Hyperinflation 1923: Gelddrucken bis zum Untergang

Die Regierung befahl, die Reichsdruckerei lieferte: Banknoten in unfassbaren Mengen. Wie hat sie das gemacht? Eine Nachfrage in der Bundesdruckerei.

Geldscheine zählen? Im Jahr 1923, zum Höhepunkt der Hyperinflation, wurden die Banknoten praktischerweise abgewogen. Nationale Bankrotte kommen immer wieder vor, selbst in der Geschichte einst ruhmvoller Reiche.
Geldscheine zählen? Im Jahr 1923, zum Höhepunkt der Hyperinflation, wurden die Banknoten praktischerweise abgewogen. Nationale Bankrotte kommen immer wieder vor, selbst in der Geschichte einst ruhmvoller Reiche.dpa

Die Inflationsapokalypse ist abgesagt. Finanzpolitische Maßnahmen haben den Preisgalopp gebremst. Die deutsche Urangst vor einem Totalverlust alles Ersparten durch eine Hyperinflation weicht anderen Sorgen. 1923 wird sich nicht wiederholen. Die Bundesdruckerei in Berlin-Kreuzberg muss sich nicht auf eine Massenproduktion von Euro-Noten vorbereiten.

Vor 100 Jahren lag die Inflation im Januar bei 7400 Prozent, im September bei unfassbaren 21.328 Prozent. Die Reichsdruckerei, wie sie damals hieß, hatte im Auftrag der Reichsregierung die Banknoten für die Hyperinflation in kürzester Zeit rein physisch herzustellen – eine bis dahin ungekannte Ausnahmesituation in einer der geheimsten, am besten abgesicherten staatlichen Einrichtungen mit höchsten Qualitätsansprüchen. Fälscher sollten selbst in der Inflation keine Chance bekommen, so der Anspruch. Wie hat die Druckerei das bewältigt?

Doch zuvor ein Blick auf die Komponenten des damaligen Währungsschwundes. Was damals wirkte, ist ja auch heute nicht aus der Welt: ein Krieg, massive Staatsverschuldung, Verlust an politischer Stabilität in einer Epoche des Umbruchs.

Zunächst finanzierte das Kaiserreich den Ersten Weltkrieg. Im nationalen Hochgefühl kommender Siege steckten viele Deutsche ihr Erspartes in Kriegsanleihen. Das sollte im Totalverlust und dem Niedergang der Mittelklasse enden. Zur Niederlage 1918, dem Ende von 800 Jahren Monarchie und der Novemberrevolution kam 1919 der Friedensvertrag von Versailles, der Deutschland gewaltige Reparationszahlungen in Goldmark, Devisen und Sachwerten auferlegte. Zu Jahresbeginn 1920 hatte eine Mark gegenüber dem Dollar noch ein Zehntel des Wertes von 1914. Im Oktober 1921 war es noch ein Hundertstel, ein Jahr später ein Tausendstel. Und dann ging es erst richtig los.

Druckplatte für Inflationsgeld: eine Platte für die Vorderseite der 10.000er-Reichsbanknote vom 19. November 1922
Druckplatte für Inflationsgeld: eine Platte für die Vorderseite der 10.000er-Reichsbanknote vom 19. November 1922Maritta Tkalec
Druckplatten für Inflationsgeld: eine Platte für die Rückseite der 10.000er-Reichsbanknote vom 19. November 1922
Druckplatten für Inflationsgeld: eine Platte für die Rückseite der 10.000er-Reichsbanknote vom 19. November 1922Maritta Adam-Tkalec

Die Reichsregierung sah sich außerstande, die Reparationen zu zahlen. Deshalb besetzten Anfang 1923 französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet, das Zentrum der deutschen Kohle- und Stahlindustrie. Der deutsche Widerstand war heftig, die Arbeiter traten in den Streik. Die Reichsregierung zahlte ihre Löhne weiter – mit Geld aus der Notenpresse.

Betrieblich und organisatorisch übertraf die Herstellung des Inflationsgeldes alles bis dahin Vorstellbare. Selbst an der Sicherheit machte die Reichsbank schließlich Abstriche. Fabian Pinnig, bei der Bundesdruckerei zuständig für History Communications, erzählt, wie stolz man immer gewesen sei, die besten Graveure und Kupferstecher zu beschäftigen, die auch die kompliziertesten ornamentalen Muster, Guillochen genannt, herstellen konnten.

