sekretär Journalisten ab, die nicht mehr ertragen konnten, Anordnungen zu befolgen, die ihrer eigenen Wahrnehmung gesellschaftlicher Wirklichkeit widersprachen.

„Meine Arbeit war die öffentliche Lüge“

„Meine Arbeit war die öffentliche Lüge“, hat Hans-Dieter Schütt, einst Chefredakteur der auflagenstärksten DDR-Zeitung „Junge Welt“ selbstkritisch festgestellt. „Sie hatte lange Beine, denn sie musste der Wirklichkeit andauernd, mit immer größerem Tempo ausweichen.“ Und weiter: „Es ist immer Angst vor der Freiheit, die für eine totalitäre Versuchung anfällig macht. Mein Verhältnis zum Sozialismus entsprach dem Mantel, den man zuknöpft, aber erst beim letzten Knopfloch merkt man, das schon der erste Knopf falsch zugemacht wurde.“