Aus dem Takt: Habe ich Long Covid oder bin ich wirklich krank?
Nach der zweiten Corona-Infektion erholte ich mich trotz Impfung nur schleppend. Mein Herz raste ständig, ich fühlte mich unendlich schlapp. Von Long Covid wollte allerdings niemand reden.

Wie fing es eigentlich an? Fühlte ich mich nicht schon vor meinem Urlaub matt? Ich weiß es nicht mehr. Aber eigentlich war ich den ganzen Sommer lang fit. Kein Schnupfen, keine Kopfschmerzen, auch sonst war alles gut. Seit ich nicht mehr rauche, bin ich selten krank. Die Pandemie überstand ich quasi erkältungsfrei, war viel draußen, nie unterwegs mit Bus oder Bahn, sondern mit dem Rad. Ich wohne zentral, das war also kein Problem.
Dann hatte ich Corona, als Corona eigentlich schon kein so großes Thema mehr war. Ich war geimpft, dann geboostert und wurde krank am letzten Tag, bevor die Boosterimpfung ihre volle Wirkung entfalten sollte. Schlimm war's nicht, ich war erkältet, und manchmal ist Erkältet sein ganz schön. Man wird zur Entspannung gezwungen, liegt rum und schaut Filme oder Serien, die man sonst nie schauen würde. Tierfilme oder Wiederholungen von „Mord ist ihr Hobby“.
„Paradenti? Mi scusi, che tipo di paradenti?“
Hätte ich nicht gewusst, dass ich Corona habe, hätte ich es nicht gemerkt. Es fühlte sich an wie jede mittelblöde Erkältung. Nach zehn Tagen war ich wieder vollständig gesund, für mich war's das. Dachte ich. Keine Vorerkrankungen, ich gehörte keiner Risikogruppe an, auch sonst plagte mich nichts. Ich war durch mit dem Thema Corona. Ciao, Baby!
Im Herbst dann der erste große Urlaub seit drei Jahren. So richtig mit Flug, großem Gepäck und dem ersten Cocktail schon um vier. Der Herbst ist allerdings immer ein gesundheitlicher Wackelkandidat für mich, der seltsame Spätsommer schlägt mir auf das Wohlbefinden, ich bin sehr wetterfühlig, und in dieser Jahreszeit spüre ich das besonders. Ich mag das Licht und die letzten warmen Tage, aber der Herbst und ich, wir werden keine Freunde mehr.
Wir flogen nach Neapel, und dort gab's kein Entrinnen, keine Abstandsregeln und keine Maskenpflicht. Kein Mundschutz: „Paradenti? Mi scusi, che tipo di paradenti?“ Es schüttete in Neapel, wir wurden nass und trockneten. Es schüttete so sehr, dass kein Schirm Schutz bot. Wir wurden noch nässer als zuvor, und nach anderthalb Wochen lagen wir beide flach, mein Mann und ich. Draußen tobte das hysterisch-schöne neapolitanische Leben, drinnen röchelten und husteten wir dem Ende unseres Urlaubs entgegen. Der Corona-Test war negativ, auch noch, als wir schon wieder in Berlin waren.
Meine Erkältung wurde schlimmer, mein Mann war gesund. Dann waren wir beide positiv. Der ganze Mist ging von vorne los, nur dass es diesmal schlimmer war als beim ersten Mal. Omikron (erinnert sich noch jemand an Omikron?) hatte mehr Kraft, ich weniger als noch bei der ersten Infektion. Zwei Wochen lang rotzte ich mich durch eine grausige Erkältung, und nur langsam schien es besser zu werden. Keine Tierfilme dieses Mal, ich dümpelte durchs Homeoffice, alle waren plötzlich erkältet, wie aus Solidarität, und als ich mich drei Wochen nach dem vermaledeiten pinkfarbenen Doppelbalken auf dem Tester immer noch beschissen fühlte, schob ich es aufs Wetter. Dann auf das untrainierte Immunsystem, das fast drei Jahre lang in einem Wattebettchen gelegen hatte. Dann auf meine Faulheit, mich endlich wieder abzuhärten. Nach vier Wochen matschigem Dauergefühl fing ich an, meinen Zustand zu ignorieren.
