U2 bekommt die Spritze: So soll der abgesackte Tunnel saniert werden

Unter den Linden hat es geklappt, ab März soll es auch am Alexanderplatz funktionieren. Aber warum braucht der Hochhaus-Investor Covivio so lange?

Der U-Bahnhof Alexanderplatz in Mitte. Seit Oktober gibt es nur noch auf einem Gleis Verkehr.
Der U-Bahnhof Alexanderplatz in Mitte. Seit Oktober gibt es nur noch auf einem Gleis Verkehr.Jörg Carstensen/dpa

Daniel Frey ist sich sicher, dass es funktionieren wird. „Ich würde zu 99,98 Prozent sagen, dass es klappt“, sagte der Deutschland-Chef des Immobilienunternehmens Covivio am Montag. Mit einem aufwendigen Verfahren soll der abgesackte Tunnel der U-Bahn-Linie U2 unter dem Alexanderplatz in Mitte saniert werden. Das mehr als 100 Jahre alte Bauwerk wird gewissermaßen fit gespritzt. Im März sollen die Arbeiten beginnen. „Unser Ziel ist es, dass es auf der U2 ab August wieder einen vollständigen, zweigleisigen Betrieb gibt“, bekräftigte Verkehrsstaatssekretärin Meike Niedbal (Grüne). Die Zahl der Fahrgäste auf der teilweise gesperrten U-Bahn-Linie ist dramatisch gesunken.

„Wir wissen, dass es ein Riesen-Mist für die Berlinerinnen und Berliner ist, dass die U2 als Pulsader der Stadt nicht funktioniert“, so Daniel Frey. Normalerweise waren auf der Strecke im Osten Berlins wochentags im Schnitt 90.000 Fahrgäste unterwegs, hieß es bei den landeseigenen Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Seit rund um den Alexanderplatz nur noch Pendelverkehr im 15-Minuten-Takt möglich ist, ist die Fahrgastzahl auf die Hälfte gesunken, sagte Betriebsvorstand Rolf Erfurt. An einem Tag im Dezember 2022 wurden sogar nur 25.000 Nutzer gezählt. Viele Menschen sind auf andere Routen umgestiegen – oder aufs Auto. Berlins Nordosten fühlt sich abgehängt.

„Über die Ursachen des Schadens möchte ich nicht spekulieren“, sagte Covivio-Manager Frey. Auch nicht darüber, ob das Immobilienunternehmen schuld daran ist, dass der U2-Tunnel absackte, wie es die Staatssekretärin sieht. Klar ist: Dicht neben der 17 Meter tiefen und mehr als 60 Meter langen Baugrube mit der Adresse Alexanderplatz 17, in der das Unternehmen ein Hochhaus mit Zwillingstürmen errichten will, verläuft der Tunnel.

Wand der Baugrube hat sich um mehr als fünf Zentimeter bewegt

Der Abstand zur Hochhaus-Baugrube beträgt zwischen 80 Zentimeter und 2,50 Meter, sagte Andreas Tichay von der Covivio. In den vergangenen Monaten hat sich die einen Meter dicke Baugrubenwand um rund 5,2 Zentimeter nach innen eingedellt. Nebenan gab Boden nach, der aus unbewehrtem Beton minderer Qualität bestehende U2-Tunnel von 1913 bewegte sich.

„Eine gewisse Setzung hatten wir vorausgesetzt“, sagte Frey. Dem Vernehmen nach zeichneten die Bodensensoren im Juli 2022 eine erste Bewegung auf. Im September  drang Grundwasser in den Tunnel neben dem Baufeld D3 ein. Er sackte immer weiter ab. Als die Setzung den mit der BVG in einer nachbarschaftlichen Vereinbarung abgestimmten Grenzwert von 3,6 Zentimetern erreichte, wurde reagiert. Seit dem 7. Oktober ist das nach Pankow führende Gleis gesperrt, zwischen Senefelderplatz und Klosterstraße gibt es Pendelverkehr. Inzwischen hat die Setzung 3,8 Zentimeter erreicht.

