Stromnetz-Chef: „Ein Netz, das Wärmepumpen kann, kann dann auch Elektroautos“

Erik Landeck ist Chef von Stromnetz Berlin. Im Interview spricht er über Blackout-Gefahren, Wartezeiten für Solaranlagen und acht neue Rechenzentren für Berlin.

Erik Landeck, Chef von Stromnetz Berlin
Erik Landeck, Chef von Stromnetz BerlinEmmanuele Contini

Wenn in der Energiewende fossiles Öl und Gas durch grünen Strom ersetzt werden sollen, hängt der Erfolg zu einem sehr großen Teil auch von der Leistungsfähigkeit regionaler Stromnetze ab. Das Berliner Netz ist mit knapp 36.000 Kilometern Länge das größte städtische Netz in Europa und Erik Landeck dessen Chef. Als wir ihn für ein Interview in der Firmenzentrale von Stromnetz Berlin nahe der Treptower Arena besuchen, erinnern wir ihn gleich zu Beginn an eine Begegnung im vergangenen Herbst. Da hatte er angesichts ungewisser Gasversorgungslage große Befürchtungen, dass die Berliner das Netz mit kollektivem Heizlüftergebrauch zum Kollabieren bringen könnten, und ließ die Lager mit Ersatz-Transformatoren füllen.

Herr Landeck, wie wahrscheinlich waren damals flächendeckende Stromausfälle?

Wir waren und sind tatsächlich meilenweit davon entfernt.

Also nur ein bisschen Panik gemacht?

Überhaupt nicht. Im späten Herbst wusste niemand, ob und wie schnell sich die Gasspeicher füllen würden und wie kalt es wird. Es ging darum, großflächige Stromausfälle zu vermeiden.

Jetzt sind die Gasspeicher so voll wie nie um diese Zeit. Ist die Gefahr für zuverlässige Stromversorgung gebannt?

Um diesen Winter sorgen wir uns nicht mehr.

Das klingt ein wenig nach Aufschub. Die Internationale Energieagentur warnt bereits vor dem nächsten Winter. Sind Sie ebenfalls besorgt?

Nein, bin ich nicht. Denn wir sind viel besser vorbereitet. Wir haben beispielsweise in einem Hochspannungs-Prüflabor ermittelt, dass Trafostationen nicht bereits bei einer Belastung von etwas mehr als 100 Prozent vom Netz genommen werden müssen, sondern erst bei 130 oder 140 Prozent. Darüber hinaus werden noch mehr Transformatoren mit Wärmesensoren ausgestattet und diese auf die neuen Grenzwerte eingestellt. Kritische Zustände können also rechtzeitig erkannt werden.

Infobox image
Emmanuele Contini
Zur Person
Erik Landeck, Jahrgang 1966, ist gebürtiger Saarländer. Er hat Elektrotechnik studiert und an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen promoviert. In Berlin ist er seit 1997, arbeitete zunächst bei der Bewag, dann bei Vattenfall. Mitglied der Geschäftsführung der Stromnetz Berlin GmbH ist Landeck seit 2008. Im vergangenen Jahr wurde er Geschäftsführer.

Der Winter ist aber nicht die einzige Herausforderung. Energiewende bedeutet, dass Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen ersetzt werden, Autos mit Benzin- und Dieselmotor durch Elektroautos. Wie stark wird der Stromverbrauch in Berlin steigen?

Er wird nach oben gehen, das ist sicher. Wie stark, das weiß ich nicht. Im vergangenen Jahr wurden in Berlin fast 13 Terrawattstunden Strom verbraucht, also 13 Milliarden Kilowattstunden. Das konnten wir messen. Wir wissen aber nicht, wie viele Berliner in absehbarer Zeit mit einer Wärmepumpe, also mit Strom statt mit Gas oder Öl heizen werden.

Es gibt das Ziel der Bundesregierung, das die Installation von bundesweit sechs Millionen Wärmepumpen bis 2030 vorsieht. Das lässt sich auf Berlin herunterbrechen. Das Berliner Heizungs-Handwerk rechnet mit 200.000 Pumpen bis 2030.

So einfach ist das nicht. Berlin ist nicht Deutschland. In dieser Stadt werden sehr viele Haushalte mit Fernwärme versorgt. Wärmepumpen kommen also vor allem in den Randlagen zum Einsatz, aber eben nicht überall in Berlin. Wir sind gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut gerade dabei, den Bedarf genauer zu bestimmen, und werden den Netzausbau entsprechend anpassen.

Das klingt jetzt aber doch beunruhigend vage.

Das heißt ja nicht, dass nichts passiert. Wir wissen, dass weitere große Rechenzentren in Berlin entstehen werden. Darüber hinaus wird Strom künftig in großem Maß genutzt, um Wasser für die Fernwärme zu erhitzen. Allein dafür werden wir die Kapazität des Stromnetzes bis 2030 von derzeit 2200 Megawatt auf knapp 4000 Megawatt nahezu verdoppeln. Damit sind wir schon gut aufgestellt. Egal, mit wie vielen Wärmepumpen 2030 in Berlin geheizt werden wird, das Stromnetz wird die nötige Kapazität bieten.

Wird es auch für die Elektroautos reichen? Wenn, wie von der Bundesregierung angestrebt, der Bestand an E-Autos in Deutschland bis Ende des Jahrzehnts auf 15 Millionen E-Autos wächst, werden davon etwa 350.000 ein Berliner Kennzeichen haben. Jetzt gibt es hier gerade einmal 27.000 Elektroautos.

Das wird kein Problem sein. Wir simulieren die Entwicklung schon seit vielen Jahren. Da die Fahrzeuge nicht ständig am Netz hängen und laden, sondern nur für ein paar Stunden und nie gleichzeitig, wird deren Bedarf gut aus den Netzreserven zu bedienen sein. Ein Netz, das Wärmepumpen kann, kann dann auch Elektroautos.

