Afrikanisches Viertel in Berlin: Königin des Sklavenhandels für den Wedding
Berlin - Eine schwarze Frau aus dem Angola des 17. Jahrhunderts hat Aussichten, Berlinerin ehrenhalber zu werden. Eine der Straßen im Afrikanischen Viertel in Wedding, die bisher nach Vertretern des deutschen Kolonialismus benannt sind, könnte bald den Namen Königin Nzinga tragen – vorausgesetzt, der Vorschlag einer Geheimjury, die Mittes grüne Bezirksstadträtin Sabine Weißler eingesetzt hat, wird tatsächlich umgesetzt. Es handelt sich um eine – nun ja, sagen wir – verblüffende Wahl.
Nzinga (1583-1663) aus dem Stamm der Jaga herrschte über die Reiche Ndongo und Matamba in einer Zeit, als die portugiesischen Kolonialtruppen versuchten, von der angolanischen Küste ins Landesinnere vorzudringen. Sie suchten nach Rohstoffen, erhofften sich ein neues Peru, ein Goldland. Tatsächlich entdeckten sie Silber, Kupfer und anderes – die Großregion um das Kongobecken birgt enorme Bodenschätze. Für Sklaven interessierten sich die Expeditionen ins Inland nicht.
Amazone mit Männer-Harem?
Königin Nzinga führte ihre Krieger persönlich gegen die Eindringlinge in den Kampf. Diese Frau an der Spitze eines Königreiches und ihrer Armee bildete eine durchaus erstaunliche Ausnahme. Überlieferungen beschreiben sie als groß, kräftig und enorm durchsetzungsstark. Eine für Projektionen jeder Art geeignete Figur. Europäische Literaten des 18. und 19. Jahrhunderts interessierten sich für die vermeintliche schwarze Amazone. Marquis de Sade behauptete, Nzinga habe ihre Liebhaber geopfert. Der Missionar Giovanni Cavazzi da Montecuccolo schrieb 1687, sie habe sich als Königin einen Harem von Männern in Frauenkleidern gehalten. Wenn das nicht die Fantasie beflügelt! Heute kommt Nzinga jenen als präsentabel vor, die mehr Frau in der Geschichte und im Straßenbild sehen wollen.
Tatsächlich taugt Nzinga gar nicht für den Genderkult – eher kann sie als Beispiel für weibliche Profit- und Machtgier gelten. Ihren Aufstieg verdankte sie großer Skrupellosigkeit in der innerfamiliären Konkurrenz. Ihren Vorgänger auf dem Ngola-Thron, einen Bruder, ließ sie 1623 ermorden.
Mit den neuen portugiesischen Herren stand sie zunächst auf gutem Fuß. Sie konvertierte zum Katholizismus und nahm den Namen Ana de Souza an. So wie andere Herrscher verteidigte sie aber nicht „die Freiheit“, schon gar nicht im heutigen Sinne, sondern ihr regionales Herrschaftsmonopol – unter anderem das im Sklavenhandel. Die Weißen kauften Menschen an der Küste. Ihre Gier nach Arbeitskräften befeuerte das Sklavengeschäft umso stärker, je mehr Arbeiter auf den Plantagen Brasiliens gebraucht wurden. Doch zur Wahrheit gehört: Die Lieferanten waren afrikanische Fürsten und ihre arabischen Partner.
„Die schwarze Königin, die mit Sklaven handelte“
Die brasilianische Historikerin Joelza Ester Domingues beschreibt die Praxis jener Zeit so: „Den Portugiesen war der Zutritt zum Inneren des Königreiches untersagt. Sie hatten die Sklaven direkt vom Ngola (dem König, in dem Fall Nzinga) zu kaufen. Die Käufe erfolgten als ganze Lieferung, dem Käufer war nicht gestattet, ihn interessierende ‚Stücke‘ auszuwählen. Der Ngola befahl, in die Lieferung auch Alte, Kranke oder körperlich Defekte einzubeziehen, also solche Sklaven, die auf dem Sklavenmarkt in Luanda schwer weiter zu verkaufen waren.“
Der brasilianische Historiker Tomislav R. Femenick, Autor des Buches „Die Sklaven. Von der frühen zur modernen Sklaverei“ schreibt unter der Überschrift „Die schwarze Königin, die mit Sklaven handelte“ über Nzingas einträglichste Geschäftsphase: „Als die Holländer 1641 bis 1648 Angola übernahmen, verbündete sich Königin Jinga mit den neuen Invasoren. Bei jeder Gelegenheit bekundete sie ihr Interesse am Sklavenhandel – in Worten und Taten. Die Holländer erkannten ihr Sklavenmonopol an und zahlten für die von ihr gelieferten Sklaven höhere Preise als die Portugiesen…“ Zehntausende schwarze Menschen gingen auf diese Weise von den Lagerhäusern am Hafen von Luanda auf die sogenannten Negerschiffe (navios negreiros).
Nationale Heroine
Als die Portugiesen wieder zurückkehrten, suchte Nzinga Frieden mit den alten Feinden. Sie lieferte 200 geflüchtete Sklaven an die Portugiesen aus, die in ihrem Territorium Schutz gesucht hatten. Femenicks Fazit: „Profit kennt weder Heimat noch Farbe.“
Die junge Volksrepublik Angola stilisiert Nzinga gern als nationale Heroine, auch in einem romantisierenden Spielfilm mit schönen nackten schwarzen Frauen im Baströckchen. Doch immer mehr angolanische Intellektuelle warnen, die Figur sei gar zu heikel. Nun verfallen Berliner Geschichtsvergessene (oder Ahnungslose?) auf die Idee, Nzinga zur Anbetung anzubieten. Sie ist ohne Zweifel eine hochinteressante Figur, eignet sich zum Verstehen der Tatsache, dass Geschichte voller Facetten, Brüche und gar Abgründe ist. Zur Verehrung aber taugt sie nicht.