Vier-Tage-Woche in Berlin: Schwedische Firma testet verkürzte Arbeitszeiten
Die Rucksack-Marke Sandqvist lässt alle Angestellten weltweit weniger arbeiten. Auch ein Berliner darf sich freuen. Macht das Modell in der Stadt bald Schule?

Max Burrau muss nicht lange überlegen. „Ausschlafen“, sagt er. „Ausschlafen und mehr Sport treiben.“ Für ihn stehe schon fest, wie er seine neu hinzugewonnene Freizeit gern verbringen möchte: Seit dieser Woche darf sich der Berliner, der als Storemanager für die schwedische Rucksack-Marke Sandqvist deren Laden auf der Weinmeisterstraße schmeißt, über verkürzte Arbeitszeiten freuen – bei gleichbleibendem Lohn, wohlgemerkt.
Denn das Unternehmen mit Hauptsitz in Stockholm, das neben den Büros und Geschäften in seinem Heimatland auch welche in Paris, London und eben Berlin betreibt, hat testweise die Vier-Tage-Woche eingeführt – für alle rund 50 Angestellten weltweit. In Deutschland betrifft das genau eine Person: Max Burrau eben, der demnächst stets gut ausgeschlafen auf der Arbeit erscheinen dürfte.
Generell hofft man bei Sandqvist, dass die zeitlich entlasteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nun ausgeglichener ihren Dienst antreten. Und dadurch ihre Effizienz erhöhen. „Wenn du dich gut fühlst, dann performst du auch gut“, sagt Sebastian Westin, einer der drei Markengründer, der dieser Tage zur Wiedereröffnung des hübsch renovierten Sandqvist-Stores nach Berlin gekommen war.
Es sind dieselben Hoffnungen, die ohnehin mit der so aktuellen Idee einer regulären Vier-Tage-Woche verbunden sind: Ein angenehmeres Arbeitsumfeld und eine bessere Balance zwischen beruflichem und privatem Leben sollen Motivation und Leistung verbessern. Selbst bei einer verkürzten Arbeitszeit, so die Vorstellung, würde mehr – oder zumindest gleich viel geschafft. Aktuelle Testphasen aus Großbritannien legen dies tatsächlich nahe.

Dort ist gerade der weltweit größte Versuch in diesem Bereich zu Ende gegangen: 61 britische Unternehmen mit insgesamt rund 2900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben die Vier-Tage-Woche testweise eingeführt; 56 davon wollen auch nach Abschluss dieser Testphase dabei bleiben. Weil die Angestellten ausgeruhter und motivierter bei der Sache waren – und deutlich seltener krankheitsbedingt fehlten.
Bei den Beschäftigten konnten wir feststellen, dass die Zahl der Fehltage deutlich zurückgegangen ist.
Die meisten Unternehmen konnten überdies ihre Produktivität steigern oder zumindest halten, meldet Will Stronge vom britischen Thinktank Autonomy, der den Versuch zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von der Universität Cambridge und dem Boston College begleitete. „Bei den Beschäftigten konnten wir feststellen, dass die Zahl der Fehltage deutlich zurückgegangen ist“, wird Stronge in Medienberichten zitiert; die Studienergebnisse konstatieren gar einen Rückgang um 65 Prozent.
Auch zu einem längerfristigen Ausfall etwa durch einen Burn-out sei es demnach signifikant weniger häufig gekommen. Ähnlich gute Ergebnisse hatte zum Beispiel 2021 eine ähnliche Testphase in Island erzielt, in Belgien soll ein entsprechender Versuch bald folgen. In Deutschland und Berlin allerdings bleibt es bisher bei singulären Ausnahmefällen wie Max Burrau, dem Storemanager von Sandqvist. Dem Statistischen Bundesamt jedenfalls liegen keine Zahlen vor, wie viele Berliner Unternehmen schon jetzt auf eine Vier-Tage-Woche bei gleichbleibendem Gehalt bauen.

