Antragsflut für Solaranlagen: Stromnetz Berlin kommt nicht hinterher

Der landeseigene Energienetzbetreiber beziffert die durchschnittliche Verfahrensdauer schon jetzt auf fünf Monate. Eine Besserung ist nicht in Sicht.

Strom vom Dach
Strom vom Dachdpa/Marijan Murat

Als Andreas Blessin den Bundeswirtschaftsminister neulich im Fernsehen sagen hörte, dass es jetzt auf jeden ankäme und jede eingesparte Kilowattstunde Energie zähle, ging der Adrenalinspiegel des Diplom-Ingenieurs aus Adlershof senkrecht nach oben. „Ich hätte geliefert, aber man ließ mich nicht“, sagt Blessin. Stattdessen musste er einige Tausend Kilowattstunden Strom buchstäblich in der Sonne verbrennen lassen.

Im vergangenen Dezember hatte sich Andreas Blessin für eine eigene Solaranlage entschieden. Der Köpenicker wollte nicht mehr länger nur über Klimawandel und erneuerbare Energien reden. Die gestiegenen Strompreise, die nach seiner Überzeugung sicher nicht wieder fallen, gaben den letzten Anstoß. Also sollte eine Photovoltaikanlage auf das Dach des Blessin’schen Eigenheims installiert werden und bis zu 800 Kilowattstunden Strom im Monat liefern. Weit mehr, als er selbst benötigt. Der Überschuss sollte ins Stromnetz eingespeist werden und fossilen Strom verdrängen. Das war sein Plan.

Tatsächlich war die 34.000-Euro-Anlage im Februar einsatzbereit. Nutzen konnte Blessin sie jedoch nicht. Denn dafür war noch ein Stromzähler nötig, der nicht nur den Strom misst, der aus dem Stromnetz gezogen wird, sondern auch die von der Solaranlage in das Netz eingespeiste Energie. Zählertausch? Kein großes Ding, dachte der Ingenieur. Doch die Wirklichkeit sah anders aus.

Erst nach mehreren Telefonaten und Beschwerden wurde der Zähler im Juni endlich ausgetauscht. Vier Monate waren bis dahin vergangen, in denen auf dem Dach in Adlershof mehr als 3000 Kilowattstunden Strom hätten produziert werden können. Blessin ist sauer. „Wenn jeder seinen Beitrag leisten soll, dann muss ihm das möglich gemacht werden“, sagt er.

Mehr als dreimal so viele Anträge erwartet wie 2020

Für den Zählertausch an Stromanlagen ist in dieser Stadt das Unternehmen Stromnetz Berlin zuständig. Ein landeseigenes Unternehmen, das lange Zeit dem schwedischen Vattenfall-Konzern gehörte, bis dieser es 2021 dem Land Berlin für 2,1 Milliarden Euro überließ. Auf Nachfrage verweist man auf eine gestiegene Nachfrage. Das Unternehmen erlebe einen „absoluten Antrag-Boom insbesondere für PV-Anlagen“. Binnen eines Jahres habe sich die Zahl der beantragten Anlagen auf 2300 in der ersten Hälfte dieses Jahren mehr als verdoppelt. In einzelnen Monaten, so Unternehmenssprecherin Nadine Kühne, hätten die Anträge den Vorjahresstand sogar um das Dreifache übertroffen. Für das Gesamtjahr rechnet man bei Stromnetz Berlin mit mehr als 5000 Anfragen, während 2020 nur 1500 Anträge zu bearbeiten waren.