In den vergangenen Jahren wurden jeweils etwa 200 Millionen Euro in den Netzausbau investiert. Wie viel wird künftig nötig sein?

Bereits im vergangenen Jahr haben wir mit 265 Millionen Euro so viel investiert wie nie zuvor. Weniger können wir uns nicht mehr leisten. Für ein neues Umspannwerk vergehen bis zu zehn Jahre von der Entscheidung bis zur Fertigstellung. Was wir für die Energiewende heute versäumen, können wir nicht mehr aufholen.

Was heißt das konkret?

Dass wir in den nächsten zehn Jahren über drei Milliarden Euro in das Berliner Stromnetz investieren werden. Allein zu den 80 Umspannwerken werden 20 neu hinzukommen oder ältere ersetzt werden.

In der Netzleitstelle Berlin
In der Netzleitstelle BerlinBernd Friedel/imago

Die Gestaltung der Energiewende war auch ein wichtiges Argument des Berliner Senats, das Unternehmen Stromnetz Berlin vor zwei Jahren für insgesamt 2,1 Milliarden Euro von Vattenfall zu übernehmen. Hätte Vattenfall weniger investiert?

Da kann ich natürlich nur mutmaßen. Vattenfall war sicher immer ein zuverlässiger Stromnetzbetreiber. Sicher ist aber auch, dass das private Unternehmen auch mal eine Safety-Car-Phase eingeleitet hat, wenn die wirtschaftliche Situation kritischer war. Das haben wir in Landesbesitz nicht erlebt. Die Rahmenbedingungen waren zweifelsfrei schwierig, aber das Rennen ging sogar mit noch höherem Tempo weiter. Außerdem denken wir jetzt die Wärmewende mit. Das hilft natürlich auch, die Stromstrategie zu planen. Diese Abstimmung ist in einer kommunalen Familie leichter.

Alles richtig gemacht?

Absolut.

Kommen wir zu dem Strom, der zunehmend auch direkt in der Stadt erzeugt wird. Photovoltaikanlagen sind so gefragt wie nie. Wer eine will, muss nicht nur einen Lieferanten und Installateur finden, sondern die Anlage auch von Stromnetz Berlin genehmigen lassen. Darauf mussten Hausbesitzer im vergangenen Sommer aber bis zu fünf Monate warten und konnten ihre fertige Anlage auf dem Dach nicht nutzen. Stromnetz Berlin hat da nicht geholfen, sondern gebremst.

Wir wurden von der rasant gestiegenen Nachfrage tatsächlich überrascht. Im gesamten Jahr 2020 hatten wir noch 1400 Anschlussanträge zu bearbeiten, 2021 waren es schon 2200. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl auf 4800. Das war so nicht vorhersehbar.

Wie lange wartet man heute?

Acht bis neun Wochen. Bis Mitte Februar wollen wir unter acht Wochen kommen. Eine Balkonanlage genehmigen wir bereits heute in ein, zwei Tagen.

Weil die Anträge nicht mehr per Fax  gestellt werden müssen?

Ich weiß gar nicht, ob wir in jüngster Zeit Faxe bekommen haben. E-Mails nehmen wir jedenfalls tatsächlich nicht mehr an. Im vergangenen Sommer haben wir ein Onlineportal eingerichtet, über das die Anträge verpflichtend gestellt werden müssen. Außerdem werden die Anträge jetzt von mehr als 70 statt von 40 Mitarbeitern bearbeitet. Insgesamt haben wir die Geschwindigkeit verdreifacht. Wir wollen zukünftig zehnmal so schnell werden.

Mit der inzwischen gültigen Solardachpflicht ist weiter steigende Nachfrage sicher. Womit rechnen Sie?

Im Jahr 2027 werden bestimmt 10.000 Anträge zu bearbeiten sein.

Wie lange wartet man auf die Genehmigung einer privaten Wallbox zum Laden eines Elektroautos?

Eine Elf-Kilowatt-Box wird in fünf Tagen genehmigt, was wir bald noch am gleichen Tag erledigen wollen. Bei Anlagen ab 20 Kilowatt liegen wir heute bei etwa zwei Wochen.

Warum kommt dann der Ausbau des öffentlichen Ladenetzes nur so langsam voran?

Es gibt in Berlin etwa neun Unternehmen, die Ladesäulen installieren. Als Netzbetreiber dürfen wir selbst keine Ladesäulen aufbauen und betreiben, sondern nur an das Netz anschließen. Am Stromnetzbetreiber hapert es dabei jedenfalls nicht. Notfalls müssen wir neue Kabel legen. In jedem Fall sind wir nicht der Engpass für die Energiewende in Berlin.

Sie hatten bereits neue Rechenzentren erwähnt. Worum geht es dabei genau?

Zwei große Serverfarmen stehen kurz vor Baubeginn. Es gibt darüber hinaus etwa ein Dutzend Anträge. Wahrscheinlich werden bis 2030 acht Rechenzentren realisiert. Berlin ist dafür als Standort wohl sehr attraktiv.

Und sie sind offenbar willkommen, obwohl die Farmen unfassbar viel Strom benötigen und kaum neue Jobs bieten.

Tatsächlich benötigt solch ein Rechenzentrum im Mittelwert so viel Strom wie eine Kleinstadt, 50 Megawatt. Dafür sind Hochspannungsleitungen nötig. Die Anlagen produzieren aber auch viel Abwärme, die die Stadt für die Wärmewende nutzen kann.

Stromfresser sind demnach auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Dank Sektorkopplung. Heizlüfter bleiben aber Stromfresser.

Das Gespräch führte Jochen Knoblach.