„Alte weise Männer“: Eine Liebeserklärung von Franca Lehfeldt und Nena Brockhaus
Im Interview erteilen Lehfeldt und Brockhaus dem männerfeindlichen, moralisierenden Feminismus eine Absage. Ihr Buch ist eine Hommage an eine bedrohte Spezies.

Eine paradoxe Schieflage prägt die deutsche Debattenkultur, beklagen die Journalistinnen Franca Lehfeldt und Nena Brockhaus: Wir als Gesellschaft wollen vielfältig und integrativ sein, dennoch üben wir eine gelebte Altersdiskriminierung aus. Dabei ist der alte weiße Mann zum Totschlagargument und Feindbild geworden. Der sich in seine Ecke zurückzuziehen hat und den jungen Feministen die Welt überlassen soll.
Die beiden bekannten Fernsehmoderatorinnen von Bild und Welt geben mit ihrem Buch „Alte weise Männer“ den Grauhaarigen – soweit Haare noch vorhanden sind – eine Stimme und neue Sichtbarkeit. Männern, die für Tugenden wie Leistungsprinzip, Opferbereitschaft und Pflichterfüllung stehen.
Für die beiden Autorinnen sind Mario Adorf, Heiner Lauterbach, Thomas Strüngmann, Wolfgang Reitzler, Stefan Aust, Heiner Bremer, Claus-Holger Lehfeldt, Peer Steinbrück, Edmund Stoiber und Herbert Reul bei Weitem keine alten weißen Männer, sondern Männer mit wichtigen Weisheiten, die auch in Zeiten von „Women’s Empowerment“ gehört werden sollten.
Im Interview mit der Berliner Zeitung geht es um weitaus mehr: um Feminismus, Quote, Geschlechterkampf; um die Fragen, warum die bekennende Alice-Schwarzer-Feministin Nena Brockhaus gerne ein Männerrechtler wäre und zu welcher Kategorie Mann Franca Lehfeldts Ehemann, Bundesfinanzminister Christian Lindner, gehört.
Franca Lehfeldt, warum braucht es dieses Buch?
Dieses Buch ist für uns eine Überzeugungstat. Ein alter weißer Mann zu sein, ist in der Gesellschaft längst kein Gütesiegel mehr. Im Gegenteil. Seine Lebenserfahrung zählt nicht mehr. Dabei spricht man seit einiger Zeit von der inklusiven Gesellschaft: Es soll niemand ausgeschlossen werden, zwischen den verschiedenen Gruppen der Bevölkerung soll ein offener Austausch stattfinden. Warum trifft das auf die alten weißen Männer nicht zu? Das ist ein Widerspruch. Die Stigmatisierung wollen wir durchbrechen. Dafür haben wir mit zehn Männern gesprochen, die älter als 70 sind. Unsere Definition des alten weisen Mannes basiert auf seiner individuellen Lebensleistung und dem Wertesystem, das er vertritt.
Nena Brockhaus, ich merke, Sie wollen da noch was ergänzen ...
Wir sagen lieber „alte weise Männer“ – an die das Buch eine Liebeserklärung ist. Der Kampfbegriff „alter weißer Mann“ missfällt uns. Wir wollen als Gesellschaft vielfältig und integrativ sein. Das ist gerade in unserer Generation etwas Großartiges. Warum tolerieren wir dann gelebte Altersdiskriminierung? Zuletzt war ich baff, als Marie-Agnes Strack-Zimmermann beim Karneval Friedrich Merz als „alten weißen Mann“ tituliert hat. Da dachte ich mir: Karneval hin oder her – das geht gar nicht.
Wir brauchen dringend ein Umdenken in der Gesellschaft. Weg von der pauschalen Männerkritik. Weg von Schubladendenken, hin zu einer diversen Gesellschaft, wo jeder dazugehört und keiner diskriminiert wird – auch nicht die alten weis(s)en Männer. Und ja, mir ist bewusst, dass für Passmann & Co auch eine junge Frau ein alter weißer Mann sein kann. Das Konzept alter weißer Mann wäre schließlich kein paradoxes Wunderwerk der Identitätspolitik, wenn sie nicht auch das andere Geschlecht mit einschließen würden.

