Abriss, Parklets, Bällebad: So könnte Berlin zur Fußgängerstadt werden
Berlin - Am Autobahn-Dreieck Funkturm in Berlin will der Autostrom einfach nicht abreißen. Tag und Nacht rollen Hunderttausende Fahrzeuge einem Lindwurm gleich nach Nord und Süd, erzeugen Lärm und Abgase, zerteilen zwei Stadtquartiere. Zwischen den Fahrbahnen rattert auch noch die S-Bahn durch. Nun macht eine Idee die Runde, die frappierend einfach klingt: Einfach einen Deckel drauf und auf der so gewonnenen Fläche ein neues Stadtquartier entwickeln.
Neuer Stadtraum
Alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus sind sich einig, dass die in einer Senke verlaufende Autobahn überdacht und damit zu einem Tunnel umgebaut werden sollte. Gleiches könnte weiter östlich mit der A100- Verlängerung vom Dreieck Neukölln zum Treptower Park passieren.„Wir gewinnen so neuen Stadtraum für Grünflächen, Sport- und Spielanlagen sowie für Wohnungen“, sagt SPD-Stadtentwicklungsexperte Daniel Buchholz stellvertretend für Politiker auch anderer Parteien. „Das ist eine Jahrhundertchance.“ Vorbild könnte ein Projekte in Hamburg sein, wo die Autobahn 7 im Stadtteil Stellingen an mehreren, insgesamt 3,5 Kilometer langen Abschnitten „gedeckelt“ wird.
Auch anderswo in Berlin gibt es spannende Ideen, um den Menschen einen Teil der jahrzehntelang rein autogerecht konzipierten Stadt zurückzugeben. Eine davon treibt eine Bürgerinitiative im Südwesten voran: Sie fordert den Abriss einer Autobahnbrücke, die seit den 70er Jahren den historischen Breitenbachplatz verunstaltet, und findet dafür zunehmend Unterstützer auf Bezirks- und Landesebene. Ziel sei es, die Stadt „menschengerechter“ zu gestalten, sagt der Sprecher der Initiative Breitenbachplatz, Ulrich Rosenbaum.
Autos, Radfahrer und Fußgänger gleichberechtigt
Auch andere Abschnitte der Stadtautobahn, die als Relikte einer Stadtplanung des vergangenen Jahrhundertes gelten, haben Kritiker in den Blick genommen. So fordert die Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg, die dreispurige Autobahn 103 zwischen Steglitzer Kreisel und Sachsendamm zur vierspurigen Straße „zurückzubauen“. Eine Bürgerinitiative schlug zudem vor, den Autotunnel unter dem Bundesplatz in Wilmersdorf „zuzuschütten“.
Während das noch Zukunftsmusik ist, sind sogenannte Begegnungszonen zumindest als Modellprojekte schon Realität - und werden von Politik und Stadtgesellschaft extrem kontrovers diskutiert. Das Konzept: Autos, Radfahrer und Fußgänger sollen in solchen Straßen gleichberechtigt unterwegs sein, zudem sollen die Straßen eine höhere „Aufenthaltsqualität“ für Anwohner und Besucher bieten.
Die von den jeweiligen Bezirksämtern verantwortete Umsetzung in der Maaßenstraße in Schöneberg und der Bergmannstraße in Kreuzberg polarisiert. So wird die Bergmannstraße durch Parklets verengt. Das sind Sitzgruppen aus Holz und Metall, teils garniert mit Pflanzenkübeln. Zum Verweilen lade hier gar nichts ein, monieren Kritiker. An lauen Sommerabenden sind die Parklets aber gut besetzt.
Grüne Punkte sorgen für Kopfschütteln
Kollektives Kopfschütteln löste jüngst eine Art Bällebad aus: Auf die Fahrbahn wurden an einigen Stellen viele grüne Punkte aufgemalt. „Das dient der Verkehrsberuhigung“, erläuterte Bezirksstadtrat Florian Schmidt (Grüne) der staunenden Öffentlichkeit. Zuletzt musste Schmidt nicht nur Häme, sondern heftige Kritik an seinen Vorstellungen von einer Begegnungszone hinnehmen. Die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg forderte ein Ende des Modellvorhabens, Schmidt will es weiterführen, aber Anwohner stärker einbinden.
Die Gemengelage in der Begegnungszone Maaßenstraße ist - auch ohne grüne Punkte - ähnlich. Radfahrer und Fußgänger freuen sich über langsame Autos und ein Plus an Sicherheit. Autofahrer fluchen über weggefallene Parkplätze, der Lieferverkehr steht in zweiter Reihe und Geschäftsleute beklagen Umsatzeinbußen. „Großen Käse“ nannte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) diese Begegnungszone 2017. Für die von den Grünen in den Senat entsandte Verkehrs- und Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos) sind Begegnungszonen hingegen ein „spannendes Experimentierfeld für die Verkehrswende“.
Autofreie Friedrichstraße
Das kann auch für andere Ideen gelten wie die stunden- oder tageweise Umwidmung von Straßen zu Spielstraßen oder Fußgängerzonen. Letzteres könnte in diesem Sommer in der Friedrichstraße umgesetzt werden. Der Senat und der Bezirk Mitte erwägen, die bekannte Einkaufsmeile in Mitte an mehreren verlängerten Wochenenden für Autos zu sperren. Der ADAC Berlin-Brandenburg begrüßt nach den Worten von Sprecherin Sandra Hass „innovative Ideen zur Stadtgestaltung für eine nachhaltige Mobilität“ und ein „faires Miteinander auf den Straßen“. Das dürfe aber den Autoverkehr nicht pauschal ausbremsen. „Ein Großteil der Berliner Autofahrer und Brandenburger Pendler ist nach wie vor auf ihr Auto angewiesen“, sagt Hass. In Berlin seien 1,2 Millionen Pkw zugelassen - Tendenz steigend.
Für die Mobilitätswende sei der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs vorrangig, so der ADAC. Nötig sei zudem, „ein Gesamtkonzept an den tatsächlichen Bedürfnissen auszurichten und nicht vorrangig Einzelinteressen zu verfolgen oder rein lokalen Aktionismus zu betreiben.“ (dpa)