Altenheim für Lesben und Schwule bekommt neues Qualitätssiegel

Das Piktogramm am Aufzug zeigt es an: Männer, Frauen und auch weitere, mit *-Zeichen gekennzeichnete Menschen können hier hoch- und runterfahren. Auf der Tafel daneben muss aber nachgebessert werden: „Bewohnerzimmer“ steht da. Das werde noch geändert – in „Bewohner*innenzimmer“, sagt Heimleiter Ralf Schäfer.

Denn das Immanuel Seniorenzentrum Schöneberg in einem Kiez mit einer Community aus Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*- und Inter*-Personen (LSBTI*) verspricht eine passgenaue Pflege für diese Zielgruppe. Diesen Mittwoch bekommt es als erstes Heim bundesweit ein Qualitätssiegel für LSBTI*-sensible Pflege.

Ein Umfeld, frei von Diskriminierung

120 Kriterien umfasst der Katalog, den die Schwulenberatung mit Menschen aus der Community erarbeitet hat. Heime, die das neue Siegel „Lebensort Vielfalt“ haben wollen, müssen einen Großteil erfüllen.

Eines der Kriterien lautet: „Es werden Begriffe der sexuellen Orientierung (etwa „frauenliebend“ oder „schwul“) verwendet, mit denen sich die Bewohner*innen identifizieren.“ Oder: „Es besteht Konsens, dass alle Bewohner*innen ein Recht auf Praktizierung ihrer Sexualität haben.“ Spricht man mit Pflegekräften in Schöneberg, so betonen sie, dass viele Kriterien für sie schon vor den nun absolvierten Fortbildungen selbstverständlich gewesen seien. Manche von ihnen sind selbst nicht heterosexuell und schätzen ein Umfeld, das explizit frei von Diskriminierung sein soll.

Es geht um die eigene Identität

Altenpflegerin Theresa Rahm erzählt von einem Bewohner, dessen Fetisch es war, nachts eine Gummihose zu tragen. Auch Geräusche von Pornofilmen seien auf dem Flur manchmal zu hören. Die Bewohner geben sich offen. Derzeit ist der LSBTI*-Anteil in dem Heim überschaubar: 4 von rund 60 Menschen. Ein Heim allein für die Regenbogen-Community wolle man auch nicht werden, sagt Schäfer. Eine Mischung sei gut.

Schätzungen besagen, dass in Deutschland etwa 8800 LSBTI*-Personen in Heimen gepflegt werden und mehr als 40.000 ambulant.

Darüber hinaus herrsche noch viel Unwissen in der Branche, sagt der Altersforscher und Soziologe Ralf Lottmann. Oft würden unter dem Thema nur sexuelle Praktiken verstanden, dabei gehe es für die Menschen selbst um mehr: ihre Identität. „LSBT-Personen wollen keine Extrawurst, sie wollen nur – wie alle – individuell und mit Blick auf ihre Lebensgeschichte gepflegt werden“, sagt Lottmann.

Kommunikation ist wichtig

Altenpflegerin Rahm erinnert sich an ihre Ausbildung vor rund 20 Jahren und an Berührungsängste von Kolleginnen bei einer lesbischen Bewohnerin: „Ausgrenzende Pflege“, nennt sie das. Und wenn es einmal doch Probleme gäbe, etwa mit Vorlieben wie der Gummihose? Im Team würden dann Absprachen getroffen, so dass zum Beispiel andere Kollegen den Bewohner übernehmen, sagt Rahms Kollege Nils Orsinger.

Ralf Schäfer jedenfalls sieht erste Vorteile, bevor sein Haus das Siegel offiziell überhaupt erhalten hat. Seit es den Hinweis darauf im Internet gebe, bekomme er mehr Bewerbungen von Pflegekräften. (dpa)