Warum diese Auswahl an alten weis(s)en Männern?
Lehfeldt: Als Frauen stellen wir fest, dass aus der Frauenbewegung eine Identitätspolitik geworden ist, die ein Feindbild brauchte. Es ist eben leichter, sich gegen etwas zu definieren, als eigene Werte zu setzen. Alle Interviewpartner sind über 70 Jahre, ihr Wertesystem eint sie. Unser Buch ist eine Hommage an Alter, Erfahrung und Lebensleistung, die nicht relativiert werden darf durch Schubladendenken. Die beiden Journalisten Stefan Aust und Heiner Bremer sind darüber hinaus für mich Mentoren.
Männer daher, weil die alte weiße Frau kein Feindbild ist.
Brockhaus: Abgesehen von Herrn Strüngmann bin ich den Männern, die ich für das Buch ausgesucht habe, nie zuvor persönlich begegnet. Bei mir begann die Auswahl mit der üblichen journalistischen Recherche: Welche Männer kommen überhaupt infrage? Dann habe ich mein Netzwerk nach den Männern befragt. Bevor ich Edmund Stoiber traf, habe ich beispielsweise mit Politikern aus der Union gesprochen. Warum habe ich diese Recherchen gemacht? Ich wollte wissen, ob diese Männer wirklich so sind, wie man sie in der Öffentlichkeit kennt, da ich keine Mogelpackung im Buch haben will – sondern ausschließlich Originale.
Sie gehen mit dem modernen Zeitgeist ins Gericht. Leistungswille, Opferbereitschaft, Pflichterfüllung ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch. Dabei behaupten Sie, dass Tugenden der alten weißen Männer heutzutage nicht mehr existieren. Ist dies nicht ungerecht gegenüber den ganzen jungen Gründern, den Pflegekräften und vielen anderen, die tagtäglich die Gesellschaft und Wirtschaft zusammenhalten?
Lehfeldt: Unser Buch ist keine Anklageschrift. Mit unserer These wollen wir das Individuum in den Mittelpunkt stellen. Diese Tugenden, die wir ansprechen, sind im Berufsleben in den Hintergrund gerückt. Bei einem Einstellungsgespräch stehen andere Punkte im Vordergrund. Wie zum Beispiel: Wie viel Freizeit und Urlaub habe ich? Was kann ich für mich am besten herausholen, so, dass die Work-Life-Balance sich herumdreht und in eine Life-Work-Balance verwandelt.
Ich will betonen, dass wir dies nicht pauschalisieren. Gerade auch Krankenpfleger und Krankenschwestern leisten in diesem Land eine Arbeit mit hohem privatem Verzicht. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist wichtig, es ist gut, wenn es zu weniger Burnouts kommt. Gleichzeitig muss man sagen, die Work-Life-Balance ist die Lebenslüge der jungen Generation. Das Maximum im Job und das Maximum in der Freizeit, das ist nicht zeitgleich umsetzbar. Wer eine Führungsrolle erreichen will, kann nicht Energie in Lifestyle-Sportarten stecken.
Brockhaus: Es gibt klare Studien, die sagen, dass für 88 Prozent der Jugendlichen eine Balance zwischen Arbeit und Freizeit das Wichtigste am Beruf ist. Am besten zusammengefasst ist das Ergebnis der Trendstudie „Jugend in Deutschland 2022“ mit der Aussage eines 21-Jährigen Auszubildenden aus Hessen, der sagte: „Möglichst viel Geld für möglichst wenig Arbeit und Verantwortung.“ Das Leistungsprinzip wird immer mehr verdrängt und von moralischen und überheblichen Zeitgeistdebatten wie gendergerechte Sprache, Quoten und Work-Life-Balance ersetzt. Wir sind ein Land in der Selbstbeschäftigungsfalle, während die internationale Konkurrenz sich längst anschickt, Deutschland in allen Kategorien zu überholen.
