Stillstand bei der Mobilitätswende: Sind nun weitere Busspuren in Gefahr?

Pech für die Fahrgäste – und für die BVG. Seit einem Gerichtsbeschluss vor einem halben Jahr konnte für die Busbeschleunigung in Berlin nichts getan werden.

Schneller durch die Stadt: ein BVG-Bus auf der Busspur in der Martin-Luther-Straße.
Schneller durch die Stadt: ein BVG-Bus auf der Busspur in der Martin-Luther-Straße.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Sie ersparen es vielen Menschen, wertvolle Lebenszeit im Stau zu verschwenden. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wiederum sparen Geld, das sie sonst für Busse und Fahrpersonal ausgeben müssten. Doch nachdem vor knapp einem halben Jahr Anwohner bei ihren Bemühungen gegen eine Busspur recht bekommen haben, ist in Berlin kein einziger längerer neuer Sonderfahrstreifen für Busse mehr markiert worden. Jetzt wurde bekannt, dass möglicherweise auch anderen Busspuren die Entfernung droht. „Es gibt aktuell vereinzelt Widersprüche – und insofern auch Widerspruchsverfahren“, teilte Jan Thomsen, Sprecher von Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne), auf Anfrage mit.

Auch wenn sich in der Berliner Verkehrsdebatte die Gegenpole immer unversöhnlicher gegenüberstehen, eine Erkenntnis gilt weiterhin als Konsens: Ein guter öffentlicher Verkehr ist wichtig, um die Straßen zu entlasten und Menschen aus ihren Autos zu locken. Dazu gehört, dass Busse und Straßenbahnen nicht in Staus geschickt, sondern beschleunigt werden. Busspuren und Ampelvorrangschaltungen galten auch unter CDU-Verkehrssenatoren als notwendig. Von 1990 bis 2000 wuchs das Netz von knapp 34 auf fast 100 Kilometer. Dabei gab es den Begriff Mobilitätswende damals noch gar nicht.

Danach ging es jahrelang nicht voran. Im Gegenteil: Allein zwischen 2011 und 2015 wurden in Berlin 1,7 Kilometer Busspuren „abgeordnet“ und erneut dem Autoverkehr zugeschlagen. Erst in den vergangenen Jahren wurde das Netz wieder etwas größer. Seit 2016, als das Verkehrsressort im Senat von der SPD zu den Grünen wechselte, hat es mehr als 20 Kilometer zugelegt. Derzeit gibt es insgesamt knapp 123 Kilometer Bussonderfahrstreifen in der Stadt, berichtete Thomsen. Weitere Projekte befänden sich in der Pipeline. Aktuell knapp elf Kilometer Busspuren seien angeordnet, aber bislang nicht markiert worden, berichtete der Sprecher der Senatsverwaltung für Mobilität.

Gericht: Ohne besondere Gefahr darf keine Busspur angeordnet werden

Dass nun Bautrupps ausschwärmen, um die neuen Markierungen auf die Fahrbahnen zu pinseln, ist jedoch unwahrscheinlich. Stattdessen könnte es sein, dass bestehende Busspuren ins Visier von Juristen geraten. Denn am 31. August 2022 kam es zu einer Gerichtsentscheidung, die diesem Teil der Mobilitätswende einen Stillstand beschert hat, der nun schon fast ein halbes Jahr andauert und dessen Ende unabsehbar ist.

In einer Eilentscheidung gab das Verwaltungsgericht Berlin Anwohnern der Clayallee recht. Die Zehlendorfer hatten gegen die Busspur, die von der Straßenverkehrsbehörde der Senatsverwaltung im Jahr zuvor vor ihrer Tür angeordnet worden war, Widerspruch eingelegt und vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Mit Erfolg, wie der Beschluss zeigte.

Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs könnten nur bei einer besonderen Gefahrenlage angeordnet werden, argumentierte die 11. Kammer des Berliner Gerichts. „An einer solchen Gefahr fehle es hier“, hieß es. Die Behörde habe nicht dargelegt, dass bisher überhaupt eine wesentliche Behinderung des fließenden Verkehrs oder merkliche Zeitverluste für den Busverkehr bestanden hätten. Die derzeitige Behinderung sei mit lediglich elf bis 26 Sekunden pro Durchfahrt beziffert worden.

