Deutsche Wohnen Enteignen: Aktivisten wollen den Druck erhöhen

Den Volksentscheid hat „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ für sich entschieden, seit der Abstimmung ist nicht viel passiert. An diesem Wochenende lädt die Initiative zur Enteignungskonferenz, um neue Strategien zu entwickeln.

Der Auftakt zur Konferenz fand im großen Hörsaal statt.
Der Auftakt zur Konferenz fand im großen Hörsaal statt.Berliner Zeitung/Markus Waechter

Wie sollen Wohnungen in der Zukunft finanziert werden? Welche Wohnungspolitik soll Berlin bestimmen? Und welche Rolle spielt Artikel 15 bei der Enteignung großer Wohnungskonzerne? Solche Fragen besprechen die Besucherinnen und Besucher in den Workshops der Konferenz zu Deutsche Wohnen & Co enteignen. Das ganze Wochenende über finden in der TU Berlin Workshops, Podiumsdiskussionen und andere Formate statt. Rund 700 Teilnehmende werden bei der Konferenz erwartet.

„Die ganze Stadt spürt den Druck“, sagt Nina Scholz, Journalistin, die sich bei Deutsche Wohnen & Co enteignen engagiert, bei der Auftaktveranstaltung. Scholz weist darauf hin, dass in keinem anderen Land mehr Menschen zur Miete wohnen als in Deutschland, in keiner anderen deutschen Stadt mehr als in Berlin. „Die Stadt wird vor allem von Mieterinnen bewohnt und wir haben Immobilienunternehmen die damit spekulieren.“ Gerade Menschen mit den niedrigsten Einkommen wohnten demnach in Wohnungen, die die größten Wertsteigerungen hatten.

Auch wegen dieser Situation gab es im vergangenen Herbst einen Volksentscheid zu diesem Thema. Bis zu 2000 Aktive haben für die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen über 400.000 Unterschriften gesammelt und Konzepte für Vergesellschaftung von Wohnungen entwickelt. Beim Volksentscheid im September letzten Jahres stimmten die Berlinerinnen und Berliner dann mit 59 Prozent für die Enteignung von Immobilienkonzernen mit über 3000 Wohnungen in Berlin.

Bei der Auftaktveranstaltung am Freitagabend ist der Hörsaal gut gefüllt. Vor allem viele junge Menschen sind gekommen, sie lehnen ihre Unterschenkel an die Klapptische vor ihnen. Auch ein paar ältere Teilnehmer sind da, man erkennt sie an den Köpfhörern, die sie brauchen, weil sie kein Englisch verstehen. Es ist Freitagabend und auf einigen Tischen stehen Bierflaschen. Maske und Abstand bleiben allerdings Pflicht.

Gute Stimmung bei der Auftaktveranstaltung

Während eines technischen Ausfalls gibt es für alle die Gelegenheit, ihre Sitznachbarn kennen zu lernen. Phillip ist von einer Freundin eingeladen worden, die sich bei der Initiative engagiert. Er will sich auf den aktuellen Stand bringen, sagt er. „Ich will wissen, wie es um die Umsetzung des Volksentscheides steht und wie die Stimmung fürs nächste Jahr ist.“

Die Stimmung scheint gut zu sein, bereits nach der Begrüßung durch Tashy Endres jubeln die Zuhörerinnen laut und bedienen sich großzügig an den neuen Stickern, die am Eingang ausgelegt sind. „Der Markt regelt das“ steht auf einem, zu sehen ist eine Wohnungsanzeige bei der 10.000 Euro Miete monatlich für 190 Quadratmeter verlangt werden.

„Die Kommission ist eine Verschleppungsstrategie“

Auf einem gelben Banner am Podiumstisch steht: „Volksentscheid jetzt umsetzen 59,1%“. Seit über eine Million Berlinerinnen und Berliner für die Enteignung gestimmt haben ist noch nicht viel passiert. Der Senat hat aktuell eine Expertenkommission eingesetzt, die Ende April ihre Arbeit aufnahm. Sie soll unter anderem die Frage klären, ob ein Enteignungsgesetz verfassungsgemäß wäre. Mitglieder der Initiative werten das als Verschleppungsstrategie, darunter Isabella Rogner, die Sprecherin.

„Wir hätten uns etwas anderes als die Kommission gewünscht“, sagt Rogner der Berliner Zeitung. Dennoch sei sie froh, dass die Initiative nun drei Leute entsandt habe, um bei der Kommission mitzuarbeiten. „So können wir mit draufschauen, was dort auf politischer Ebene passiert“, sagt sie. Sie sieht es als Aufgabe der Initiative, dranzubleiben und für einen „produktiven Prozess“ zu sorgen.

Die Enteignung wird zur Systemfrage: „Politik orientiert sich am Wachstumsstigma“, sagt Andrej Holm, Stadtforscher an der HU Berlin. Er kritisiert den Glauben an die Abhängigkeit des Wirtschaftswachstum. Auch die internationalen Gäste sprechen sich gegen die Gewinnmaximierung großer Konzerne und kapitalistische Grundprinzipien aus. Doch Melissa Koutouzis aus Amsterdam sagt auch, dass ihre Kampagne Woonprotest gar nicht so ideologisch sei. „Sie will zeigen, dass die Wohnungspolitik verrückt ist“, sagt sie, „so verrückt, dass sogar rechte und konservative Menschen das verstehen sollten.“

Internationale Bewegungen wollen Voneinander lernen

Viele internationale Gäste sind gekommen. Der Titel des Podiums lautet auch: „Die Welt schaut nach Berlin“. Es ist ein selbstbewusster Titel, den die Rednerinnen etwas relativieren. Es gehe vor allem auch um Vernetzung, die Aktivisten wollen voneinander lernen, sowohl auf dem Podium, als auch in den Zuschauerreihen. Für Berlin, da sind sich alles einig, ist die Kürze der Zeit hervorzuheben, in der die Mieten gestiegen sind. In den Jahren 2015 bis 2020 stiegen die Mietausgaben um 44 Prozent. Doch hohe Mieten sind ein weltweites Problem.

Joao Franca ist Aktivist aus Spanien.
Joao Franca ist Aktivist aus Spanien.Berliner Zeitung/Markus Waechter

Es gehe bei der Veranstaltung nicht um Information in eine Richtung oder darum, nur Erfolgsgeschichten zu erzählen. „Wir wissen gerade nicht, wie es weitergeht. Wie setzen wir diesen Volksentscheid um?“, sagt Nina Scholz.  Sie zähle dabei auf die Unterstützung von Verbündeten und Ideen, die im Austausch entstehen.

Joao França ist so ein Verbündeter. Er ist extra für die Konferenz aus Spanien angereist. Der Aktivist hat ein Buch über die soziale Bewegung Plataforma de Afectados por la Hipoteca (PAH) geschrieben. Die Bewegung setzt sich seit 2009 gegen ein Räumungsgesetz ein, dass die Menschen zusätzlich verpflichtet den Rest ihrer Hypotheken an die Bank zurückzuzahlen. Im Buch „PAH ein Handbuch“ teilt er Strategien. Er verfolgt die Geschehnisse um die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen genau. „Wir hoffen, dass wir auf der Konferenz Erfahrungen teilen und davon lernen können, was hier in Berlin passiert.“