Ärger über Berliner Nahverkehr: „Pankow ist fast komplett abgeschnitten“
Wir haben Berliner gefragt, ob sie von den derzeitigen Sperrungen der U- und S-Bahn betroffen sind und wie es ihnen damit geht. Ihre Antworten waren meist wütend.

Stella Lee schickt ein weinendes Emoji. Dann schreibt sie, dass sie normalerweise für den Weg zur Arbeit rund 40 Minuten einplane. Sie nehme die U7 bis zur Yorckstraße und fahre dann mit der S-Bahn bis Lichterfelde Süd. Doch die 29-jährige gebürtige Koreanerin braucht jetzt zu ihrem Arbeitgeber, einem Labor, oft doppelt so lang, schreibt sie in einer Nachricht an die Berliner Zeitung. „Ich muss dreimal umsteigen“, dann zählt sie auf: U7 bis Mehringdamm, U6 bis Tempelhof, Ringbahn bis Südkreuz, S25/26 bis Priesterweg. Sie schreibt: „Und es gibt immer Verspätung oder Ausfall!“
Sie gehört damit zur Mehrheit derjenigen, die in einer Umfrage der Berliner Zeitung auf dem Portal Instagram sagten, sie seien von den Sperrungen der U-, S- oder Straßenbahn betroffen. Die Umfrage ist nicht repräsentativ, möglich, dass sich vor allem Menschen gemeldet haben, die sich ärgern.
Grund genug dafür gibt es. Derzeit sind so viele Strecken gesperrt wie lange nicht: Die U2 am Alexanderplatz, die U6 in Richtung Tegel, die Nord-Süd-Strecke der S-Bahn, drei Straßenbahnlinien sowie ab Montag zusätzlich die U1 für mehrere Wochen. Bei der Umfrage beteiligten sich 2300 Instagram-Nutzer. 59 Prozent gaben an, von den Sperrungen betroffen zu sein.
„Weil ihr keine andere Wahl habt“
Wir haben nicht nur auf Instagram, sondern auch am Alexanderplatz viele Berliner gefragt, wie sie die Sperrungen der Bahnstrecken erleben. Christel Bergmann aus Pankow hat vor allem Probleme mit der U2. „Ich muss zweimal umsteigen, wenn ich in die Innenstadt möchte.“ Nun muss die 68-Jährige deshalb auch mit der Straßenbahn fahren – die ebenfalls unterbrochen sei. „Weil auch die S-Bahn in der Nord-Süd-Verbindung nicht fährt, ist Pankow fast komplett vom öffentlichen Verkehr abgeschnitten.“

In der Instagram-Umfrage haben rund 150 Nutzer auch auf die Frage geantwortet, welchen neuen Slogan sie für die BVG vorschlagen würden. Die Verkehrsbetriebe werben mit dem Spruch „#Weilwirdichlieben“. Die Antworten reichten von „Weil wir’s nicht besser können“, über „Ohne uns wäre es noch schlimmer!“, oder „Weil ihr keine andere Wahl habt“ bis hin zu „Wir fahren dich bis zum Rand – des Nervenzusammenbruchs.“ Zumindest haben die Leser der Berliner Zeitung gezeigt, dass sie ihren Humor nicht verloren haben.
51 Prozent können nicht auf ein anderes Verkehrsmittel ausweichen
Am Alexanderplatz sind Dominique Siebert aus Brandenburg an der Havel und sein Kollege Sven Viereck aus Falkensee unterwegs. Beide arbeiten bei der Deutschen Bahn und wissen, warum manche Abläufe sind, wie sie sind. Die Infrastruktur sei kaputtgespart bei der BVG, sagen sie, deshalb müsse jetzt so viel auf einmal gesperrt werden. Die beiden 33- und 31-Jährigen planen regelmäßig einfach eine Stunde extra ein, wenn sie nach oder in Berlin unterwegs sind. Vor allem der Pendelverkehr auf der U2 bereitet ihnen Probleme, weil sie ihn nicht umfahren können. Auto fahren ist für sie bei den hohen Spritpreisen keine Option.
Auch die meisten Nutzer, die bei der Instagram-Umfrage mitgemacht haben, haben keine Möglichkeit, die Sperrungen zu umgehen. Auf die Frage, ob sie auf ein anderes Verkehrsmittel umsteigen können, sagten 51 Prozent: Nein. 24 Prozent können auf das Fahrrad umsteigen und 23 Prozent auf das Auto. Der E-Scooter ist nur für zwei Prozent der Nutzer eine Alternative.
Das größte Ärgernis ist für die meisten die U2-Sperrung, die es nur gibt, weil ein privater Wohnungsbauer nicht genügend Abstand zu einem 100 Jahre alten U-Bahn-Tunnel eingeplant hat. Seitdem sind die Arbeitswege Tausender Menschen in Berlin länger als sonst.

Wibke Müller, die wir ebenfalls am Alex treffen, lebt ebenfalls in Pankow und ist auf die U2 angewiesen. Die 33-Jährige muss pro Strecke zwanzig Minuten mehr einplanen. Für den Pendelverkehr. Weil der noch bis zum Sommer anhalten soll, will Müller, sobald es wärmer ist, versuchen, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. „Der Pendelverkehr ist mir einfach zu stressig“, sagt sie. Ihre Idee für einen besseren Werbe-Spruch für die BVG: „Weil ihr euch fürchtet.“ Sie wolle so auf die sexuelle Belästigung von BVG-Kontrolleuren aufmerksam machen. In dieser Woche war wieder ein solcher Fall bekannt geworden.
„Weil wir es lieben, dich zur Verzweiflung zu bringen“
In der Instagram-Umfrage wollten wir von den Nutzern auch wissen, was das Hauptproblem bei der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin sei. Man konnte einen von vier Punkten wählen. Nur drei Prozent klickten auf „Sicherheit“ als größtes Problem. Eine Mehrheit (63 Prozent) der Teilnehmer sah „Ausfälle und Verspätungen“ als das Hauptproblem. 22 Prozent hielten die mangelnde Sauberkeit in U-Bahnen und Bussen für das größte Problem, elf Prozent die Preise der Tickets. Wollen die Nutzer das 29-Euro-Ticket behalten? 72 Prozent der Teilnehmer waren dafür.
Bleibt nur noch die Frage nach weiteren Ideen für den neuen Slogan für die BVG. Eine Auswahl der weiteren Antworten: „Weil wir Junkies lieben“, „Weil ihr uns egal seid“, „Bald – Vielleicht – Gar Nicht“, „Jeder Gang macht schlank“ oder: „Weil wir es lieben, dich zur Verzweiflung zu bringen“.