Ausflug in die Uckermark: Selbstverwirklichung im Paradies
Unser Autor und unsere Fotografin haben sich von Berlin aus auf einen Sonntagsroadtrip in den angesagten Landkreis Uckermark im Brandenburgischen begeben.

Je weiter wir von Berlin aus gen Nordosten gelangen an diesem Sonntagmittag, auf der Autobahn 11, desto öfter begegnen wir Camping-Vans, bestückt mit Booten und mit Fahrrädern. Wir fahren vorbei am Naturschutzgebiet Finowtal–Pregnitzfließ. Kreisende Windräder linker-, weidende Kühe rechterhand. Bei aller Liebe zu Berlin: Es tut einfach gut, der Hauptstadt mal den Rücken zu kehren!
Das Pils ist herb und würzig
Nach einer Stunde sehen wir den Grimnitzsee im nördlichen Landkreis Barnim bei Joachimsthal. Keine Viertelstunde später biegen wir links ein auf den beschaulichen Pfingstberger Damm und dann rechts auf die Dorfstraße im uckermärkischen Flieth-Stegelitz, wo Mohnblumen und Kornblumen am Straßenrand blühen. Wir machen Halt an der Dorfbrauerei samt Biergarten mit dem verwegenen Namen „Die Braut“. „Bierverkostung“ steht verheißungsvoll auf einem Schild auf einem kleinen Fass unter einem sonnenblumengelb-wolkenweiß gestreiften Sonnenschirm.
Wir sind verabredet mit Sarah Raimann und mit Joe Petraschek. Die Brauerei ist ihr Baby. Es ist die erste Saison der beiden mit Selbstgebrautem im eigenen Biergarten. Davon haben sie so schon lang geträumt. Aber dafür haben sie auch hart gebuckelt. An Ostern ging es los. „Drei, vier Nachbarn saßen hier, bei Graupelschauer und in dicke Decken gehüllt“, erzählt Sarah Raimann, eine Frau mit viel Elan und vielen Tattoos. „Nächsten Sommer könnten wir ein Fest machen!“, ergänzt Joe Petraschek, sanft lächelnd und mit ruhigerer Stimme.

Der Mann mit dem Regenbogenmuster-Fan-T-Shirt der Beatsteaks schenkt uns dann vom selbstgebrauten Pils ein. Und obwohl er nicht wirkt wie jemand, der groß Aufhebens um eigene Verdienste macht, sieht er dabei schon ein wenig stolz aus. Wir sitzen auf charmant selbstgebastelten Paletten. Das Pils ist herb und würziger als viele handelsübliche Pils-Sorten. „Das macht der englische East-Kent-Goldings-Hopfen“, verrät Sarah Raimann. „Der bringt so eine kräuterartige Würze mit.“
Und dann erzählt Sarah Raimann davon, wie sie mit 19 nach der Schule von Köln nach Berlin zog; wie sie als Türsteherin jobbte und auch Partys organisiert hat, etwa im SO36 in Kreuzberg; aber wie sie dann auch, mit dem zweiten Kind und nach einer Trennung, den Reiz des Nachtlebens nicht mehr so spürte – und weg wollte aus Berlin. „Mein Herz hatte immer schon für Gärtnern, Landwirtschaft, Natur geschlagen“, sagt sie und lächelt. Also begann sie damals in Eberswalde Ökolandbau zu studieren. Bei Praxisphasen im Studium hatte sie ein ganzes Jahr auf Höfen verbracht. „Und ich habe gemerkt: Das Landleben ist nicht so, wie ich das befürchtet hätte: dass man sehr abgeschottet wäre; dass Kultur fehlen würde. Ich hab in kleinsten Dörfern gelebt, wo nur eine Sandpiste hinführt – und trotzdem gab es da eine lebendige Szene von Leuten, die sich austauschen und Sachen zusammen machen. Sogar kleine Punk-Festivals!“

