Deutsche Teilung wirkt bis heute auf Jugendliche: 25 Prozent fühlen sich „ostdeutsch“

Wie läuft die Aufarbeitung über die DDR? Bei einer Podiumsdiskussion an der HU wurde ein Zwischenfazit gezogen. Ist der „Aufbau Ost“ ein „Nachbau West“?

Die Berliner Mauer im September 1985
Die Berliner Mauer im September 1985imago/teutopress

Jeder vierte Abiturient in den neuen Bundesländern fühlt sich noch heute als Ostdeutscher – wohlgemerkt sind die meisten von ihnen rund um das Jahr 2004 geboren, 15 Jahre nach dem Mauerfall. Die Historikerin Kathrin Klausmeier stellt diese Studie in der Humboldt-Universität (HU) vor. Sie sehen sich als Teil einer „ostdeutschen Erinnerungskultur“, so Klausmeier. Das zeigt: Noch heute wirkt sich die deutsche Teilung auf junge Menschen aus. Iris Gleicke, die ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, nennt diese Jugendlichen „nachgenerationelle Ossis“: Das Phänomen, dass Menschen, die nach der Wende in den neuen Bundesländern geboren wurden, sich vor allem als Ostdeutsche sähen, sei verbreitet.

Die untergegangene DDR und die Wiedervereinigung beschäftigen noch immer die Menschen und auch die Wissenschaft. Wie wurde die SED-Diktatur aufgearbeitet? Welche Leerstellen gibt es in der Debatte bis heute? Fünf Stimmen aus Wissenschaft und Journalismus sind am Dienstag in der Humboldt-Universität zusammengekommen, um auf die deutsche Erinnerungskultur an die DDR-Geschichte zurückzublicken. Neben Klausmeier und Gleicke waren der Journalist Gerald Praschl und Krijn Thijs vom Duitsland Instituut Amsterdam dabei. Moderiert wurde der Abend von der RBB-Journalistin Ulrike Bieritz.

Knapp 30 Menschen sitzen im Hörsaal, die meisten von ihnen älter als 60 Jahre. Gleicke erinnert zunächst an die Unterschiede, die bis heute andauern, auch bei Löhnen und Renten. Und auch xenophobes Gedankengut sei im Osten deutlich verbreiteter. „Das Entscheidende ist, dass wir Ostdeutschen unsere Geschichte nicht für uns behalten“, sagt sie. „Auch wenn sie zum Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft wurde: Das ist eine gesamtdeutsche Geschichte.“ Trotzdem plädiert Gleicke dafür, sich das Land auch vor der Vereinigung als einheitliche Nation vorzustellen.

Uneinigkeit über die „richtige“ Erinnerungskultur

Die Diskussion blieb in weiten Teilen eine sehr akademische. Der niederländische Historiker Krijn Thijs sieht in einer gesamtdeutschen Erinnerung vor allem eine Angleichung des Ostens an den Westen. „Genau das solle aber nicht das Ziel der Wiedervereinigung sein“, sagt er. Ein Rückblick auf die Jahre nach der Wiedervereinigung zeige: „Die Geschichte hat bereits einen anderen Lauf genommen als 1991 angenommen.“ 

Der Journalist Gerald Praschl betont dagegen die Differenzen, die Ost- und Westdeutschland über das letzte Jahrhundert unterschiedlich geprägt hätten. Westdeutschland sei „eine Gesellschaft, die die Freiheit bekanntlich geschenkt bekommen hat“. Die DDR hingegen zeichne sich aus durch eine „friedliche Revolution“ gegen eine menschenverachtende Diktatur.

Die ostdeutsche Geschichte müsse laut Gleicke in NRW und Bayern so intensiv wie in Thüringen und Sachsen vermittelt werden, was über das Schulsystem gelingen könne. In den neuen Bundesländern hätten bis vor Kurzem noch die Lehrpläne der 1990er-Jahre gegolten. Sie handelten vom „Erfolgsmodell BRD“, so Klausmeier. Die Frage des Abends blieb: „Ist der Aufbau des Ostens ein Nachbau des Westens?“