„Ende der Diskriminierung“: Kopftücher für Berliner Lehrerinnen bald erlaubt?

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Berliner Kopftuchverbot eine Absage erteilt. Für viele deutsche Muslimas ist das ein längst überfälliger Schritt.

Ein pauschales Kopftuchverbot wird es nicht mehr geben. Für viele Muslimas ist das eine große Genugtuung.
Ein pauschales Kopftuchverbot wird es nicht mehr geben. Für viele Muslimas ist das eine große Genugtuung.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Er sorgte vor zwei Jahren für einen ordentlichen Koalitionskrach: Der Vorstoß der damaligen Bildungssenatorin, Sandra Scheeres (SPD), ein Kopftuchverbot an Berliner Schulen vor dem Bundesverfassungsgericht durchzuboxen. Eine muslimische Lehrerin hatte gegen das Land Berlin geklagt, weil sie aufgrund ihres Kopftuches nicht in den Schuldienst aufgenommen worden war. Vor dem Bundesarbeitsgericht hatte sie recht bekommen. Scheeres wollte es nicht dabei belassen, das Neutralitätsgesetz von 2005, das faktisch ein Kopftuchverbot im Staatsdienst darstellte, stand auf dem Spiel. Schon damals wurde sie innerhalb der Berliner Regierungskoalition heftig dafür kritisiert.

Nun hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, die Klage des Landes Berlin nicht zur Entscheidung anzunehmen. Das Neutralitätsgesetz steht damit auf der Kippe, ein pauschales Kopftuchverbot wird es nicht mehr geben. Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) kündigte bereits an, das Gesetz müsse nun dringend geändert werden.

Bisher sieht das Gesetz vor, dass Menschen in Berlin im Staatsdienst, also etwa Polizistinnen, Justizangestellte, Richter, Staatsanwältinnen und eben Lehrer keine religiösen oder weltanschaulichen Symbole und Kleidungsstücke während des Dienstes tragen dürfen. Jüdische Männer also keine Kippa, muslimische Frauen kein Kopftuch, auch Halsketten mit Kreuzen sind nicht erlaubt. Dass dieses Gesetz nun geändert wird, ist vor allem für viele Muslimas eine große Genugtuung.

Bahar Haghanipour (Grüne)
Bahar Haghanipour (Grüne)Grüne

„Ich freue mich riesig über das Ergebnis“, sagt etwa die Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses, Bahar Haghanipour (Grüne) der Berliner Zeitung. „Das Neutralitätsgesetz ist diskriminierend, es bedeutet, dass eine Gruppe von Frauen, die Kopftuch tragen wollen, ausgegrenzt wird, dass diese Frauen nicht frei in ihrem beruflichen Werdegang sind“, sagt sie. Haghanipour, die in Teheran geboren und in Berlin aufgewachsen ist, spricht sich deshalb ebenfalls für eine Änderung des Gesetzes aus.

Das Kopftuch – ein Symbol der Unterdrückung?

Von Befürwortern des Neutralitätsgesetzes wurde bislang immer wieder angeführt, der Staat und auch seine Bediensteten müssten bei der Ausübung ihrer hoheitlichen Dienste neutral sein. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu etwa sagte: „Es geht nicht, dass ein Polizist, der im Hochsommer während des Ramadan um Mitternacht in die Köllnische Heide gerufen wird, weil muslimische Nachbarn beim Fastenbrechen nicht zur Ruhe kommen, ein Kreuz am Hals trägt. Seine Ansprache könnte als nicht neutral wahrgenommen werden.“ In der Justiz könnten solche Symbole zudem Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters säen. Und die Frauenrechtlerin Naïla Chikhi sagte: „Die Schule ist kein Ort der Bekehrung, sondern ein Ort, an dem die Werte der Aufklärung vermittelt werden sollen. Dort gilt es, das zu kultivieren, was verbindet, anstatt auf das zu setzen, was unterscheidet.“

Ganz anders sieht das Sawsan Chebli, SPD-Politikerin und ehemalige Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement. Der Berliner Zeitung sagte sie: „Das Gesetz kommt einer Zwangsentschleierung gleich, es ist nichts anderes als ein Arbeitsverbot.“ Sie selbst kenne viele hoch qualifizierte Frauen, die allein wegen dieses Gesetzes, auf das sich Arbeitgeber in der privaten Wirtschaft berufen würden, keine Arbeit fänden.

Aqilah Sandhu
Aqilah SandhuUniversität Augsburg

Oftmals wird von den Befürwortern des Gesetzes auch angeführt, das Kopftuch sei generell ein Symbol der Unterdrückung von Frauen. Einer solchen müsse der Staat zumindest bei seinen Staatsdienerinnen einen Riegel vorschieben. Aqilah Sandhu sagt dazu: „Das ist eine sehr einseitige Deutung, die im deutschen Kontext empirisch nicht belegt ist.“ Die 32-jährige Juristin aus Augsburg hatte 2015 das Land Bayern verklagt, weil sie während ihres Referendariats ohne gesetzliche Grundlage benachteiligt wurde – wegen ihres Kopftuchs. Sie gewann damals in letzter Instanz. Heute arbeitet sie als Akademische Rätin an der Universität Augsburg. „Dass das Land Berlin versucht hat, sein pauschales Kopftuchverbot durchzuboxen, ist angesichts der klaren Rechtslage zutiefst beschämend, es ging dabei nur um ideologische Beweggründe, mit echter Neutralität hat das nichts zu tun“, sagt sie.

Wie wird das Land Berlin künftig mit seinem Neutralitätsgesetz umgehen? Mit der Entscheidung, nicht zu entscheiden, hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Berlin kurz vor der Wahl ein weiteres Wahlkampfthema beschert. Eine, die sich immer stark für ein Kopftuch ausgesprochen hatte, ist übrigens die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD).