Vor 25 Jahren, am 23. August 1997, wurde das Hotel Adlon wiedereröffnet. Es war das erste neue Gebäude am Pariser Platz, wo der Zweite Weltkrieg und danach die DDR alle alten Prachtbauten zerstört hatten. Der Wiederaufbau des legendären Luxushotels war auch ein Symbol für die deutsche Wiedervereinigung.
Wo sich heute Touristen drängen und für Selfies vor dem Brandenburger Tor posieren, klaffte nach Krieg und der deutschen Teilung eine riesige Baulücke. Mittlerweile ist ein Berlin ohne das Adlon nicht mehr denkbar. Wir haben ein paar Anekdoten zum wohl berühmtesten Hotel Deutschlands zusammengetragen.

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Pause von den wichtigen Männern
Eine Zeit lang arbeitete ich in einem Bürogebäude direkt am Pariser Platz. Das klingt viel besser, als es war. Arbeiten, wo andere Urlaub machen, das heißt in Berlin: täglicher Kampf durch Menschenmassen in kurzen Hosen oder bunten Regenjacken, begleitet von nervtötender Leierkastenmusik. Vom Schreibtisch sah ich in einen Hinterhof.
Brandenburger-Tor-Blick hatten nur die wichtigen Männer im Büro. Wenn ich schnell etwas essen wollte, musste ich mich zwischen der überfüllten, teuren Filiale von Starbucks unten im Haus und der überfüllten, teuren Filiale von Butter Lindner um die Ecke entscheiden.
Aber gegenüber lag das Adlon. Ich wäre von allein nie auf die Idee gekommen, eine Pause dort zu verbringen, ein Kollege schlug das vor, einer der wichtigen Männer. Am späten Nachmittag, zur „Tea Time“. Schon der Teppich, in dem meine Füße ein bisschen versanken, wirkte beruhigend. Dazu die Klaviermusik.
Ich mag Gebäude, die nicht alt sind, aber so tun, als seien sie es, eigentlich überhaupt nicht, sie regen mich wie das Humboldt-Forum oft sogar furchtbar auf. Ich will nichts vorgespielt bekommen. In dem Adlon, das heute am Pariser Platz steht, stecken nicht mehr als hundert Jahre Berliner Geschichte. Es ist nur ein Nachwendebau.
Als ich in das Kissen sank, bildete ich mir trotzdem für ein paar Minuten ein, in der alten Stadt zu sitzen, Berlin, um 1910 vielleicht. Das Historienspiel hatte mich erwischt. Zum grünen Tee (natürlich nicht aus einem Teebeutel) in feinem Porzellan brachte der Kellner eine kleine Etagere mit Gebäck. Ich mochte den Pariser Platz auf einmal und fand es nicht schlecht, hier zu arbeiten. Der Effekt verflog, als ich wieder ins Freie trat, und stellte sich bei späteren Teepausen nicht mehr ein. Aber die Ruhe und das Gebäck mochte ich trotzdem noch. Wiebke Hollersen

