Vor 110 Jahren war es ein arbeitsloser Schuster, der die Obrigkeit in Köpenick lächerlich machte. Er brauchte dafür nur eine Uniform, um die Beamten in vorauseilenden Gehorsam zu versetzen. Der Hauptmann von Köpenick würde sich vor Vergnügen auf die Schenkel schlagen, könnte er „seine“ Obrigkeit heute erleben. Im rot geklinkerten Köpenicker Rathaus macht man sich nämlich gerade selbst lächerlich. Auch diesmal spielt Bekleidung beziehungsweise das Fehlen einer solchen eine Rolle.
Es geht um Aktfotos. Zwei waren Teil einer Ausstellung mit gut 300 Arbeiten von 20 Fotoclubs aus Berlin und Brandenburg, die bis Ende April im Rathaus zu sehen sind. Drei Wochen nach der Eröffnung waren die Akte, darunter der des Fotografen Wolfgang Hiob (siehe Foto) weg. Die Obrigkeit, vertreten durch das Kulturamt, ließ sie entfernen – aus Rücksicht auf das Schamgefühl von Mitarbeiterinnen, wie es heißt. Und weil man religiöse Gefühle beispielsweise von Muslimen nicht verletzen wolle.
Debatte um die Freiheit der Kunst
Kulturstadtrat Michael Vogel (CDU) erklärt, auch Besucher hätten sich beschwert. Wie viele es waren, und ob auch Muslime darunter sind, kann er nicht sagen. Nur soviel: Das Rathaus sei ein Dienstgebäude, in dem in erster Linie Amtsgeschäfte erledigt würden. Vogel kündigte Ärger für jenen Mitarbeiter an, der sich „über eine interne Anweisung hinweg gesetzt“ habe. Laut dieser seien im Rathaus keine Aktfotos erlaubt. Offiziell gibt es diese Anweisung nicht. Aus gutem Grund, denn schon einmal, vor sechs Jahren, wurden dort Aktfotos abgehängt.
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Auch damals waren es Arbeiten von Wolfgang Hiob. Eine Debatte um die Freiheit der Kunst folgte. Das Bezirksparlament beschloss, es dürfe keinerlei Motiv-Beschränkungen geben. Der betroffene Colorclub Berlin-Treptow spricht von Zensur. Es sei inakzeptabel, Aktfotos wie die von Wolfgang Hiob in die Schmuddelecke zu stellen, heißt es. Aus Protest holte der Club jetzt alle 32 Fotos seiner Mitglieder vorzeitig aus dem Rathaus.