Auftakt des Terrors: Als SA und Kommune gemeinsam das Projekt KZ betrieben
1933 richtete in Oranienburg eine SA-Standarte ein Konzentrationslager ein – als Initiative von unten. Bäcker, Baufirmen und Vegetarier verdienten mit.

Mitten in der Stadt Oranienburg, nicht weit vom Schloss und vor aller Augen, entstand im März 1933 das erste Konzentrationslager Preußens. Adolf Hitler war seit dem 30. Januar Reichskanzler; bei der Reichstagswahl am 5. März hatte die NSDAP 43,9 Prozent der Stimmen geholt. Derart politisch beflügelt leisteten junge Männer aus Oranienburg und Umgebung ihren Beitrag zur Stabilisierung der neuen Macht.
Die Angehörigen des Sturmbanns III der SA-Standarte 208 – Arbeiter, Handwerker, viele arbeitslos – fingen an, politische Gegner in Haft zu nehmen. Sie warfen sie in den Keller der ehemaligen Brauerei in der Berliner Straße. Das alte Fabrikgelände war der Niederbarnimer SA-Formation bereits im Februar 1933 zur Nutzung übergeben worden.
Die Existenz solcher frühen Konzentrationslager, die überall in Deutschland unmittelbar zu Beginn der zwölf NS-Jahre in lokaler Regie errichtet wurden, ist im öffentlichen Bewusstsein wenig präsent. In der Rückschau überlagern die großen, straff organisierten und zentral gelenkten Konzentrations- und Vernichtungslager die basisbetonten Anfänge. Die Ausstellung „Auftakt des Terrors – Frühe Konzentrationslager des Nationalsozialismus“ soll das ändern. An 17 Erinnerungs- und Lernorten im ganzen Bundesgebiet wurde sie erarbeitet, dort wird sie in den nächsten Monaten gezeigt (siehe Info-Box).
Das erste KZ in Preußen
Die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen bei Oranienburg hatte die Eröffnung ihrer Ausstellung mit Bedacht auf den 21. März gelegt, genau 90 Jahre nach dem „Tag von Potsdam“, als mit einem Staatsakt in der Potsdamer Garnisonkirche der Reichstag eröffnet wurde. Reichspräsident Paul von Hindenburg empfing Reichskanzler Adolf Hitler mit Handschlag auf der Kirchentreppe. Die Szene wird seither als Symbol für das Begräbnis der jungen deutschen Demokratie gesehen.
In Oranienburg hatten die jungen NS-Aktivisten von der SA an jenem Tag schon gezeigt, wer nun der Herr sein werde. Zu der Zeit befand sich bereits eine Gruppe von etwa 40 schwer misshandelten Menschen in dem Fabrikgebäude in der Oranienburger Berliner Straße, berichtete der Historiker Frédéric Bonnesoeur in seinem Eröffnungsvortrag in Sachsenhausen vom damaligen Geschehen: „Sie waren die ersten Gefangenen des ersten Konzentrationslagers Preußens.“ Zu ihnen gehörte der niederländische Schriftsteller und Übersetzer Nico Rost, den die Ortspolizei in seinem damaligen Wohnort Lehnitz wegen „Umgangs mit Marxisten und Juden“ dem SA-Lager zugeführt hatte.
Rost berichtete später von „einem Stall“, in dem er gemeinsam mit einem blutig geschlagenen Mithäftling festgehalten wurde. Weitere Gefangene kamen hinzu: „Sozialdemokraten, Kommunisten und Mitglieder des Reichsbanners, ein paar Intellektuelle, Redakteure sozialdemokratischer Provinzzeitschriften, kommunistische oder sozialdemokratische Ratsherren aus den umliegenden Ortschaften, aber vor allem Arbeiter“. Erster Kommandant des Oranienburger KZs wurde Werner Schäfer, zuvor Angestellter der Kreissparkasse Niederbarnim und Filialleiter.
Ein typisches Bild, wie sich aus der Ausstellung erlesen lässt: Die neue Macht nahm bevorzugt bekannte Persönlichkeiten, wie Minister und Angeordnete sowie Künstler in „Schutzhaft“. Das bedeutete, politische Gegner von der Gesellschaft zu separieren, vollkommen rechtlos zu stellen und sie exemplarisch und möglichst dauerhaft einzuschüchtern. Dazu gehörten in Oranienburg neben anderen die Sozialdemokraten Ernst Heilmann (Reichstagsabgeordneter) und Friedrich Ebert jun., der Sohn des früheren Reichspräsidenten und von 1948 bis 1967 SED-Oberbürgermeister von Ost-Berlin.