Dennoch gibt man sich zuversichtlich. Das Unternehmen tue alles, um dem Ansturm zu begegnen, sagt Kühne. Es sei mehr Personal eingestellt worden, man habe weitere externe Dienstleister hinzugezogen. In Sachen Zählertausch erklärt die Stromnetz-Sprecherin, dass nach erfolgreicher interner Netzverträglichkeitsprüfung der Auftrag an den Bereich Zählermontage weitergeleitet werde. Und: „Die Zählerinstallation erfolgt in der Regel innerhalb der nächsten fünf Arbeitstage.“

Jörg Meyer kann sich über diese Aussage nur wundern. Er hatte für sein Haus im Pankower Ortsteil Buchholz am 10. März eine Anlage samt Stromspeicher installieren lassen. Die Anlage sei auch freigeschaltet worden. Nutzen kann er sie jedoch bis heute nicht, eben weil der Zähler fehlt. Zuletzt hatte er Anfang Juli beim Netzbetreiber Stromnetz Berlin nachgefragt und erfahren, dass der Antrag bearbeitet werde. Man bat um Geduld. „Keine Leute“, bekam er zu hören. Also was nun?

Auf nochmalige Nachfrage räumt das Unternehmen Verzögerungen ein. Bis zum Jahr 2020 habe man die finale Inbetriebnahme und Nutzung einer PV-Anlage noch innerhalb der vorgegebenen Frist von acht Wochen garantieren können, mit vier Wochen sogar meist deutlich darunter gelegen. Der Auftragsanstieg nun habe jedoch alles verändert, sagt Sprecher Olaf Weidner und wird konkret: „Die durchschnittliche Verfahrensdauer bis zur Inbetriebnahme der PV-Anlage hat sich seit 2021 bis Mitte 2022 auf ca. vier bis fünf Monate erhöht.“ Auf einen Zeitpunkt, zu dem die Acht-Wochen-Frist wieder eingehalten werden soll, will man sich bei Stromnetz Berlin „angesichts der nach wie vor steigenden Zahl der Anschlussbegehren“ nicht festlegen.

Neun statt drei Monate Wartezeit

Tatsächlich ist die Lage derzeit für die gesamte Solarbranche kompliziert. Einerseits fehlen wegen reduzierter Produktions- und Transportkapazitäten Solarmodule und wichtige elektronische Bauteile. Zum anderen haben insbesondere der Krieg in der Ukraine und die daraus folgende Unsicherheit bei der Energieversorgung die Nachfrage nach eigenen Sonnenkraftwerken explodieren lassen, die ihrerseits auf einen hierzulande immer offenkundigeren Fachkräftemangel trifft.

Was der neue deutsche Solar-Boom tatsächlich bedeutet, erfährt auch Sascha Brüning täglich. Er ist Chef des Berliner Unternehmens Sunogy, das bundesweit Aufträge an Installationsfirmen vermittelt. Allein in der Region Berlin-Brandenburg seien das derzeit etwa 150 im Monat.

Vor einem Jahr sei sein Unternehmen monatlich bestenfalls auf 30 Aufträge gekommen. Zugleich werde die Wartezeit immer länger. „Vor einem Jahr konnte man sich zwei, drei Monate nach Erstkontakt mit uns einen Kaffee mit eigenem Strom vom Dach kochen“, sagt der Sunogy-Chef. Heute müsse man mit bis zu neun Monaten rechnen.

Beim Berliner Solaranlagen-Installateur Enpal, mit insgesamt etwa 2000 Mitarbeitern und eigener Berufsausbildung einer der großen Akteure im Geschäft, haben sich die Aufträge eigenen Angaben zufolge seit Ende Februar verdreifacht. Doch kann man auf gut gefüllte Lager verweisen. „Wir haben vorgesorgt, wir können bauen“, sagt Wolfgang Gründinger von Enpal.

Derweil sind in der Stadt selbst Großprojekte von Engpässen betroffen. Die landeseigenen Berliner Stadtwerke betreiben auf den Dächern von Mietshäusern der Stadt mehr als 250 Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von etwa 20 Megawatt. In diesem Jahr sollten eigentlich gut 60 weitere Anlagen mit einer Leistung von bis zu 8,5 Megawatt installiert werden, doch wurde das Ziel wegen fehlenden Personals und Materials auf sieben Megawatt zusammengestrichen. Die Schattenseite des Sonnen-Booms.