Wettlauf mit den Geldfälschern

Jede Spezialität, jedes Extra erschwerte Fälschern das Handwerk. Aber jedes Extra bereitete auch mehr Arbeit, sagt Fabian Pinnig: feinere Zeichnungen des Originals und aller weiteren Materialien, Sicherheitsmerkmale wie Guillochen, verschiedene Druckverfahren etc. Niemals verfügte eine einzige Person über das gesamte Wissen rund um einen Wertpapierdruck, immer wurden zum Beispiel Druckplatten, Entwürfe etc. an unterschiedlichen Orten gelagert. Auch heute noch gibt es Spezialisten für Sicherheitsmerkmale sowie eine eigene Farbenreiberei.

Als seinerzeit in immer kürzeren Abständen immer neue Banknoten entworfen, immer neue Druckplatten gefertigt, immer mehr Geldscheine gedruckt werden mussten, sanken schließlich auch die Sicherheitsstandards. Im Sommer 1922 sah sich die Reichsdruckerei gezwungen, Banknoten von endloser Papierbahn auf Rotationsmaschinen zu drucken. Und man vergab Aufträge an Fremddruckereien. In einem von der Bundesdruckerei herausgegebenen Band „Identität und Sicherheit“, der die Geschichte der Institution von 1763 bis heute zusammenfasst, ist zu lesen, dass die Regierung neben der Reichsdruckerei zusätzlich etwa 60 privatwirtschaftliche Betriebe als Hilfsdruckereien der Reichsdruckerei mit dem Wertdruck beauftragte. Doch eines blieb unverändert: Die Druckplatten für den Banknotendruck – das Heiligste – wurden ausschließlich in der Reichsdruckerei gefertigt.

Jahrzehnte lagerte das Druckplattenpaket im Archiv, nun öffnet es die Historikerin Linda Stieffenhofer zum ersten Mal wieder. 
Jahrzehnte lagerte das Druckplattenpaket im Archiv, nun öffnet es die Historikerin Linda Stieffenhofer zum ersten Mal wieder. Maritta Tkalec

Kein Wunder, dass sich die Historikerin Linda Stieffenhofer dem vor ihr liegenden, in Plastikfolie eingeschweißten Paket mit der Aufschrift „Schrank 66a Nr. 409“ höchst respektvoll nähert. Die Platten darin schimmern kupferbraun. Auf weißem Karton liegt der Abzug einer Vorderseite bei: „Reichsbanknote Zehntausend Mark zahlt die Reichsbankhauptkasse in Berlin gegen diese Banknote dem Einlieferer. Berlin, den 19. Januar 1922.“ Es folgen Unterschriften. Jahrzehntelang lagerte das Paket im Unternehmensarchiv. Jetzt liegt es neben anderen Päckchen voller Gelddruckvorlagen auf einem Rollwagen, denn – erste Überraschung – jedes von ihnen ist kaum anzuheben. Zehn Kilogramm mindestens, wiegt jedes einzelne.

Riesige Papiermengen – für Geld

Vorsichtig ausgepackt kommt – zweite Überraschung – nicht nur je eine Druckplatte für Vorder- und Rückseite, wie sich der Laie das vielleicht vorstellt, zum Vorschein. Nein, es sind fünf schwere Kupferplatten für die Vorder- und fünf für die Rückseite mit feinstziselierten Ziffern, Ornamentbändern und -kartuschen, das Kopfbildnis eines jungen Mannes mit Kopfbedeckung, der Reichsadler mit ausgebreiteten Flügeln. Jede Banknote wurde also vorn wie hinten mit je fünf verschiedenen Druckplatten in fünf verschiedenen Schichten bedruckt.

Als diese 10.000er-Note in Druck ging, im Januar 1922, deutete sich die Hyperinflation an. Wie dramatisch sie sich entwickelte, ist auch am Papierverbrauch der Reichsdruckerei abzulesen. Im vierten Quartal 1922 lag er bei 3,5 Millionen Kilogramm, im nächsten Quartal bei 4,6 Millionen und erreichte im vierten Quartal 1923 den Höchststand von 5,5 Millionen Kilogramm Papier. Der aktuelle Pro-Kopf-Verbrauch liegt in Deutschland bei 227 Kilogramm pro Jahr (5,5 Millionen Kilogramm entsprächen dem Jahresverbrauch von 43.300 heutigen Deutschen).