Auch der Sanddorn wächst hier gut
Seit neun Jahren wohnt Sarah Reimann nun hier in Stegelitz mit ihren beiden Kindern. Im Haus ihrer jetzigen Dorfbrauerei war vorher eine Bäckerei. Den Schornstein der Backstube von einst sieht man noch, er ragt weit über die nachbarlichen Dächer empor. Lust auf Brauereikunst hatte Sarah Raimann hier zwar von Anfang an – wegen der hohen Investitionen ist sie aber doch davor zurückgeschreckt.
Dann lernte sie Joe Petraschek kennen, ihren Partner. Der hatte damals schon einen Brauereikurs belegt – und meinte, das sei kein Hexenwerk. Also haben sie in kleinem Maßstab zuhause mit dem Brauen experimentiert. „Das haben wir bei Dorffesten angeboten“, erzählt Sarah Raimann, „um ein bisschen Feedback zu bekommen.“ Und weil viele so begeistert waren, wagten die beiden 2019 dann, ein Crowdfunding zu starten, um ihren Traum zu verwirklichen: 22.000 Euro bekamen sie so zusammen, von 300 Leuten, die an sie und ihren Brauereitraum glauben. Dabei mussten sie das Rad, pardon, das Bier nicht komplett neu erfinden: „Wir machen einfach Biere, die wir selber lecker finden“, sagt Sarah Raimann.

Ausruhen wollen die beiden sich darauf nicht: Mittelfristig wollen sie mit Öko-Gerste aus der Region brauen. Das geht bisher nicht, weil in der Gegend niemand Gerste mälzt. Man müsste sich mit mehreren kleinen Brauereien zusammentun, damit es sich lohnt. Von einer Beerenobstplantage hinter der Scheune träumt sie auch, sagt Sarah Raimann: „Mein absolutes Lieblingsobst ist die schwarze Johannisbeere. Auch Sanddorn und Aronia wachsen hier in der Uckermark gut. Felsenbirne, Kornelkirsche. Bewässern könnten wir das dann mit vorgeklärtem Abwasser aus der Brauerei. Und als Dünger den kompostierten Biertreber aus der Brauerei.“ So würde sich der Kreis schließen.
Fürs Foto wollen wir, dass die beiden es sich mal gemütlich machen auf ihren Hippie-Flower-Power-Liegestühlen im Biergarten. Joe Petraschek lacht auf: „Nein, nein, das würde nicht passen! Als Bierbrauer kann man sich nie zurücklehnen!“ Ihr Frühlingsbier sei bereits ausgetrunken, sagt er: „Für den Sommer bereiten wir gerade ein Wit vor.
Das ist ein belgisches Weizenbier mit Kräutern. Bitterorangenschale, Koriandersamen.“ Bevor wir in den Wagen steigen, verrät er uns noch ein kleines Geheimnis: Der Name des Biergartens „Die Braut“ sei ein Wortspiel, da es eben vor allem die „Braut“ Sarah Raimann sei, die braut. „Aber sie ist keine Hochzeitsbraut“, sagt er. „Eher eine Punker-Braut, Piraten-Braut.“ Man glaubt es sofort, als sie uns zum Abschied winkt und ihr großer Anker-Ohrring leicht im Winde schaukelt. „Offen für alle“ steht auf dem großen queerfreundlichen Regenbogen-Sticker an der Eingangstür zur Dorfbrauerei.
Wir wollen weiter, wollen das Wasser spüren am Oberuckersee. Nur eine knappe Viertelstunde mit dem Auto, über die L24, die A11 und kurz die K7315. Hier gibt es einen Naturcampingplatz, auf dem auch viele Auswärts-Gäste des Biergartens „Die Braut“ campen. Unweit der Uckerpromenade parken schon viele Autos: aus Berlin, aus Eberswalde und aus Münster und Coesfeld in Nordrhein-Westfalen und Wiesbaden in Hessen. Rasch kommen wir mit einem Paar ins Gespräch, deren Kinder gerade tollkühn Stand-Up-Paddling auf dem Wasser betreiben.
Das Paar indes hat es sich im Sand gemütlich gemacht. Wo sie denn herkommen, wollen wir wissen. „Na, aus Berlin, aus Friedrichshagen!“, sagt die Frau im Wickelrock. „Wenn jetzt ganz Berlin zu unserem Müggelsee fährt, fahren wir Friedrichshagener halt raus nach Brandenburg.“ Es klingt mitnichten nach Groll, sondern nach der blanken Landlust.

