Alter Schlachthof in Berlin: Wie sich Bürger gegen Investoren wehren

Berlin - Bunte Tücher wehen im Herbstwind. Sie sind in den Maschendraht des Zauns geflochten, der den letzten noch ungenutzten Teil des früheren Schlachthof-Geländes begrenzt, dort wo Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Lichtenberg aufeinander treffen. Aus ein paar Metern Entfernung ergeben die Tücher einen Schriftzug: „Nicht noch’n Center“.

Eine Bürgerinitiative will hier den Bau eines Kongress- und Einkaufszentrums verhindern – und stattdessen eigene Entwürfe für die Nutzung der brachliegenden Immobilie umsetzen. „Es gibt schon so viele Malls, die nicht weit entfernt sind“, sagt Doreen Bialas, „wir brauchen nicht noch eine.“

Zusammen mit Filip Stahl hat die 40-Jährige den Protest begründet. 2013 lernten sie sich auf einer Hochzeit kennen. Sie kamen ins Gespräch über das Grundstück, beide hatten bereits Ideen entwickelt, wie man es nutzen könnte. Stahl hat mal in der Kulturbrauerei gearbeitet und fand, die vier Bestandshallen des Alten Schlachthofs würden sich gut für Ateliers und Kulturveranstaltungen eignen. Bialas schwebte ein Treffpunkt für den Kiez vor: Patenschaften zwischen Kindern und Senioren, Sportangebote, Urban Gardening.

„Profitables Landbanking“

Als sie feststellten, dass sich ihre Ideen ergänzen, machten sie sich an die Arbeit. Das Ergebnis kombiniert Einflüsse vom Holzmarkt, den Prinzessinnengärten, der Markthalle 9 und dem Tempelhofer Feld. „Es entsteht eine Vernetzung von Handwerk, Kultur, Gewerbe, Gastronomie und Kiezleben“, sagt Stahl. Seit sie 2014 den ersten Anlauf beim Bezirk Pankow genommen haben, ernten Bialas und Stahl positives Feedback: Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne), Bezirkspolitiker von SPD und Linken und selbst Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) finden das Konzept gut. Doch der Zuspruch nutzt nichts: Das Grundstück ist in privatem Besitz.

1993 hatte der Senat die Fläche des in den 1870er-Jahren erbauten Zentralen Vieh- und Schlachthofs als Entwicklungsgebiet festgelegt. Das Areal umfasst 50 Hektar, seit seiner Stilllegung 1991 verkam das Gelände. Das Land investierte 158 Millionen Euro in Infrastruktur und Entwicklung, die Grundstücksverkäufe erzielten später nur 46 Millionen Euro. Vor allem Townhäuser säumen heute die Straßen, statt der geplanten 2 700 Wohneinheiten entstanden weniger als die Hälfte.

Gewinn in kürzester Zeit

Auf dem Grundstück an der Landsberger Allee 104 geschah derweil nichts. Seit 2008 ist es im Besitz der österreichischen Immobilienentwickler UBM und Warimpex, die bereits das andel’s-Hotel auf der anderen Seite des S-Bahngrabens gebaut und 2015 verkauft haben. Irgendwann soll eine Brücke das Hotel mit dem Kongresszentrum verbinden. In den alten Hallen des Schlachthofs sind ein Einkaufszentrum und Gastronomie mit 7000 Quadratmetern Fläche vorgesehen, die Bauanträge gingen kürzlich beim Bezirk Pankow ein.

Ob die Immobilienriesen selbst an der Umsetzung interessiert sind, ist fraglich: In einer Pressemitteilung schrieb UBM im März 2014 von einem „profitablen Landbanking“: Für nur 2,4 Millionen Euro soll das Unternehmen die drei Hektar große Fläche vom Land Berlin erworben haben. Inzwischen dürfte sie ein Vielfaches wert sein. Und durch die im Mai erteilte Baugenehmigung für das Kongresszentrum ist der Wert abermals gestiegen. UBM kann nun selbst bauen oder das Grundstück mit Baurecht veräußern.

Tausende Fahrzeuge täglich

Die Backsteinbauten sind ihrem Verfall überlassen, auf den Dächern der Hallen sprießt das Unkraut. Für Doreen Bialas und Filip Stahl ein unhaltbarer Zustand. Deshalb gründeten sie in diesem Jahr ihre Initiative, verteilten Flugblätter, strukturierten die Aufgaben. 25 Leute gehören zur Kerngruppe, alle zwei Wochen treffen sie sich.

„Wir sitzen jeden Abend ein paar Stunden und recherchieren oder schreiben Mails“, sagt Stahl. Sie haben Akteneinsicht genommen, mit Politikern gesprochen, Gesetze durchforstet. Vor ihm liegt ein dicker Ordner: Baupläne, Konzepte, Mailverkehr. „Es ist vieles fragwürdig“, sagt der 44-Jährige. Der Bebauungsplan basiere auf einem veralteten Verkehrskonzept, dem angrenzenden Hausburgviertel in Friedrichshain – ein Wohngebiet mit Schulen und Kitas – drohe Durchgangsverkehr mit tausenden Fahrzeugen täglich.

Eine Hintertür im Baurecht

„Ich höre häufig von Leuten, die hier schon lange leben, aber niemanden kennen“, sagt Doreen Bialas. „Es gibt in dieser Gegend keinen Ort, an dem sich Leute aus allen Schichten treffen können.“ Das aber sei es, was benötigt werde, auch um soziale Probleme aufzufangen oder zu verhindern.

Die Initiatoren glauben, eine Hintertür entdeckt zu haben: die Änderung des Baurechts. Zwar würden Politiker darauf hinweisen, dass diese Maßnahme Entschädigungszahlungen an die Eigentümer nach sich ziehen würde. Das Baugesetzbuch regelt aber, dass bei einer Änderung oder Aufhebung der zulässigen Nutzung nach einer Frist von sieben Jahren nur vorgenommene Investitionen entschädigt werden. Und die liegen auf dem Schlachthof bei Null.