Mindestens 20 Busfahrten pro Stunde – in Berlin reichten zuletzt neun aus

Zudem habe die Behörde ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt, stellten die Richter fest. Nach einer bundesweit geltenden Verwaltungsvorschrift sollen Busspuren nur dort eingerichtet werden, wo in der Stunde der stärksten Verkehrsbelastung mindestens 20 Busse verkehren. Dagegen hatte sich die Straßenverkehrsbehörde an einer lokalen Berliner Vorgabe orientiert. Hier reichte bisher eine Mindestfrequenz von neun Bussen pro Stunde aus, um eine Busspur anordnen zu dürfen. Nach Informationen der Berliner Zeitung galten davor sogar sechs Busfahrten pro Stunde als ausreichend. Warum die Behörde vom bundesweiten Standard abwich, sei nicht begründet worden.  

Noch ist der Beschluss nur vorläufig. Es handele sich um eine Eilentscheidung, betonte die Senatsverwaltung. „Ein Urteil in der Hauptsache steht noch aus. Es gibt auch noch kein Hauptsacheverfahren“, erklärte sie. Deshalb seien die Markierungen in der Clayallee nicht dauerhaft entfernt, sondern erst mal nur gelb durchgestrichen worden.

Klar ist aber auch: Der Gerichtsbeschluss wirkt sich berlinweit aus. „Gänzlich neue Bussonderfahrstreifen mit größerer Ausdehnung wurden seither nicht dauerhaft angeordnet oder markiert“, bestätigte Thomsen. Dort, wo die Voraussetzungen gegeben seien, werden aber vorhandene Busspuren angepasst oder neue Projekte geprüft. Vorübergehende Anordnungen für Schienenersatzverkehr gebe es ebenfalls weiterhin. 

Ansonsten warte die Senatsverwaltung, wie das Gericht im weiteren Verlauf über die Widersprüche entscheidet. Dass es in Berlin künftig überhaupt keine neuen Busspuren mehr geben wird, glaubt man dort nicht. Man gehe davon aus, „dass auch künftig Bussonderfahrstreifen rechtssicher angeordnet werden können“, sagte Thomsen.

Bund prüft Änderung der Vorschriften – auf Vorschlag von Berlin

Um dies zu erleichtern, setze sich der Senat für eine Änderung der bundesweiten Vorschrift ein. Eine Arbeitsgruppe des Verkehrsministerkonferenz habe auf Anregung Berlins vorgeschlagen, dass Busspuren auch dann angeordnet werden dürfen, wenn keine „qualifizierte Gefahr“ besteht. Das Bundesverkehrsministerium habe in Aussicht gestellt, dem Wunsch stattzugeben, so der Sprecher. Doch einen Zeitplan gebe es nicht.

Inzwischen seien weitere formale Widersprüche gegen Berliner Busspuren eingegangen, hieß es in der Verwaltung. Wo sich die Fahrstreifen befinden, teilte sie nicht mit. „Diese Widersprüche werden bearbeitet und behördlich beantwortet. Erst dann sind dagegen Klagen möglich, die ein Hauptsacheverfahren einleiten würden“, sagte Thomsen.

Es steht also nicht gut um die geplante Beschleunigung des öffentlichen Verkehrs in Berlin. Beobachter kritisieren schon seit längerem, dass vielen Verantwortlichen in der Verwaltung die Förderung des Fahrradverkehrs wichtiger ist – selbst wenn die BVG dadurch behindert wird. Das jetzige Patt spiele ihnen in die Hände, lautet die aktuelle Einschätzung. 

Durchschnittstempo des Busverkehrs in Berlin stagniert seit Jahren

Dabei ist die durchschnittliche Geschwindigkeit des Linienbusverkehrs in Berlin seit Jahren nicht gestiegen. Im vergangenen Jahr betrug sie 17,9 Kilometer pro Stunde – genauso viel wie 2018 und 2021. 2019 wurde ein Durchschnittswert von 17,8, im Jahr darauf von 18,2 Kilometer pro Stunde gemessen.

Weil für Bus und Tram eine weitere Entschleunigung erwartet wird, kalkuliert das Landesunternehmen höhere Kosten ein. War zuletzt von insgesamt 15 Millionen Euro pro Jahr die Rede, geht die BVG nun von sechs Millionen Euro aus. Eines ist klar: Was das Tempo anbelangt, bleibt der Nahverkehr unter seinen Möglichkeiten. Pech für die Fahrgäste.