Im Gaia, im Großen Garten
2005 konnte Rainald Grebe in seinem „Brandenburg“-Lied noch spotten: „Pack dir was zu essen ein, wir fahr’n nach Brandenburg!“ Inzwischen hat sich bis nach Berlin rumgesprochen, dass Brandenburg, zumal die Uckermark, richtige Spitzenrestaurants hat. Etwa das Gaia in Gerswalde. Dort wollen wir noch hin! Vorher machen wir Halt am Entgrützenbruch. Hinter dem Spielplatz Melzow finden wir einen traumhaften Steg. Erstaunlich, dass es hier so leer ist. „Macht bloß keine Werbung in Berlin für diesen tollen Steg hier“, sagt ein mittelalter Mann mit langen Haaren, der durch das Wasser krault. „Hier gibt’s ganz viele böse Algen“, sagt er, lacht laut auf; wir glauben ihm kein Wort.
Auf dem Weg zum Gaia, im Großen Garten in Gerswalde, kommen wir am Töpferladen On Studio vorbei, der sich in einer Hofeinfahrt versteckt. Wir staunen nicht schlecht ob des stylishen Interieurs, das man so eher in Kreuzberg oder in Mitte erwartet hätte. „Ceramic Workshop“ steht auf der Visitenkarte des Shops. Ob wir hier auch einen Kurs belegen können? „Leider noch nicht“, sagt Jeong Hwa Min, hinter der Kasse sitzend, lächelnd. Hyemi Cho, ihre Ko-Betreiberin, ergänzt: „Solche Kurse brauchen mindestens zwei Tage – da die Keramik trocknen muss, bevor man sie lackiert. Und dafür gibt es noch nicht genügend Unterkünfte in der Gegend hier.“
Also laufen wir ein paar Schritte weiter, in den Großen Garten, ins Gaia, das in Berlin wohl angesagteste It-Restaurant ganz Brandenburgs. Das Publikum ist jung und hip und sehr berlinerisch. Wir gönnen uns den leicht nach Zitrusfrüchten und weißer Schokolade schmeckenden Mandelkuchen mit Rhabarberkompott und Mascarpone. Dazu ein Gläschen „À la vie“ von der Domäne Julien Mayer: Ein weißer, quasi-orangefarbener Naturwein aus dem Elsass. Eine Mixtur aus Pinot Blanc und Silvaner, schön sommerfruchtig.

Einer der beiden Gaia-Chefinnen, Zsuzsanna Toth, ist zu Ohr gekommen, dass wir eigentlich noch etwas Warmes wollten. Sie kommt zu uns, entschuldigt sich: die Küche sei seit 17 Uhr geschlossen, leider. Im Juli und August werde man dann aber bis um 19 Uhr öffnen, verspricht Zsuzsanna Toth, mit warmer Küche bis um 19 Uhr. Bohnen, Erbsen und Zucchini aus dem Garten hier werden dann reif sein. Und noch mehr Grünes für allerlei bunte Salatvariationen. „Fast alle Kräuter, die wir verwenden, kommen aus dem Garten“, schwärmt Zsuzsanna Toth. Auch Beeren und anderes Obst wachsen hier, nur wenige Meter vor dem Restaurant Gaia.
Ein kleines Paradies, der Große Garten hier. „Unser Ziel ist es“, sagt Zsuzsanna Toth, „hier Menschen zusammenzuführen, die sonst nicht zusammentreffen würden.“ Aber hier hängen doch viele Expat-Berliner rum? „Aber auch mehr und mehr regionale Gäste aus der Umgebung“, erwidert sie und hält dann kurz inne. „Aber ja, es stimmt schon: Durch unser Netzwerk ist hier auch sehr viel Berliner Publikum. Wir leben auch die halbe Woche in Berlin – und bekommen dort die Stadtfluchtsehnsucht mit.“ Stadtfluchtsehnsucht. Ein Wort wie geschaffen für diesen magischen Moment, als die langsam untergehende Sonne über dem Großen Garten nach Mandelkuchen mit Rhabarberkompott schmeckt.
Adressen:
1. Die Braut - Dorfbrauerei Stegelitz, Dorfstraße 12, 17268 Stegelitz
2. Badestelle, Uckerpromenade, 17291 Oberuckersee (Warnitz)
3. Steg am Entgrützenbruch, Gramzower Weg 33, 17291 Oberuckersee (Warnitz)
4. Töpferladen On Studio, Dorfmitte 7, 17268 Gerswalde
5. Gaia, Dorfmitte 11, 17268 Gerswalde