Die externen Papierfabriken unterlagen strengsten Vorgaben und Kontrollen hinsichtlich der Produktion, Lagerung und Lieferung. Nun aber musste selbst die Reichsdruckerei das Papier wegen Platzmangels außerhalb des Druckereigeländes lagern und mietete in den 1920er-Jahren zahlreiche Liegenschaften in der Umgebung an. Und die Zahl der Mitarbeiter stieg: Im November 1922 waren es 12.062 Personen.

Massenproduktion von Geld

Die allein für den Banknotendruck benutzte Betriebsfläche umfasste gegen Ende der Inflation 28.592 Quadratmeter gegenüber einem Stand von 9954 Quadratmetern bei Kriegsausbruch. 8642 Leute arbeiteten allein im Wertpapierdruck.

Im Sommer und Herbst 1923 setzte eine Massenherstellung drucktechnisch einfachster Scheine in einem kaum übersehbaren Ausmaß ein, zumeist im privaten Druckgewerbe. Von 1922 bis zur Stabilisierung der Mark Ende 1923 erschienen insgesamt 57 Haupttypen von Reichsbanknoten. Allein zwischen dem 25. Juli 1923 und dem 26. Oktober 1923 kamen 28 verschiedene Arten heraus, die werthöchste je in der Reichdruckerei (und damit überhaupt) hergestellte und in Umlauf gebrachte Banknote trug den Aufdruck: 100 Billionen Mark. Von April 1923 bis Inflationsende lieferte die Reichsdruckerei an die Reichsbank über 3,3 Milliarden Geldscheine.

Das Ende des Wahnsinns kam in Sicht, als die Reichsregierung im Oktober 1923 die Rentenbank gründete und die Rentenmark herausgab, die die Währung stabilisierte. Das neue Zahlungsmittel erzeugten die Reichsdruckerei in Berlin, die Leipziger Wertdruckerei Giesecke+Devrient sowie die Berliner Privatdruckereien W. Büxenstein und Dr. Selle & Co. Die ersten 150.000 Scheine im Wert einer Rentenmark, datiert auf den 1. November, ausgeliefert im Dezember 1923. Da die Sache eilte, stellte man die Scheine im Hochdruckverfahren her; die Qualität war in Ordnung.

Ende 1924 war der Spuk auch für die Reichsdruckerei vorbei: Die Banknoten für die Währungsumstellung waren gedruckt, die Auftrage schrumpften auf Normalmaß. Nun wurden Werkstätten zusammengelegt, abgenutzte Maschinen verschrottet. Von den 12.000 Mitarbeitern im November 1922 waren zwei Jahre später noch 3900 dabei.

Hauptgewinner Staat

Und warum ließ die Regierung der Weimarer Republik die Inflation derart entgleisen? Warum kam erst Ende 1923 der Stopp durch die Rentenmark? Die Antwort ist recht einfach: Zunächst löste der Staat seine Geldsorgen durch Gelddruck. Und er war der Hauptgewinner der Inflation, weil er seine enormen Schulden mit der wertlosen Währung tilgen konnte. Das war 1923 erreicht.

Auch heute schrumpfen mit der Inflation die in den jüngsten Krisen – Pandemie, Krieg, etc. – angehäuften Staatsschulden. Ein Unterschied: Vor 100 Jahren gebot die Regierung direkt über die Reichsbank. Heute ist die Europäische Zentralbank im Prinzip unabhängig. Doch kamen in jüngster Vergangenheit immer wieder Zweifel auf, wenn besonders hoch verschuldete Euro-Staaten Druck ausübten, damit die EZB ihre Billionen-Staatsanleihekäufe fortsetzt. Sie bremste erst scharf, als die Inflation im Lauf des vergangenen Jahres bedrohliche Ausmaße annahm.

Der legendäre, 1999 verstorbene amerikanische Börsenkenner André Kostolany beschrieb die Inflation zusammenfassend in einem genial-volkstümlichen Satz: „Zunächst ist sie wie ein laues Bad, dann wird das Wasser immer heißer, und am Schluss explodiert die Wanne.“