Interessant ist, dass gerade zwei junge, moderne und erfolgreiche Frauen den feministischen Zeitgeist kritisieren. Dabei sind Sie beide auch Nutznießerinnen des feministischen Kampfes der letzten 100 Jahre. Warum die Kritik am Feminismus?
Brockhaus: Ohne mutige Frauen wie Alice Schwarzer sähe das Leben von uns Frauen heute anders aus. Das Recht auf die Selbstbestimmung des eigenen Körpers gäbe es beispielsweise nicht.
Doch der heutige Feminismus schreit mir zu sehr „Frau first“. Ich will, dass alle Menschen gleichberechtigt sind.
Lehfeldt: Das ist ein Punkt, über den Nena und ich viel gesprochen haben. Natürlich haben wir der Frauenbewegung, Alice Schwarzer, unseren Müttern und Großmüttern viel zu verdanken. Diese hat aber mit dem Zeitgeist-Feminismus nicht mehr viel gemein. Die Strömung hat aus dem Feminismus ein Geschäftsmodell mit Champagnerglas gemacht und sich ein Feindbild gesucht. Das lehne ich ab.

Was ist denn für Sie Feminismus?
Lehfeldt: Mittlerweile gibt es so viele Strömungen des Feminismus, dass du selbst als Frau überfordert bist. Lieber bezeichne ich mich als Individualistin, da ich für die Gleichberechtigung aller bin – wo mir das Geschlecht, das Alter oder die Hautfarbe egal ist. Für mich ist wichtig, für welche Werte ein Mensch steht und was er verkörpert.
Brockhaus: Ich bin eine Anhängerin des Alice-Schwarzer-Feminismus. Ihr Motto: Freiheit für alle. Vermutlich kann ich mich deswegen mit dem Zeitgeist-Feminismus, der sich auch in pinken Hashtags und „I can buy myself flowers“-Posts niederschlägt, nicht identifizieren. Bei manchen Social-Media-Tafeln wie „Ich trage roten Lippenstift und bin trotzdem klug“ schüttelt es mich regelrecht. Ich warte nur noch auf den „Female friendly“-Joghurt.
Ist der Geschlechterkampf überholt?
Lehfeldt: Es gibt aktuell in unserer Gesellschaft ein Gegeneinander. Ich will es wie beim Fußball erklären, wo es eine Hin- und eine Rückrunde gibt. Nach dem Motto: Die waren dran, nun sind wir dran. Diese Herangehensweise führt nicht zum zivilisatorischen Fortschritt, sondern zu einem Schwarz-Weiß-Denken, das bringt uns um.


Die Frauenquote ist das Sinnbild des feministischen Zeitgeistes. Nicht nur in der Wirtschaft sollen Quoten Frauen unterstützen, sondern auch in der Politik. So wollen insbesondere die Grünen Frauenquoten für Wahlen und Parlamente einführen. Wie sehen Sie feministische Forderungen wie die Frauenquote?
Brockhaus: Schauen wir uns das Beispiel Lambrecht und Pistorius an, das eindrucksvoll bewiesen hat, welchen Schaden paritätische Besetzung anrichten kann.
Lehfeldt: Ich glaube, dass dieses Beispiel der Verteidigungsministerin für die Befürworter der Quote noch Auswirkungen haben wird. Es sollte die Bewegung und die Debatte neu justieren und klären, welchen Einfluss Paritätsversprechen auf zukünftige Wahlkämpfe haben wird. Mann oder Frau zu sein, ist kein Qualitätsmerkmal.
Wenn ich ein Mann wäre, dann wäre ich längst ein Männerrechtler.
Warum sind Männer die besseren Feministen?
Brockhaus: Mein Vater und Francas Vater sind beispielsweise im besten Sinne Feministen, und wir, ihre Töchter, sind für sie Rockstars. Hier gibt es eine Parallele zu Alice Schwarzer, die von ihrem Großvater großgezogen wurde. Er war ihre soziale Mutter. Er lobte sie, wenn sie klug, mutig und eigenständig war.
Um die Gleichberechtigung zu schaffen, brauchen wir genau das. Männer, die den Mädchen von klein auf beibringen, dass sie alles sein und werden können. Unser Buch darf als Plädoyer verstanden werden, verstärkt auf das Individuum zu schauen. Nicht jede junge Frau ist solidarisch, nicht jeder alte Mann von gestern. Es kommt auf die innere Haltung, nicht auf äußere Klassifikation an. Das Geschlecht sagt nichts darüber aus, welche Werte ein Mensch besitzt.
Nena Brockhaus, welcher der interviewten alten weisen Männer hat Sie besonders berührt und warum?
Das Stück von Franca mit ihrem Vater finde ich mutig und journalistisch wertvoll. Obwohl wir engste Freundinnen sind und ich Francas Vater persönlich kenne, hat die Lektüre etwas mit mir gemacht. Von meinen Männern ist es das Interview mit dem Unternehmer und Investor Thomas Strüngmann. Die Begegnungen mit Herrn Strüngmann waren die bislang inspirierendsten meiner Karriere. Für mich ist er die personifizierte Freiheit.
Franca Lehfeldt, für Sie war das Interview mit Ihrem Vater etwas Besonderes. Dabei gehen Sie sehr stark ins Private und der gewohnte journalistische Abstand war nicht gegeben. Wie war diese ungewöhnliche Begegnung mit dem eigenen Vater?
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich dieses Gespräch führe und mit ihm so in die Öffentlichkeit gehe. Mein Vater hat eine Lebensgeschichte, die Romanstoff ist. Wir haben alle Väter, und der Großteil aller Frauen, die ich kenne, schwärmen für ihre Väter. Es gibt eine Diskrepanz zwischen „Ich liebe meinen Vater“ und „Der Mann ist mein Feindbild“. Dies ist nicht miteinander zu vereinbaren. Die Generation meines Vaters geht bald von uns, und ich habe dieses Projekt als Möglichkeit gesehen, deren Lehren festzuhalten.
Das Gespräch habe ich als eine Art Augenöffner geführt – für alle Frauen, die zu kritisch auf die Männer schauen.

Franca Lehfeldt, Sie haben mit Bundesfinanzminister Christian Lindner einen bekannten Mann an Ihrer Seite. Ist er der alte weise Mann – oder der moderne Typ des heutigen Zeitgeistes?
Natürlich wirkt mein Mann mit seinem Interesse für Autos oder Militär sehr klassisch. Er ist die Einladung für jede Form von männlichen Klischees, obwohl er ihnen in keiner Weise entspricht.
Nena Brockhaus, gehört Ihr Mann in die Kategorie „alter wei(s)ser Mann“?
Ja, würde ich schon sagen. So sieht man Unterschiede zwischen meinem Ehemann Caspar und mir auf der einen Seite und auf der anderen Seite Franca und Christian. Caspar und mir ist es beispielsweise wichtig, einen gemeinsamen Familiennamen zu tragen. Generell sind wir, was das Wertesystem betrifft, das konservativere Paar. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten: Sowohl Caspar als auch Christian sind, was die Karrieren ihrer Frauen betrifft, im besten Sinne Feministen. Ein Beispiel: 17 Tage nach der Geburt unseres Sohnes flog ich für ein Fotoshooting nach Berlin. Es war für meinen Mann selbstverständlich, dass er auf unser Kind aufpasst.
Franca Lehfeldt: Wir werden erst in einigen Jahren sehen, ob sich Christian und Caspar für eine Neuauflage unseres Buchs „Alte weise Männer“ qualifizieren. Das kann ja ihr Anreiz sein.
Das Buch „Alte weise Männer“ ist seit dem 1. März im Handel erhältlich.
Transparenzhinweis: Unser Autor Sebastian Ahlefeld und Nena Brockhaus waren in der Vergangenheit Kollegen in einer anderen Redaktion.