Von Zehlendorf nach Brandenburg: Berliner Rettungswagen wird zum Patienten-Taxi

Die Kassenärztliche Vereinigung vermittelt keine Krankentransporte mehr. Das treibt seltsame Blüten.

Ein Rettungswagen der Berliner Feuerwehr im Einsatz
Ein Rettungswagen der Berliner Feuerwehr im EinsatzSabine Gudath

Das Gesundheitssystem treibt in Berlin skurrile Blüten: Ein Rettungswagen der Feuerwehr musste einen Patienten von Zehlendorf nach Hause bringen – ins 50 Kilometer entfernte Teupitz im Landkreis Dahme-Spreewald.

Der Fall, über den zuerst die B.Z. berichtete, ereignete sich am Dienstag. Die Leitstelle der Feuerwehr hatte sich vergeblich darum bemüht, ein Krankentransport-Unternehmen zu finden. Der Patient sollte im Zehlendorfer Krankenhaus Waldfriede abgeholt und nach Hause gefahren werden.

In Berlin gibt es mehr als 90 Krankentransport-Unternehmen. Doch nach Angaben von Feuerwehrsprecher Thomas Kirstein fand sich kein Unternehmen zu der Fahrt bereit. Also musste die Feuerwehr diese Aufgabe selbst übernehmen. „Es war ein typischer Krankentransport, für den wir aber einen hochwertigen RTW einsetzen mussten“, sagt Kirstein. Die Kosten für einen RTW-Einsatz, der von den Krankenkassen bezahlt werden muss, liegen in Berlin bei 299 Euro.

Die ohnehin schon voll ausgelastete Feuerwehr hat seit Anfang dieses Monats ein neues Problem: Sie muss nun auch noch Krankentransporte vermitteln. Diese werden im Allgemeinen durch Kliniken, Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung (KV) vermittelt. Doch die KV stellte die Vermittlung von Krankentransporten ein. Seitdem können Patienten über die Nummer des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes 116117 keinen Transport mehr anfordern.

Die Notrufannahmeplätze in der Leitstelle der Berliner Feuerwehr
Die Notrufannahmeplätze in der Leitstelle der Berliner Feuerwehrimago stock&people

Patienten müssen sich jetzt selbst um einen Transport kümmern

Als Grund nennt die KV die hohe Belastung in der Leitstelle ihres Bereitschaftsdienstes. Es habe sich um eine freiwillige Serviceleistung gehandelt. Die Zahl der Vermittlungen sei jedoch zuletzt stark gestiegen, der Organisationsaufwand zu hoch. Laut KV geht es um rund 17.000 von insgesamt einer Million Krankentransporte pro Jahr in Berlin.

Die KV hat Patienten und Pflegeheime darüber informiert, dass diese sich ihre Krankentransporte jetzt selbst organisieren müssen. Bei Patienten, die dazu nicht in der Lage sind, übermittelt die KV nun die Einsatzdaten der Feuerwehr, die sich darum kümmern muss. Eine eigene Leitstelle zur Vermittlung von Krankentransporten könnte diese Aufgabe übernehmen. Doch seit Jahren wird darüber debattiert, ohne eine Finanzierungslösung dafür zu finden.

Am Mittwochabend ließ Innensenatorin Iris Spranger (SPD) mitteilen, dass bei einem Spitzengespräch in ihrem Haus mit den Krankenkassen, der KV und dem DRK ein erstes Ergebnis erzielt worden sei. „Die Krankenkassen haben die grundsätzliche Bereitschaft zur Finanzierung des Personals zur Vermittlung von Krankentransporten signalisiert", so Spranger. „Eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung, Dritten und der Feuerwehr steht als Option im Raum.“

Rettungswagen werden alarmiert, wenn ein Notfall vorliegt, wenn also jemand in Lebensgefahr schwebt oder ein schwerer Gesundheitsschaden droht. Krankentransporte sind in der Regel nicht eilbedürftig. Anrecht darauf hat, wer wegen eines Unfalls, schwerer Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit nicht mehr allein zum Arzt oder ins Krankenhaus fahren kann. Dafür braucht es eine ärztliche Verordnung. Die Kosten übernimmt die Krankenkasse.

Chihuahua zwickt Mann in die Wade - Rettungswagen kommt mit Blaulicht

Am Montag, als der RTW den Patienten nach Teupitz und dann leer zurückfuhr, standen zeitweise nur drei freie Rettungswagen zur Verfügung. Die Zahl der Rettungsdienst-Einsätze steigt seit Jahren. Viele davon betreffen Bagatellfälle. Die Kassenärztliche Vereinigung und die Feuerwehr haben deshalb eine gemeinsame Informationskampagne gestartet, um sowohl die Zahl der Anrufe beim Ärztlichen Bereitschaftsdienst als auch beim Feuerwehr-Notruf zu verringern.

Einer dieser Bagatellfälle, zu denen ein Rettungswagen sogar mit Blaulicht geschickt wurde, war nach Informationen der Berliner Zeitung am Dienstag zu versorgen: Im Märkischen Viertel hatte ein kleiner Hund – ein Chihuahua – einem Mann in die Wade gebissen. Der Mann hatte keine offene Wunde aber die Feuerwehr gerufen und bestand darauf, ins Krankenhaus gefahren zu werden.

Weil die Rettungsstelle des Humboldt-Krankenhauses wegen Überlastung geschlossen war, musste der Rettungswagen weiterfahren zum Dominikus-Krankenhaus. Über eine Stunde war die RTW-Besatzung mit dem Fall beschäftigt.