BER Mehdorn: Zur Krönung ein Flughafen

Gleich müsste er abheben. Der ganze Körper vibriert schon wie bei einer Rakete während des Countdowns. Hartmut Mehdorn hat die linke Fußspitze unter seinem Stuhl auf den Boden gestemmt. Nur sie hält noch Kontakt zur Erde und versetzt den darauf abgelegten rechten Fuß, die Beine und den Rumpf durch rhythmisches Zucken in Schwingung. Es sieht aus, als wollte der Flughafenchef in Kürze starten und durch den Saal 311 des Abgeordnetenhauses düsen, über die Köpfe des Verkehrsausschusses hinweg und durchs Fenster hinaus in die Stadt.

Er ist dann doch sitzen geblieben bei seiner ersten Anhörung vor Berlins Parlamentariern und hat weiter Fragen beantwortet, auch wenn es ihm schwergefallen ist. Hartmut Mehdorn mag viele Qualitäten haben; Geduld gehört sicherlich nicht dazu. „Je fertiger wir werden, desto teurer wird das, was wir da haben“, sagt er leicht gereizt über die schöne neue Flughafenwelt, die am Rande Berlins unbenutzt daliegt. Es ist ein typischer Mehdorn-Satz: Ein bisschen flapsig, aber völlig ernst gemeint. „Jeder, der jetzt noch Schleifchen machen will, kriegt auf die Finger“, setzt er hinzu und meint Mitarbeiter, die nicht mitziehen bei seinem großen Beschleunigungswerk am BER.

Hartmut Mehdorn steht für Tempo, so will er es gerne. Drei Monate führt er nun die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB), und noch immer zeichnet sich kein Eröffnungstermin ab, noch immer sind die Probleme an der Brandschutzanlage ungelöst. Der Spott über den Problem-BER ist abgeklungen, aber mehr aus Gewöhnung denn wegen sichtbarer Fortschritte. Für einen wie Mehdorn ist das schwer zu ertragen.

Für ihn ging es immer voran, und das meist mit Hochgeschwindigkeit. Mehdorn, geboren 1942 als Soldatenkind während eines Besuchs seiner Mutter im besetzten Warschau, ist das, was man eine Kämpfernatur nennt, einer mit Drang nach oben. Auf der Oberschule in Berlin war er Klassensprecher, später Landesmeister im Rudern.

Auch beruflich stieg er nach dem Ingenieurstudium schnell auf: Mit 35 Jahren Werksleiter bei Airbus in Bremen, bald darauf im Vorstand. Ohne Ungeduld, Härte und brennenden Ehrgeiz gelingt so etwas nicht. Seit fast zwei Jahrzehnten ist Mehdorn alleiniger Chef – erst eines Druckmaschinen-Herstellers, dann zehn Jahre lang bei der Deutschen Bahn. Als er 2011 in einem Alter, in dem andere den Ruhestand genießen, noch die bedrängte Fluglinie AirBerlin übernahm, bekannte er: „Ich konnte nicht Nein sagen.“

So ähnlich war es beim neuen Flughafen für die Hauptstadtregion. In höchster Not rief Matthias Platzeck, Ministerpräsident von Brandenburg und seit Jahresbeginn Vorsitzender des Flughafen-Aufsichtsrats, Mehdorn im März an. Sämtliche Kandidaten für den vakanten FBB-Chefsessel hatten abgesagt oder waren ausgeschieden. Sogar der ersatzweise engagierte Berater Wilhelm Bender, früher für den Flughafen Frankfurt/Main zuständig, hatte wegen Querelen zwischen den staatlichen Eigentümern hingeschmissen. Dem Projekt drohte der Totalabsturz, in der Politik würde man sagen: die Unregierbarkeit.

Bloß nicht rumsitzen

Platzeck musste rasch eine Lösung finden – und Mehdorn, dessen Name vorher höchstens im Scherz gefallen war, zögerte nicht lange, wieder einmal. Seine Lebensplanung sei zwar eine andere gewesen, kokettiert er. In Südfrankreich hat er einen Weinberg, ein Geschenk seiner Frau. In Anzeigen für den Rosé „La Cabane HHM“ – das Kürzel steht für das Ehepaar Mehdorn – wird das „Gefühl der Ruhe unter alten Korkeichen“ und der Duft nach Thymian beschworen. Wer ihn kennt, kann sich Mehdorn kaum unter einer Korkeiche vorstellen.

