Aus der Sackgasse

An kaum einem Ort lässt sich das Leben der anderen so gut beobachten wie abends vor einem Ladenlokal. 

Ein Spätkauf in Berlin. Besonders abends trifft man hier auf die merkwürdigsten Stadtgestalten.
Ein Spätkauf in Berlin. Besonders abends trifft man hier auf die merkwürdigsten Stadtgestalten.imago/Seeliger

Berlin-Es ist ein milder Abend, auch wenn man sich schon was übers T-Shirt ziehen muss, um den Tag draußen, vor einem kleinen Ladenlokal, mit einem Erfrischungsgetränk ausklingen zu lassen. So tief, wie ruhige Wasser sind, so geschäftig erweist sich gleich diese ruhige Sackgasse. Vier Jugendliche gehen vorbei, zwei weibliche vorweg, dahinter die beiden Jungs. Sie tragen Kleidung, als wären sie auf dem Weg zu einem Rave, und grüßen freundlich. Soll noch mal jemand über die schlecht erzogene Jugend von heute meckern.

Ganz anders dagegen die beiden altersmäßig Erwachsenen auf ihren E-Rollern, die mit Tempo über den Gehweg flitzen, knapp vorbei an den Hauseingängen. Ordnungsgemäß auf der Straße fahren bald darauf wiederum zwei Jugendliche entlang, auch sie auf elektrischen Leihrollern. Bei beiden ragen Angelrouten über die Lenker hinaus. Woher die wohl gerade kommen? Wohin es sie zieht?

Ein angetrunkener Mann torkelt ins Licht und fragt freundlich, was denn hier los sei: „Habt ihr umgebaut?“ Er wähnt sich offenbar gerade an einem anderen Ort, aber das macht ihm nichts. Na ja, vielleicht komme er bei Gelegenheit mal vorbei, sagt er sanft, so wie zu alten Bekannten, die er nach langer Zeit zufällig getroffen hat. Abgang in die Dunkelheit.

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Der Transporter eines Getränke-Lieferdienstes fährt durch die Straße und wendet am Ende im kleinen Kreisel, um vor einer Einfahrt auf der anderen Seite zu halten. Der Fahrer steigt nicht aus, die Lieferzeit ist sowieso seit einer Stunde vorbei. Der Dieselmotor läuft trotzdem, sein schweres Brummen hallt minutenlang von den Hausfassaden der engen Straße wider. In einem Fenster zieht eine Frau die Gardine beiseite, um die Lärmquelle zu lokalisieren, belässt es aber dabei. Anders als ein Nachbar von der anderen Straßenseite, der aus einer Haustür schnellt und den Fahrer anherrscht, den Motor abzustellen. „Es ist zehn Uhr abends, hier schlafen Kinder!“ Der Fahrer zögert erst, doch als der Anwohner sich noch mal umdreht, kehrt Ruhe ein.

Noch mal kommen zwei angetrunkene Männer vorbei, einer läuft zwanzig Meter voraus, lallt „Hallo“, als er passiert, die Rufe seines Kumpels ignorierend. Der fragt kurz darauf nach einer Zigarette, derweil sein Begleiter den Vorsprung ausbaut. Feuer hat er selber.