Verhoevens Phrasen auf dickfloriger Auslegeware
Ich war immer nur beruflich im Hotel Adlon. Als Reporter kommt man halt rum in seiner Stadt. Das Ambiente des Hotels hat mich dabei nicht so sehr beeindruckt. Da machen – beziehungsweise machten – das Felix, der China Club oder das Tim-Raue-Restaurant Sra Bua deutlich mehr her. Die waren cooler, irgendwie urbaner als die Luxusherberge mit ihren dickflorigen Teppichen und dem Marmorinterieur. Das war eher enttäuschend.
Aber das Adlon ist trotz aller bräsigen Geschäftigkeit auch ein angenehmer Ort der Ruhe – gut geeignet zum Beispiel für Interviews.
Ich kann mich an ein Treffen mit dem Filmemacher Michael Verhoeven erinnern. Es war das Jahr 2010, Berlinale-Zeit, also irgendwann Anfang Februar. Wenn ich mich recht entsinne, dann war Verhoeven im Adlon abgestiegen. Jedenfalls war der Treffpunkt seine Idee. Ich wollte mit Verhoeven über einen seiner Filme sprechen, mit dem er vier Jahrzehnte zuvor für einen Eklat bei den Filmfestspielen gesorgt hatte. Es war ein Anti-Vietnamkriegsfilm namens „o.k.“, mit der damals noch jugendlichen Eva Mattes und Verhoeven selbst in einer Nebenrolle. Auch der unvergessene Rolf Zacher spielt mit.
In dem Film vergewaltigen US-Soldaten eine junge Vietnamesin, am Ende wird sie getötet. Der Film war 1970 ein Fanal, die Berlinale hatte einen fetten Skandal. Die Jury unter Vorsitz eines amerikanischen Filmproduzenten weigerte sich, den Film zu bewerten, der Wettbewerb wurde abgebrochen und endete ohne Preisverleihung. Das war genau 40 Jahre her, ein Jubiläum. Es war ein höchst anregendes und für mich, den deutlich Jüngeren, auch lehrreiches Gespräch über eine längst vergangene Zeit. Und ich staunte über Verhoevens brillantes Gedächtnis, weil er noch so viele Details und Abläufe parat hatte.
Hinterher beim Aufschreiben der Aufnahmen kam die Ernüchterung. Verhoevens zentrale Zitate waren zu guten Teilen wortgleich, wie er sie seit Jahrzehnten zu dem Thema benutzt hatte. Er hatte sie im Laufe der Zeit einfach auswendig gelernt. Das war natürlich auch in Ordnung, aber dann doch ein wenig enttäuschend. Elmar Schütze
Mit Shaggy im Felix
Die 110 Quadratmeter große „Adlon Deluxe Suite“ kostet 5400 Euro. Die „Deluxe Suite Brandenburger Tor“ mit 130 Quadratmetern findet man auf den Buchungsportalen für 8500 Euro pro Nacht – mit Badewanne und Frühstück. Um es im „Shopping Queen“-Jargon zu formulieren: Eine Übernachtung im Hotel Adlon liegt nicht in meinem Budget. Das heißt aber nicht, dass man sich der Fünf-Sterne-Herberge nicht trotzdem nähern kann.
2004 eröffnete die Jagdfeld-Gruppe einen neuen Club auf der Rückseite des Hotels. Felix hieß er, gern wurde er als „In-Club“ bezeichnet, wo „die Reichen und Schönen ein- und ausgingen“. Boris Becker, Hugh Grant, Kylie Minogue, Robbie Williams und Paris Hilton feierten hier. Ob’s an der Dom Pérignon Lounge lag, am 20 Meter langen Bartresen, den fancy Lichtsäulen oder an den VIP-Lounges, in denen man vom Plebs ungestört seinen Schampus schlürfen konnte, man weiß es nicht. Es ging wohl vor allem ums Sehen und Gesehen-Werden. Und als Star hatte man es nach durchzechter Nacht nicht weit bis ins Hotelzimmer. Sehr praktisch!
Auch der jamaikanische Musiker Shaggy hat 2008 bei seinem Berlin-Besuch wohl im Adlon übernachtet. Jedenfalls durften eine Handvoll Journalistinnen, darunter auch ich, den Sänger damals im Felix treffen und mit ihm über seine neue Single plaudern. Eine Kollegin raunte mir vor dem Termin zu, Shaggy sei ein totaler Womanizer und flirte mit allem, was einen Rock trage. Nun, ich hatte eine Hose an und sollte nie erfahren, ob die Kollegin schlicht Unsinn erzählt hatte oder woran es sonst lag, dass Mr. Boombastic mir damals nicht anbot, ihm in seine „Adlon Deluxe Suite“ zu folgen. Das Felix gibt es schon seit Jahren nicht mehr, aber noch heute kommt mir, wenn ich am Adlon vorbeigehe, ein Lied in den Sinn: „Mr. Lover Lover ...“. Anne Vorbringer