Der 70-Jährige mag nicht untätig sein, nicht einmal stillsitzen kann er länger als eine halbe Stunde. Seine Frau soll ihm vor einiger Zeit gesagt haben: „Bevor Du zu Hause herumhängst, geh’ lieber arbeiten.“ Von Mitarbeitern sind weitere Gründe zu hören, warum er sich den Stress mit dem Flughafen zumutet: Mehdorn wolle beweisen, „dass man das Ding zum Laufen kriegt“. Da sei er ganz Ingenieur, beseelt vom Glauben an die technische Machbarkeit. Zudem sei seine Bilanz bei der Bahn wie bei AirBerlin so durchwachsen, dass er eine Krönung seines Lebenswerks brauche. Dafür spricht, dass Mehdorn bis heute sein Wirken als Bahnchef vehement verteidigt – bis hin zum Dach des Berliner Hauptbahnhofs, das mitnichten zu kurz sei. Vor allem aber, sagen Vertraute, wolle Mehdorn die Peinlichkeit des Pannen-Projekts BER nicht auf Deutschland sitzen lassen. „Und er ist auch ein Berliner Lokalpatriot.“

Falls das ein Motiv war, hat es Mehdorn jedenfalls nicht daran gehindert, die Berliner tief zu spalten. Sein öffentliches Schwadronieren über einen fortgesetzten Flugbetrieb in Tegel, begonnen schon am allerersten Tag im Amt, brachte lärmgeplagte Anwohner auf die Barrikaden – und zugleich eine Initiative hervor, die den alten Flughafen per Volksbegehren erhalten will. Polarisierung heißt das landläufig, und Mehdorn beherrscht sie wie kaum jemand sonst. Beim Lokführer-Streik, bei anderen Bahnkonflikten oder jetzt am Flughafen – stets trennt er in die, die mitziehen, und jene, die bremsen oder, für ihn fast noch schlimmer, bloß „meckern“.

Mehdorn hat dafür eine besondere Mischung entwickelt aus Populismus und Tabubruch, Offensive und Rückzug, Vorsicht und Dreistigkeit.„Ich habe nie gesagt, wie ich auch vieles andere nie gesagt habe: Tegel muss offen bleiben“, behauptet er vergangenen Mittwoch im Berliner Verkehrsausschuss. Und fügt gleich hinzu: „Darüber nachzudenken ist nicht verboten.“ Den Hinweis des linken Ex-Senators Harald Wolf, als Verantwortlicher für die Flughäfen möge er doch die Wirkung solcher Vorstöße bedenken, wischt Mehdorn beiseite. Schließlich lebe er in einem freien Land.

Ähnlich lief es bei anderen Streitpunkten rund um den BER. Nachtflüge? Sind nötig für das Unternehmen, auch wenn Platzecks Landeskinder sie nicht mögen und der Regierungschef im Wort steht, den nächtlichen Krach einzuschränken. Schallschutz für Anwohner? Möchte Mehdorn gerne abschwächen, notfalls durch eine Korrektur des Planfeststellungsbeschlusses, von der alle Fachleute abraten. Eine vorzeitige Inbetriebnahme einzelner BER-Teile, bevor der Rest funktioniert? Kein Problem, es gebe Gespräche, mehr kosten soll es natürlich nicht. Eine dritte Start- und Landebahn, für die Brandenburger ein rotes Tuch? Wäre schön, zwei Pisten seien womöglich zu wenig. „Er ist halt ein Energiebündel“, sagt ein Mitglied des BER-Sonderausschusses im Potsdamer Landtag, das Mehdorn inzwischen mehrfach erlebt hat.

Die staatlichen Eigentümer haben die Methode Mehdorn – vieles anstoßen, nichts ausführen – teils belustigt, teils irritiert zur Kenntnis genommen. Platzeck widersprach ihm anfangs noch milde. Die Tegel-Debatte erklärte er nachsichtig damit, dass der neue Flughafenchef erst „sieben oder acht Stunden im Amt ist“. Inzwischen sagt der Oberaufseher: „Ich finde es richtig, dass Herr Mehdorn tabulos an diese verfahrene Kiste herangeht.“ Nur sei manche Diskussion zunächst besser intern zu führen.

Klaus Wowereit soll menschlich einen guten Draht zu Mehdorn haben. „Da ist Respekt“, heißt es im Roten Rathaus. Das erstaunt umso mehr, als die beiden in den vergangenen Jahren mehrmals über Kreuz gerieten. Mehdorn kämpfte als Bahnchef schon für den Weiterbetrieb des Flughafens Tempelhof, er wollte die Zentrale des Staatskonzerns nach Hamburg verlegen. Und ihm wurde das Elend mit der S-Bahn angelastet, die er für den Bahn-Börsengang kaputtgespart habe. Wowereit hat ihm all das nachgesehen, so wie die Gesellschafter jetzt über seine Flughafen-Vorstöße gnädig hinwegsehen. Ein einziges Mal bisher sind sie ihm in die Parade gefahren. Vorige Woche berichtete eine Zeitung unter Berufung auf „Insider“, Mehdorn wolle den Technik-Vorstand Horst Amann loswerden, der im August 2012 als Krisenretter nach der Eröffnungsabsage geholt worden war. Durch Kolportage wurde daraus rasch ein Zerwürfnis. Die Aufseher nahmen Mehdorn daraufhin ins Gebet: Er solle sich „wieder der Sache zuwenden“, wurde ihm bedeutet, soll heißen: Alles für eine schnelle Eröffnung des BER tun. Amann, dem auch die Regierungen in Potsdam und Berlin misstrauen, bekam Rückendeckung.

