41. Sternfahrt in Berlin soll größte Fahrrad-Demo der Welt werden
Berlin - Sie radeln wieder – auch auf der Stadtautobahn. Rund 150.000 Radfahrer erwartet der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADAC) für diesen Sonntag zur jährlichen Sternfahrt durch Berlin. Pünktlich zum 200. Geburtstag des Fahrrads mobilisiert der Verband zur größten Velo-Demo der Welt. Um ein Zeichen gegen Smog, Lärm und Stau zu setzen, geht es auf 19 Routen aus den Berliner Außenbezirken und dem Umland in die Innenstadt. Für alle anderen, die sonst noch auf den Straßen unterwegs sein wollen, bedeutet der Protest: Es ist Geduld erforderlich. Denn wer nicht zwingend muss, sollte am Sonntag nicht mit dem Auto durch Berlin fahren.
Insgesamt sind die Routen mehr als tausend Kilometer lang. Auf einer Strecke beginnt die Demo sogar mit einer Nachtfahrt: Los geht es dort um 21.30 Uhr vor dem Hauptbahnhof Szczecin (Stettin) in Polen.
Alle Strecken enden am Brandenburger Tor, am großen Stern und der Straße des 17. Juni. Die Polizei sperrt bis von 11 Uhr an in den Nachmittag hinein zahlreiche Straßen, auch Autobahnabschnitte. Wer immer schon mal mit dem Rad über die Avus fahren wollte, kommt um 12.20 Uhr zum Treffpunkt am Bahnhof Wannsee. Kurz darauf wird auch der südliche Stadtring (A 100) mit dem Britzer Tunnel zum Radschnellweg. Treffpunkt: U-Bahnhof Grenzallee um 12.40 Uhr.
Radgesetz im Juni noch nicht fertig
Für Kinder und Familien ist eine kürzere Route in gemäßigtem Tempo geplant. Sie startet um 12.45 Uhr an der Jannowitzbrücke und verläuft über die U-Bahnhöfe Rosa-Luxemburg-Platz (13 Uhr) und Oranienburger Straße (13.15 Uhr) zum Großen Stern (14 Uhr). Dort endet die Kinderstrecke wie die übrigen Routen auf der Straße des 17. Juni. Traditionell klingt der Radlerprotest am frühen Nachmittag während des Umweltfestivals aus, das zwischen 11 Uhr und 19 Uhr am Brandenburger Tor stattfindet.
Der ADFC organisiert die Sternfahrt jedes Jahr – mittlerweile zum 41. Mal. Ziel ist es, für bessere Bedingungen des Radverkehrs und die gleichberechtigte Nutzung des Rads als Verkehrsmittel zu demonstrieren. 200 Jahre nach Erfindung des Fahrrads erlebe man in Berlin einen Fahrradboom, „den die Politik in den vergangenen Jahren beispiellos verschlafen hat“, sagt Eva-Maria Scheel, die Berliner Landesvorsitzende des ADFC. „Radinfrastruktur braucht ausreichend Platz und eigene Qualitätsstandards. Es ist Zeit, umzudenken: Wir wollen Radschnellwege statt Stadtautobahnen“ – ein Seitenhieb auf den Weiterbau der A 100 von Neukölln nach Treptow. Die Teilnehmerzahl bei der Radlerdemo war im vergangenen Jahr unklar. Während die Polizei von 21.000 Radlern sprach, nannte der ADFC Berlin die Zahl 140.000.
1977 fand, damals noch im Westen von Berlin, die erste Demo dieser Art statt – mit nicht einmal 5000 Menschen. „Das ging ganz klein los. Eine Gruppe junger Leute hat die erste Sternfahrt koordiniert, die ’Grünen Radler’,“ erzählt Tilman Bracher, der seitdem mehrmals mitradelte und inzwischen beim Deutschen Institut für Urbanistik (difu) arbeitet. „Es war eine Protestaktion gegen die Auto-orientierte Verkehrspolitik in West-Berlin.“ Während der 70er-Jahre herrschte ein anderes Klima auf Berlins Straßen: „Die Autofahrer waren hochaggressiv. Wir mussten gut zusammenbleiben. Die Polizei hat versucht, die Strecke für uns zu sichern, aber es gab immer wieder Autofahrer, denen die Nerven durchgingen und die die Sperrungen nicht akzeptieren wollten. Ab der zehnten Sternfahrt hat der ADFC die Organisation übernommen und viele Ordner gestellt.“
Volksentscheid Fahrrad Forderungen zu bekräftigen
Die diesjährige Fahrrad-Sternfahrt ist die erste unter dem im Herbst 2016 gewählten rot-rot-grünen Senat. Der Senat hat sich die Stärkung des Radverkehrs auf die Fahnen geschrieben, doch vielen Radaktivisten geht der Fortschritt weiterhin viel zu langsam voran.
Das Team Volksentscheid Fahrrad nimmt die Sternfahrt zum Anlass, um seine politischen Forderungen zu bekräftigen. Bis Ende Juni müsse der Senat das gemeinsam verhandelte Radgesetz als Referentenentwurf in den parlamentarischen Ablauf einspeisen. Nur so könne das Radgesetz noch in diesem Jahr in Kraft treten.
„Es liegt in den Händen von Regine Günther als verantwortlicher Senatorin, dass die Überarbeitung des Entwurfs in den nächsten zehn Tagen abgeschlossen, das Radgesetz bis Ende Juni fertig verhandelt und am 30. Juni als Referentenentwurf online gestellt wird“, so Kerstin Stark, Mit-Initiatorin des Volksentscheids. „Dafür demonstrieren wir.“
„Wir wollen schnellstmöglich einen Referentenentwurf, aber er muss wasserdicht sein“, sagte die Verkehrssenatorin am Freitag. „Mir kommt es nicht auf vier oder sechs Wochen an, sondern wir wollen einen Entwurf, der in allen Diskussionen bestehen kann.“ Dass der Entwurf bis zum 30. Juni vorgelegt wird, sei „ausgeschlossen“, so Günther.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die erste Fahrrad-Demo in Berlin habe 1976 stattgefunden. Richtig ist: Sie fand 1977 statt. Wir bitten für den Fehler um Entschuldigung.