Der Super-GAU des Michael Jackson
Als Michael Jackson im November vor 20 Jahren im Hotel Adlon übernachtete, hatte der „King of Pop“ längst einen obskuren Status erreicht, nicht nur als der wohl erfolgreichste Solokünstler aller Zeiten, sondern als gelifteter Freak, der zwar immer noch als Megastar galt, aber längst mehr mit seinen Schönheitsoperationen von sich Reden machte als mit seinen Hits, und seine Kinder Prince Michael und Paris bei Spaziergängen unter Decken vor den Augen vor der Öffentlichkeit versteckte.
Als Jackson 2002 im Adlon übernachtete, warten auf dem Pariser Platz Fans auf ein kurzes Winken des Stars aus der Suite. Jackson trat ans Fenster und hielt dabei sein jüngstes Kind, den neun Monate alten Prince Michael II. über die Brüstung, um ihn den Fans zu präsentieren. Denen stockte der Atem, als der Säugling dem Star im fünften Stock fast entglitt. Michael Jackson entschuldigte sich schriftlich, er habe einen „schrecklichen Fehler“ gemacht. Die Bilder von Jacksons bizarrem Auftritt, der in Berlin einen Bambi verliehen bekommen sollte, gingen um die Welt und verhalfen auch dem erst fünf Jahre alten Hotel Adlon zu globalem Ruhm. Einen Imageschaden hat das Hotel davon indes nicht davongetragen. Marcus Weingärtner

Modenschau und Mitnahme-Mentalität
Ich war noch Volontär bei einem Modemagazin, als ich das erste Mal mit stolz geschwellter Brust ins Adlon einmarschierte. Vorbei am rot livrierten Portier, schnurstracks in die Raucherlounge. Ich hatte einen Interviewtermin, ich glaube, es war der Geschäftsführer der Marke Davidoff, den ich in einer Adlon-Suite treffen sollte. Die Zwischenzeit wollte ich mit einem Cappuccino in besagter holzvertäfelter Raucherlounge überbrücken.
Sanfte Jazzmusik, ein Cappuccino für 8,50 Euro, Geschäftsmänner in akkuraten Anzügen am Nebentisch, die allesamt formvollendet und wohlerzogen aufstanden, als ich mir Feuer geben lassen wollte – ich fühlte mich wie Anna Wintour höchstpersönlich! Genau so, dachte ich damals, wird’s jetzt weitergehen: Termine in einem der besten Hotels der Stadt, teure Heißgetränke, charmante Begegnungen, der pure Luxus. Leider hatten sämtliche Situationen, die ich später dort erleben sollte, rein gar nichts mehr damit zu tun.

Meistens war es die Schau von Anja Gockel, die mich hin und wieder ins Adlon spülte. Und irgendwie schien es bei dieser um alles Mögliche zu gehen – nur nicht um die Mode. Statt eines Fachpublikums war eher die Fanbase der Mainzer Modemacherin zugegen; in bodenlange Kleider gehüllt, mit bodenloser Frechheit ausgestattet. Ganze Horden aufgetakelter Berlin-Besucherinnen stürmten auf viel zu wenige Sitzplätze zu, drückten und drängelten, die Krallen ausgefahren, die Lippen um den Champagner-Piccolo-Strohhalm geschürzt. In den vorderen Reihen saß, wer um jeden Preis gesehen werden wollte – und nicht, wer etwas von der Mode sehen wollte, um dann drüber zu berichten.
Auf Fashion-Week-Showrooms, die im Adlon auch gelegentlich veranstaltet wurden, sah’s nicht anders aus: ein befremdlich berufsfernes Publikum, ein einziges Goodie-Bag-Gegrapsche, Mitnahme-Mentalität vom Feinsten. Völlig unverständlich, warum ausgerechnet im Adlon keine hochwertigen, eleganten Modeveranstaltungen stattfinden. Aber apropos Mitnahme-Qualität: Auf einer Modenschau des Designers Kilian Kerner – die interessanterweise nicht im Adlon, sondern im Ellington Hotel stattfand – steckte in der Goodie-Bag übrigens mal ein Gutschein für das Adlon-Spa. Zwei Stunden Ganzkörpermassage haben mich mit dem Traditionshaus am Pariser Platz dann doch versöhnt. Manuel Almeida Vergara