Mehdorn hält das nicht davon ab nachzulegen. Amann und er seien eben unterschiedliche Charaktere, sagt er im Abgeordnetenhaus. Zu unterschiedlich, ließ sich da heraushören, um auf Dauer miteinander auszukommen. Amann gilt als Perfektionist und Zauderer, der erstmal alle Mängel am BER sauber auflisten will, bevor er handelt. Mehdorn ist es egal, ob ein Lichtschalter in der Damentoilette funktioniert oder nicht. Er will, dass sich etwas tut auf dem Flughafen, der aus seiner Sicht gar keine Baustelle mehr ist. Demnächst lässt er deshalb aufräumen: „Da stehen 720 Container herum, wir brauchen vielleicht noch 50.“ Wer sein Zeugs nicht abhole, müsse damit rechnen, dass es auf dem Müll landet. „Wichtig ist, dass alle sehen: Wir sind dabei, fertig zu werden“, sagt Mehdorn vor dem Berliner Ausschuss und deutet mit der Hand einen Sinkflug an.

Wenn Amann nicht mitzieht, muss er aus Mehdorns Sicht eben gehen, so wie er selbst einst gegangen ist beim Airbus-Unternehmen Dasa, weil er sich mit dem Chef nicht verstand. Auch davon hat er gleich allen erzählt, als er beim Flughafen anfing. Wie in der Tegel-Debatte rudert er indes im Fall Amann ein Stück zurück: „Ich habe nie gesagt, dass ich einen Vorstand rausschmeißen will.“ Danach folgen Sätze, die klarmachen, dass er es schon gerne sähe, wenn Amann fliegt. Der Ausschussvorsitzende Andreas Otto, der die Methode Mehdorn erstmals hautnah erlebt, sagt hinterher mit leiser Abscheu, so etwas gehe ja nun nicht. Die Gesellschafter sehen das offenbar anders.

Loses Mundwerk, breite Schultern

Vielleicht ist es auch praktisch, einen wie Mehdorn zu haben, mit losem Mundwerk und breiten Schultern, dem es nichts ausmacht, den Prellbock zu spielen. Für die verantwortlichen BER-Eigner, die wegen der Pannenserie und der Milliardenkosten politisch mit dem Rücken zur Wand stehen, bedeutet das Entlastung. Mehdorn selbst hat an seinem ersten Arbeitstag über die unterschiedlichen Interessen von Politik und Geschäftsführung beim Flughafenprojekt gesagt: „Das ist nun mal das Rollenspiel.“

Wie genau es läuft, dürfte sich heute im Aufsichtsrat zeigen. Mehdorn und Wowereit wollen gegen das strenge Schallschutz-Urteil des Oberverwaltungsgerichts klagen, Chefaufseher Platzeck ist für Akzeptieren. Wahrscheinlich gibt er dem Flughafenboss dennoch freie Hand: Mehdorn hat sowieso gesagt, er entscheide das. Dann soll er eben.

Platzeck und Wowereit möchten schließlich wiedergewählt werden. Mehdorn will seinen Job machen, und das möglichst erfolgreich. „Wenn es nach Beliebtheit gegangen wäre, hätte ich Porsche-Chef werden müssen“, hat er über seine Bahn-Zeit gesagt. Dass ihn die Menschen von damals zu kennen glauben, ist eher von Vorteil. „Bahnchef Mehdorn“ war ein stehender Begriff – für Streitlust, Aktionismus, Chuzpe. Dem havarierten Flughafen kann all das nur gut tun. Mehdorn habe es geschafft, sagt ein FBB-Mitarbeiter, die verunsicherte Belegschaft aus ihrer Lethargie zu holen. Mehdorn kann aufregen, aber auch sehr anregend sein.

Viele Berliner und Brandenburger haben ohnehin kein Problem mit Hemdsärmeligkeit. Mehdorn trifft oft den Ton der Region. Auf der Baustelle sehe es aus „wie bei Lumpi unterm Sofa“, ist einer seiner Lieblingssprüche, weil er gemerkt hat, dass er ankommt. Über das Beschleunigungsprogramm namens Sprint sagt er, es solle „Gummi auf den Asphalt bringen“. Schon äußerlich ist Mehdorn in Berlin-Brandenburg verwurzelt, zwischen Zilles Milieu und Loriots Knollennasenmännchen. Er selbst beschreibt sich als einen der „kleinen Dicken, die etwas aushalten“. Und ein Brandenburger Politiker gibt wieder, wie die Basis über Mehdorn denkt: „Der Typ ist zwar ein A...loch“, sagten viele, „aber er kann es hinkriegen.“