Am Montagvormittag, fast vier Monate nach der Teilsperrung der U2, trat die Covivio während einer Pressekonferenz in der Senatsverwaltung für Mobilität erstmals direkt an die Öffentlichkeit. „Für uns ist es von höchster Priorität, dass der Tunnel wieder in die richtige Position kommt“, sagte Daniel Frey. Dass es Monate gedauert habe, bis eine Lösung präsentiert werden konnte, liege in der Natur der Sache. Der Vorstandsvorsitzende sprach von einer „gewissen Komplexität“: „Wir wollen es richtig machen.“ 

Im U-Bahnhof Klosterstraße fährt ein Pendelzug ein. Weil im U-Bahnhof Alexanderplatz ein Gleis gesperrt werden musste, kann der Abschnitt von hier bis zum Senefelderplatz nur alle 15 Minuten befahren werden.
Im U-Bahnhof Klosterstraße fährt ein Pendelzug ein. Weil im U-Bahnhof Alexanderplatz ein Gleis gesperrt werden musste, kann der Abschnitt von hier bis zum Senefelderplatz nur alle 15 Minuten befahren werden.Peter Neumann/Berliner Zeitung

Covivio, die BVG, das Bezirksamt Mitte und der Senat bestätigten, was bereits bekannt war: dass das unterirdische Bauwerk mit einer Hebungsinjektion saniert werden soll. Zunächst wird der Boden unter dem U-Bahnhof verfestigt – in der Fachterminologie heißt das „verbessert“. In zwei Lagen werden in einem Bereich von 16 mal 45 Metern insgesamt 56 Injektionslanzen in den Untergrund eingebracht, erklärte Andreas Tichay von der Covivio. Durch die schmalen Rohre, die einen Durchmesser von 6,5 Zentimetern und alle 50 Zentimeter eine Öffnung haben, fließt dann Zementsuspension. So entsteht im Boden ein „Hebungskörper“, von dem aus später, nach knapp fünf Monaten, der U-Bahnhof von unten nach oben gedrückt werden soll – wieder in die richtige Lage.

Zusätzlich wird die Wand der Hochhaus-Baugrube mit Stahlankern stabilisiert. Der Hebungskörper als Ausgleichsmechanismus bleibt bis 2026 oder 2027 erhalten – bis das benachbarte Hochhaus fertig ist, so Frey. Weil der Baukörper auf den Untergrund drücken wird, werden weitere Tunnelsetzungen erwartet. Die Rede ist von bis zu zwei Zentimetern. Sie können durch die Technik im Untergrund einfach ausgeglichen werden.

Fertigstellung des Hochhauses verzögert sich um zehn Monate

Auf der Covivio-Baustelle ruhen die Arbeiten seit dem vergangenen Herbst. Bei dem Unternehmen geht man davon aus, dass sich die Fertigstellung des Hochhauses um zehn Monate verzögert: Statt von Anfang 2026 ist inzwischen von Ende 2026 die Rede.

Die Kosten der Sanierung des U-Bahn-Tunnels werden derzeit auf knapp unter zehn Millionen Euro geschätzt, sagte Staatssekretärin Niedbal. Das Unternehmen gehe in Vorkasse. Außerdem zahlt der Investor der BVG wie berichtet täglich eine Pönale, die sich dem Vernehmen nach auf einen fünfstelligen Eurobetrag beläuft. Warum es so lange dauert, bis die Fahrgäste wieder einen vollständigen Betrieb auf der U2 geboten bekommen? Es habe einige Zeit gedauert, das Sanierungsverfahren zu entwickeln und mit den Behörden abzustimmen, entgegnete Tichay. Wichtig sei, dass es funktioniert.

„Technisch ist das ein sehr komplexes Verfahren“, sagte der Ingenieur. Die meisten Referenzen gebe es „nur in deutlich kleinerem Maßstab“. So sollen nicht weit entfernt neben dem S- und U-Bahnhof Jannowitzbrücke mit demselben Verfahren Pfeiler des benachbarten Stadtbahnviadukts vorbeugend gestützt werden. Dort entsteht ein 70 Meter hohes Hochhaus – direkt neben der U8. Wie berichtet wurden auch dort im Boden Sensoren installiert, die Absackungen anzeigen.

Allerdings gibt es auch größere Bauwerke, die mit Betoninjektionen wieder an die richtige Stelle gebracht wurden. Zwei Berliner Beispiele sind die Schlossbrücke in Mitte, die den Spreekanal überspannt, und die benachbarte Alte Kommandantur Unter den Linden 1. Beide Bauten waren bei den Arbeiten für die Verlängerung der U5 etwas aus dem Lot geraten. Auch bei ihnen traten Setzungen um mehrere Zentimeter auf - und wurden dann mit eingespritzter Zementsuspension angehoben.  

