Potsdam - Fahrkartenautomaten sind der Horror, und auch das Internet hat seine Nachteile, denn dort ist nicht jeder Fahrschein zu haben. Deshalb ist es gut, dass die Deutsche Bahn (DB) in Berlin und Brandenburg rund 190 Agenturen unter Vertrag hat, die Fahrgäste beraten und ihnen Tickets verkaufen. Doch nun droht diesem Service ein Kahlschlag. Denn die DB will den meisten Agenturen für Nahverkehrstickets künftig fast keine Provision mehr zahlen. „Dies wird dazu führen, dass sich viele Verkaufsstellen nicht mehr lohnen und aufgegeben werden“, sagt Hans-Werner Franz vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB). „Das wird für viele Fahrgäste ein ernstes Problem werden.“ Am Donnerstag berät ein Ausschuss des Landtags darüber.
Noch ist das Angebot gut. Zurzeit unterhält die DB in Berlin und Brandenburg etwa 200 Verkaufsstellen. Die Bahn betreibt mit eigenem Personal 14 Reisezentren. Das Gros bilden die privaten Agenturen, zum Beispiel Reisebüros und Kioske, die auch Zeitungen und Proviant verkaufen. Die meisten Kunden steuern Ziele in der Region an und kaufen Nahverkehrstickets, die nach dem VBB-Tarif berechnet werden. Für diese Fahrkarten soll die Provision in den meisten Agenturen von Januar an aber stark sinken. Betroffen sollen 85 Prozent dieser Verkaufsstellen sein, die bahnintern als „Leisure-Agenturen“ gelten. „Leisure“ bedeutet zu deutsch „Freizeit“ – laut DB überwiegt angeblich der Prozentsatz der Freizeitreisen.
„Heute bekomme ich einen Anteil von fünf Prozent vom Preis, ab Januar 2014 sollen es zwei Prozent sein“, sagt eine Brandenburgerin, die eine Agentur betreibt. Nur wenn sie außerdem DB-Fernverkehrstickets absetzt, soll es mehr Geld geben. „Zwei Prozent reichen nicht zum Leben. Ich müsste schließen, so traurig das für meine Kunden wäre. Ich bekäme nicht mal die Kosten herein.“ Miete, Strom, Heizung und Versicherungen seien zu zahlen. Zudem verlangt die Bahn für die Nutzung ihres Verkaufssystems eine dreistellige Monatsgebühr.
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Die Frau kann nicht verstehen, warum ihre Agentur unter die „Leisure“-Kategorie gefallen ist. Sie verkauft auch Jahreskarten, damit Pendler zur Arbeit kommen. Die flapsige Formulierung werde nicht der Bedeutung gerecht. „Viele Ältere haben kein Internet und mit Automaten Probleme. Die wären aufgeschmissen, wenn es uns nicht mehr gäbe.“ Wie andere Agenturbetreiberinnen hat die Frau einst für die DB Fahrkarten verkauft. Nachdem ihr Schalter geschlossen wurde, bot ihr die Bahn an, sich selbstständig zu machen. „Ich wollte die Fahrgäste in meiner Stadt weiter gut beraten, die Schließung ging gegen meine Ehre.“ Während die Bahn den Verkauf als unrentabel eingestuft hatte, kann die Frau ihren Lebensunterhalt damit verdienen – jedenfalls bisher. „Allerdings sind die Provisionen schon mehrmals gesenkt worden.“
Die Politik hat das Problem erkannt. „Brandenburg darf nicht zur Servicewüste werden“, sagt Rainer Genilke, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag. Am 19. September steht das Thema auf der Tagesordnung des Ausschusses für Infrastruktur. Selbst frühere Kreisstädte wie Gransee und Fürstenwalde drohten Bahnagenturen zu verlieren, warnt er. „Auch in Berlin und Potsdam gäbe es weniger Verkaufsstellen“, so der VBB. Verbund-Chef Franz will das Vorgehen der Bahn juristisch prüfen lassen. Denn für den Verkauf von VBB-Einzeltickets erhalte sie wie andere Verkehrsbetriebe zehn Prozent Provision, teilweise sogar zwölf Prozent. Wenn sie davon nur noch einen winzigen Bruchteil an die Agenturen weitergäbe, wäre das unakzeptabel. Die Bahn äußerte sich nicht.