Offenkundig entstand da ein „Lager der Rache“ – vor allem SA, als Saalschutz für die NSDAP-Versammlungen der sogenannten Kampfzeit vor 1933, hatten offene Rechnungen mit dem politischen Gegner zu begleichen. In und um Berlin hatten die Saal- und Straßenschlachten besonders heftig getobt.

Anfangs hatte die NS-Führung noch keinen Plan zur Einrichtung eines umfassenden Systems von Konzentrationslagern. Doch wuchs das KZ Oranienburg nach dem spontanen Gründungsimpuls schnell auf Hunderte Insassen, am Ende sollten 3000 Menschen dort inhaftiert sein. In den meisten Fällen betrieben Bürgermeister und Landräte die Jagd. Der Historiker sagt: „Sie stellten den Großteil der Schutzhaftbefehle aus.“
Unbürokratische Geldhilfe von der Stadt
Einmal in Betrieb genommen entwickelte sich das Lager in Oranienburg zum kommunalen Projekt. Örtliche SA, NSDAP und große Teile der Wirtschaft wirkten interessiert und engagiert mit. Die Stadt zeigte sich großzügig. „Unbürokratisch wurde der SA-Standarte beispielsweise ein Darlehen zum Ankauf von Schlafpritschen für die Gefangenen gewährt“, sagt Frédéric Bonnesoeur. Büromöbel für die Einrichtung der KZ-Verwaltung seien auf Veranlassung von Bürgermeister Dr. Walther Heinn zur Verfügung gestellt worden – kostenfrei.
Nach wenigen Wochen, am 16. Mai 1933, endete mit der offiziellen Anerkennung als „Regierungslager“ die wilde Zeit. Die SA-Standarte bewachte und verwaltete das Lager weiter. Im August übernahm das Potsdamer Polizeipräsidium die wirtschaftliche Betreuung.
Das KZ als Standortvorteil
Mit dem neuen Status wurde das KZ für die Stadt richtig interessant. Denn Ausbau und Versorgung der bis zu 150 Wachmänner (und wenige Frauen in Küche und Verwaltung), die zum Teil auf dem Gelände wohnten und sich ungezwungener Kameradschaft erfreuten, sowie der 3000 Gefangenen eröffneten wirtschaftliche Chancen. Das KZ wurde zum Standortvorteil. Von Mitte Juni 1933 an bemühte sich der örtliche Mittelstand um Aufträge für die lokalen Unternehmer, so der Historiker.
Bürgermeister Dr. Heinn habe zugesichert, alle Aufträge des Konzentrationslagers, soweit es die Preisgestaltung zuließ, innerhalb der Stadt Oranienburg zu vergeben. „Von der Vereinbarung profitierten mindestens 40 Oranienburger Bäckerei-, Fleischerei- und Molkereibetriebe, Apotheken und Baumaterialhandlungen“, sagt Bonnesoeur. Auch die 1893 von 18 Berliner Vegetariern in Oranienburg gegründete und bis heute bestehende Vegetarierkolonie Eden machte mit. Die Edener Obstverwertung belieferte das Lager fortan mit ihren Produkten.
Häftlinge arbeiten SA-Schulden ab
Für die Abzahlung städtischer Darlehen fanden sich eine einvernehmliche Lösung zwischen dem Schuldner SA und der Stadtverwaltung: Die Schulden der SA sollten mit dem Arbeitseinsatz von KZ-Gefangenen zu kommunalen Bauarbeiten verrechnet werden. Stadtbaumeister Paul Hobeck habe ein kommunales „Arbeitsbeschaffungsprogramm“ entwickelt, sagt Historiker Bonnesoeur. Unter der Aufsicht des Bauamts mussten die KZ-Gefangenen ab Juni neben den erniedrigenden Arbeiten auf dem Lagergelände selbst und einigen Arbeiten für örtliche Unternehmen und Privatpersonen, allein für die Stadt Oranienburg im öffentlichen Raum mindestens 118.000 Arbeitsstunden leisten, was in etwa 14.800 Arbeitstagen entspricht.

Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße, Werner-Voß-Damm 54 a, täglich außer montags und freitags von 13 bis 18 Uhr, bis zum 17. September.
Topographie des Terrors, Niederkirchnerstraße 8, täglich 10 bis 20 Uhr, nur noch bis 28. März.
KZ Sachsenhausen: Die Ausstellung ist im Museum der Gedenkstätte – durch Elemente einer früheren Ausstellung ergänzt, täglich 8.30 bis 18 Uhr, bis zum 30. Juli.
Die Kolonnen der Häftlinge zogen durch Oranienburg, man sah sie bei der Arbeit. Die Bevölkerung war im Bilde. Zwar versuchte die NS-Propaganda vor allem durch inszenierte Besuche, Fotos und Filme mit musizierenden, turnenden oder leichte Arbeiten verrichtende Häftlingen, vor allem im Ausland den Eindruck humaner Bedingungen in den KZs zu vermitteln. Das hielt sie aber nicht ab, Menschen in der Stadt unter demütigenden Umständen vorzuführen, zu beleidigen und zu beschimpfen. Eine der Ausstellungstafeln macht die räumliche Nähe von KZ und Kommune deutlich. Die Presse schrieb von Erziehungslagern. Die Bevölkerung gewöhnte sich an Gewalt; man darf von Zustimmung oder zumindest stiller Duldung ausgehen.
„Warmer Empfang“ mit Peitsche
Im Lager selber probte das NS-System den „Auftakt zum Terror“. Noch waren die Haftbedingungen nicht so katastrophal wie später in den großen KZs, aber die Methoden wurden geübt: „Warmer Empfang“ hieß das Spießrutenlaufen zwischen einem Spalier peitschender und schlagenden Wachleute. Weitere Methoden: kahlscheren, ausziehen bis aufs Hemd, quälend langes Appellstehen, Strafexerzieren, Prügel, Folter, schwerste Arbeit. Jüdische Gefangene waren bevorzugte Opfer von Sadismus, sie mussten die am stärksten entwürdigenden Tätigkeiten ausführen wie das Latrinereinigen mit bloßen Händen.
Den Häftling Erich Mühsam, der in der Nacht des Reichstagsbrandes von der SA verhaftet worden war, ermordeten SS-Männer nach 16 Monaten KZ Oranienburg. Die nationalsozialistische Presse schrieb: „Der Jude Erich Mühsam hat sich in der Schutzhaft erhängt.“ Seine Mithäftlinge wussten es besser: Sie berichteten später von der Ermordung im Zimmer des Lagerkommandanten.
Auch 39 Kinder und Jugendliche des jüdischen Erziehungsheimes der Stadt Wolzig, erlebten die Gewalt im KZ Oranienburg, der Jüngste 13 Jahre alt.
Ende Juni/Anfang Juli 1934 ließ die NS-Führung die Spitzen der SA unter dem Vorwand verhaften, sie hätten einen Putsch gegen Hitler geplant, den sogenannten Röhm-Putsch. In diesem Zusammenhang wurde die Wachmannschaft des Konzentrationslagers Oranienburg in der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 1934 durch eine Einheit der Landespolizeigruppe Göring entwaffnet. Diese leitete dann die Auflösung des Lagers ein. Die verbliebenen Gefangenen kamen in das Konzentrationslager Lichtenburg. Mindestens 16 der seit Bestehen des Konzentrationslagers Inhaftierten überlebten die Gefangenschaft in Oranienburg nicht.
„Dies gehört zu unserer Stadt“
In der Folge übernahm die SS die Alleinherrschaft über die KZ-Lager, vereinheitlichte und zentralisierte sie. 1936 folgte dann der Aufbau der großen Barackenlager. So auch im Fall des großen Oranienburger KZs Sachsenhausen. Die frühen KZs wurden bis 1937 aufgelöst, 80.000 Menschen hatten sie durchlitten, mehr als hundert von ihnen kamen ums Leben, wie Agnes Ohm, Mitkuratorin der Ausstellung bei der Eröffnung in Sachsenhausen berichtete. Egmont Hamelow, stellvertretender Landrat, bekannte: „Dies gehört zur Geschichte unserer Stadt.“ Eine Bürgerinitiative arbeitet an der Aufwertung des authentischen Stadtortes. Eine Mauer der Brauerei ist erhalten, dort soll ein würdiger Gedenkort mit gläsernen Informationsstelen entstehen.