Es ging mir gar nicht so schlecht. Zu gut, um krank zu sein. Zu schlecht, um mir einzureden, es ginge mir wirklich gut. Ständig hatte ich leichte Kopfschmerzen, und ständig war ich müde. Es war aber nicht die Müdigkeit, die man mit einem ausgedehnten Nickerchen bekämpfen kann. Auch nicht mit einem ruhigen Wochenende oder Nahrungsergänzungsmitteln. Ich war von Grund auf erschöpft, wie eine halbvolle Batterie. Halbleer trifft es eher.
Einen Kardiologen-Termin zu bekommen, war ein Glücksfall
Ich kannte diesen Zustand nicht. Also ignorierte ich ihn bis zum Ende des Jahres, das war zehn Wochen nach dem ersten positiven Test meiner zweiten Infektion. Dass ich mich nicht gut fühlte, ignorierte ich auch, als ich zu Beginn des Jahres auf eine Geburtstagsparty ging. Ich wollte lieber daheim bleiben, „Netflix & Chill“, mich ausruhen und auf mehr Energie warten. Aber ich ging aus, denn so konnte es nicht weitergehen.
Ich ging aus und war der letzte, der wieder heimkam. Meine Großmutter hätte gesagt: voll wie eine Strandhaubitze. Das sagt man heute nicht mehr, aber so fühlte es sich an. Das restliche Wochenende schaute ich Tierfilme. Also, wenn ich nicht gerade kotzte.
Das alles wäre nicht so schlimm gewesen, wenn nicht ein seltsames Symptom dazugekommen wäre: Ich hörte mein Herz schlagen, die ganze Zeit. Hinter meinem Trommelfell, mal auf der einen, mal auf der anderen, meist auf beiden Seiten. Ein lautes, beängstigendes Pochen, nicht die Art, die man hört, wenn man im Bett liegt und nicht schlafen kann. Die Art, die sagt: Das ist keine Übung, das ist ein Ernstfall. Ich war jetzt nicht mehr nur erschöpft, ich war jetzt erschöpft und sehr beunruhigt. Das rauschende Pochen, das hinter meinen Ohren pulsierte, hörte nicht auf. Nach einer Woche ging ich zu meinem Ohrenarzt, einem bodenständigen und unaufgeregten Mann. „Ohrenschmalz“, sagte er und spülte mir die Ohren aus. Wenn das Pochen nun nicht weg wäre, sollte ich mir allerdings Gedanken machen, sagte er ruhig und schickte mich heim.
Das Pochen blieb und hielt mich wach, ein beängstigendes Geräusch, mal auf der einen Seite, mal auf der anderen, mal auf beiden Seiten hinter meinem Trommelfell. Morgens war es verschwunden, sobald ich aufstand, war es wieder da. Mein Herz raste, zugleich fühlte ich mich matt. Mein Hausarzt überwies mich zu einem Kardiologen. Ob ich Long Covid habe, fragte ich ihn. Er wich aus, könne sein, aber es sei auch Winter und dunkel, wir alle seien doch sehr erschöpft, sagte er und sah mir in die Augen. Erst mal abwarten, was der Kardiologe sagt zu dem pulsierenden Geräusch, normal sei das jedenfalls nicht.
Einen Kardiologen-Termin zu bekommen, war ein Glücksfall, ein Patient hatte abgesagt, ansonsten sind die Plätze rar, die Wartezeiten lang. So aber saß ich schon eine Woche später mit vielen Menschen in einem Wartezimmer. Die Ärztin war sehr nett. Ob ich ein Corona-Opfer sei, wollte sie mir nicht bestätigen, mein Blutdruck war indes zu hoch, daher wohl die Ohrgeräusche: 155 zu 105, auch vor dem Belastungs-EKG, auch danach und auch bei einer Langzeitmessung über 24 Stunden, bei der sich alle 15 Minuten die Manschette aufpumpt und misst. Ja, das könne mit Corona zusammenhängen, sagte sie. Aber grundsätzlich könne man diese Symptome nach jeder Infektion entwickeln, erklärte sie mir behutsam. Außerdem könne das auch das Alter sein, sagte sie lächelnd. Schönen Dank!
Das war vor vier Wochen, mittlerweile geht es mir besser, über vier Monate nach meiner zweiten Corona-Infektion. Bluthochdruck habe ich allerdings immer noch, die Ohrgeräusche sind aber meist verschwunden, nur ab und an habe ich das Gefühl, nicht richtig durchatmen zu können, auch das sei ein Nebeneffekt bei Bluthochdruck, las ich. Eine weitere Corona-Infektion möchte ich mir allerdings ersparen.