Und auch der Handelsverband Berlin-Brandenburg (HBB) weiß dazu nichts Konkretes vorzubringen. „Im Einzelhandel, der ja größtenteils sechs Tage die Woche geöffnet ist, dürfte die Einführung einer Vier-Tage-Woche für viele Unternehmen ohnehin schwieriger umzusetzen sein als in anderen Bereichen“, teilt HBB-Geschäftsführer Phillip Haverkamp auf Anfrage mit. „Gerade, wenn sie für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelten soll, hinzu kommt der Fachkräftemangel.“
Wir haben ja nun mal einen Laden, der sechs Tage geöffnet ist, also müssen wir schauen, wie wir uns organisieren.
Auch Max Burrau ist sich noch unsicher, wie er seine verkürzten Arbeitszeiten künftig organisieren kann: Er ist in Berlin der einzige Angestellte von Sandqvist, der in Vollzeit arbeitet; alle seine Kolleginnen und Kollegen arbeiten ohnehin nur Teilzeit. „Wir haben ja nun mal einen Laden, der sechs Tage geöffnet ist, also müssen wir schauen, wie wir uns organisieren“, so Burrau. „Wirklich nur vier Tage zu arbeiten, wird für mich vielleicht schwierig, also denke ich eher darüber nach, das Fünf-Tage-Modell mit jeweils weniger Stunden zu machen.“
Denn auch das ist in der Testphase bei Sandqvist, die auf sechs Monate ausgelegt ist, möglich: Weiterhin fünf Tage arbeiten, dafür aber nur sechs Stunden am Tag, der Lohn bleibt auch hiervon unberührt. „Das Modell soll ja zu den Lebensumständen der jeweiligen Angestellten passen“, sagt Sebastian Westin, der Labelgründer. Dass es aber eben nicht nur auf die individuellen Bedürfnisse, sondern zudem auf die jeweiligen Arbeitsbereiche ankommt, auch das weiß Westin.
„In unseren Stockholmer Büros, in denen 30 Menschen arbeiten, lässt sich das flexibler umsetzen“, sagt er. „In den Geschäften wird es langfristig wohl auf das Fünf-Tage-Modell mit weniger Stunden hinauslaufen.“

Auch Barbara Prainsack, Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Uni Wien, mahnt in einem aktuellen Interview mit dem Spiegel, dass sich die Vier-Tage-Woche eben nicht in allen Branchen und Berufsfeldern so einfach umsetzen lässt. Die Expertin für Gesundheits-, Wissenschafts- und Technologiepolitik sagt allerdings: „Studien zeigen, dass sechs Stunden am Tag optimal für Wohlbefinden und Produktivität wären. Die höhere Produktivität gut erholter Beschäftigter bedeutet, dass sie weniger Fehler machen und besser mit anderen zusammenarbeiten, dass dadurch ganze Teams effizienter werden.“ Und auch, so denn möglich, „für die Vier-Tage-Woche spricht einiges“.
Wer die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich anbietet, hat in den seltensten Fällen Probleme, Arbeitskräfte zu finden.
So klagten Arbeitgeber schon jetzt, dass ihnen die Bewerberinnen und Bewerber wegliefen, wenn Vier-Tage-Wochen und auch Homeoffice überhaupt nicht zur Wahl stünden. „Wer die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich anbietet, hat in den seltensten Fällen Probleme, Arbeitskräfte zu finden“, so Prainsack, die vor wenigen Wochen ihr Buch „Wofür wir arbeiten“ veröffentlicht hat. Sie plädiert dafür, sich von einem Modell zu lösen, in dem die abgesessene Zeit und nicht die Leistung vergütet wird – zumindest in jenen Feldern, in denen sich dies anböte. „Klar, wer 30 statt 40 Stunden am Fließband steht, wird weniger produzieren“, so Prainsack. „In Bürojobs aber kann das anders sein.“
So brechen eben nicht alle Firmen, die eine Vier-Tage-Woche ausprobiert haben, in Begeisterungsstürme aus. Ausgerechnet in Schweden, dem Heimatland der Rucksack-Marke Sandqvist, fiel das Urteil nach entsprechenden Tests im Jahr 2015 gemischt aus. Nur vereinzelte Firmen blieben bei dem Modell – darunter der große Autokonzern Toyota, der sogar seine Schichten für Mechanikerinnen und Mechaniker verkürzt hatte.
Sebastian Westin von Sandqvist will sich von solchen Ergebnissen – ob positiv oder negativ – ohnehin nicht beirren lassen. „Wir glauben einfach, dass das für unsere Firma genau das Richtige ist“, sagt er; dass seine Firma nach der sechsmonatigen Testphase doch noch einen Rückzieher machen und zur alten Regelegung zurückkehren wird, bezweifelt er.
Gut wäre das nicht nur für den Berliner Max Burrau, der sich morgens noch mal umdrehen oder eine Runde Sport treiben will. Auch Sebastian Westin selbst genießt ja ab jetzt die Vier-Tage-Woche. Ausschlafen will er aber trotzdem nicht. „Ich denke eher darüber nach, ein neues Hobby anzufangen“, sagt er. „Oder wieder mehr Musik zu machen.“