„Wir können nicht eine ganze Stadt in den Dornröschenschlaf legen“

Nach der Absackung des U2-Tunnels forderten Linken-Politiker, am Alexanderplatz auf weitere Bauprojekte zu verzichten. „Nur weil der Baugrund schwierig ist, können wir nicht eine ganze Stadt in den Dornröschenschlaf legen“, entgegnete Daniel Frey. Ephraim Gothe, Stadtrat für Stadtentwicklung in Mitte, sieht das ähnlich. Nicht nur im Berliner Urstromtal, auch in Hamburg, Frankfurt am Main und anderen Städten müssten Planer mit schwierigen Bodenverhältnissen zurechtkommen. „Bauen ist immer mit einem gewissem Risiko behaftet“, so der SPD-Politiker. Doch es lasse sich verringern.

„Die Baugenehmigung für das Covivio-Projekt war von Anfang an mit einer nachbarschaftlichen Vereinbarung zwischen dem Bauherrn und der BVG verbunden, was uns jetzt schnell in die Lage versetzt hat, handeln zu können“, sagte Gothe am Montag. Er hatte alle beteiligten Verwaltungsstellen, auch die Wasserbehörde und die Oberste Bauaufsicht, am 20. Januar an einen Tisch geholt, um das Vorgehen abzustimmen. Am 25. Januar folgte ein Treffen im Senat, zu dem Staatssekretärin Niedbal eingeladen hatte.

Für das Signa-Hochhaus fehlt eine wichtige Vereinbarung

Für ein weiteres großes Projekt am Alexanderplatz, das 134 Meter hohe Hochhaus der Signa, gibt es dem Vernehmen nach keine nachbarschaftliche Vereinbarung mit der BVG. „Eine solche Vereinbarung ist bisher nicht obligatorisch, was das Risiko birgt, dass statt einer raschen Schadenbehebung äußerst langwierige Prozesse zur Haftung und Beweisführung entstehen“, stellte Staatssekretärin Niedbal fest. Ihre Verwaltung setze sich dafür ein, dass eine solche Abmachung künftig in jedem Fall zur Pflicht werde, sobald Bauvorhaben Anlagen der BVG nahe kommen.

Unterdessen arbeitet man bei der BVG daran, zusätzliche Fahrmöglichkeiten anzubieten, sagte Betriebsvorstand Rolf Erfurt. So soll der Verkehr auf der Straßenbahnlinie M1 zwischen Pankow und Mitte, auf die viele frühere U2-Fahrgäste ausgewichen sind, ab April von einem 7,5- auf einen Fünf-Minuten-Takt verdichtet werden. Voraussetzung sei aber, dass die Bahnen den Engpass Pankower Tor leichter passieren können – was zu Einschränkungen beim Auto- und Busverkehr führen könnte, sagte Erfurt.

Kann das funktionieren? Berliner Fahrgastverband hat Zweifel

„Es ist dramatisch, dass die Verkehrssenatorin nicht sofort eingeschritten ist, als im August 2022 die ersten Probleme auftraten. Selbst nach der Havarie Anfang Oktober hat es mehrere Monate gedauert, bis die Senatsverwaltung zu einem Spitzengespräch eingeladen hat“, bemängelte der FDP-Verkehrspolitiker Felix Reifschneider. „Jetzt gilt es, das Instandsetzungskonzept zügig umzusetzen, damit die für August 2023 angekündigte Wiedereröffnung nicht gefährdet wird. Es zählt jeder Tag.“

Auch Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB hofft, dass die U2 nach fast zehn Monaten wie früher verkehrt. Doch der Vizevorsitzende hat weiterhin Zweifel. „Für mich sind hier immer noch viele Unwägbarkeiten dabei, ob die U2 im August wieder durchfährt“, twitterte Wieseke. „Und warum wurde nicht schon früher die Baustelle unterbrochen, bevor der Schaden zur Unterbrechung führte? Das Worst-Case-Szenario ist für mich noch nicht vom Tisch“ – ein Tunnelneubau.