„Sonne und Beton“ aus Neukölln: Berlinale zeigt Film in der JVA Plötzensee

Der Film zeigt einen schonungslosen Blick auf das Leben von Jugendlichen in Gropiusstadt. Die Berlinale führte den Streifen dort auf, wo manche Lebensläufe enden: im Knast.

Ein Freundeskreis aus Gropiusstadt versucht den harten Alltag zu bestehen. 
Ein Freundeskreis aus Gropiusstadt versucht den harten Alltag zu bestehen. Constantin Film

Üblicherweise sind Kontrollen vor einer Filmvorstellung in einem Berliner Kino nicht allzu streng. In Taschen oder Beutel wird heutzutage selten geschaut. Nicht wenige Kinobesucher nehmen sich ein Bier, eine Limo oder eine Tüte Chips von zu Hause mit. Doch am Dienstagabend ist alles anders. Vor der Vorführung des Films „Sonne und Beton“ kommt es zu peniblen Körperkontrollen. Es gibt Sicherheitsschleusen vor dem improvisierten Kinosaal, Personalausweise müssen abgegeben werden. Die Mitarbeiter des Justizvollzugs kontrollieren streng. Denn der Film wird im Rahmen der 73. Berlinale in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee gezeigt, inmitten von Inhaftierten, Politikern und Berlinale-Fans.

In den Minuten vor Filmbeginn herrschte ein reges Durcheinander. Besucher suchten sich ihre Sitze im Saal, der wie eine typische Schulaula aussah. Zugeordnete Plätze gab es jedoch nicht und so saßen alle Zuschauer durchmischt im Raum. Mitarbeiterinnen der Senatsverwaltung witzelten und lachten mit Gefangenen – für Außenstehende ein ungewohntes Bild. Lena Kreck, Senatorin für Justiz, sorgte mit ihrem Spruch „Selten habe ich mich so sehr gefreut, dass die JVA voll ist“ für reichlich Lacher im Publikum. „Für mich ist es das Highlight der Woche“, sagt ein Inhaftierter, „oder nein, sogar das Highlight des Monats“.

Mal lachen sie, mal weinen sie – ein authentischer Film über vier Jugendliche aus Neukölln.
Mal lachen sie, mal weinen sie – ein authentischer Film über vier Jugendliche aus Neukölln.Constantin Film

Der Film passt zu diesem besonderen Kinoabend buchstäblich wie eine Faust aufs Auge. Denn „Sonne und Beton“ beruht auf dem gleichnamigen Roman von Felix Lobrecht und zeigt die Geschichte eines Freundeskreises aus Gropiusstadt. Die vier Jugendlichen – Lukas, Gino, Julius und Sanchez – versuchen ihren zermürbenden Alltag im Plattenbaudschungel zwischen heißer Sonne und grauem Beton irgendwie zu bestehen: geprägt von Gewalt, Geldschulden, Klauen, Kiffen und Koma-Saufen. Die fehlenden Zukunftsaussichten im Kiez, aber auch der schlechte Ruf der Gegend, zu dem auch die Berliner Medien beitragen, werden in den zwei Stunden von Regisseur David Wnendt deutlich hervorgehoben. Sie kommen nämlich nur dann, wenn es negative Berichterstattung aus der Plattenbausiedlung gibt. Der Film spricht Themen an, bei denen die Politik häufig wegschaut.

Viele der Inhaftierten fühlen sich offensichtlich abgeholt vom Film. Sie nicken, grinsen, witzeln und rappen leise mit. Vielleicht sehen einige sich auch selbst in der Verfilmung, wie sie in ihren jungen Jahren mit den Schwierigkeiten in einem sogenannten Problembezirk zurechtkamen. Vor allem der Soundtrack zum Film vom aufstrebenden Neuköllner Rapper Luvre47, der ebenfalls aus Gropiusstadt kommt, sorgt für Gänsehaut. „Bald wird der Song im Radio hoch und runter laufen, glaube mir Bruder“, sagte ein „auswärtiger“ Besucher.

In einer anschließenden Fragerunde mit dem Regisseur und den vier Schauspielern fällt häufig das Wort „authentisch“. Ein Inhaftierter sagt, er komme aus Gropiusstadt und lobt die Filmemacher: „So, wie ihr es im Film gezeigt habt, geht es wirklich in den Straßen zu.“ Felix Lobrecht und Co. war es besonders wichtig, dass Menschen aus dem Kiez in der Verfilmung vorkamen. Aaron Maldonado Morales, Schauspieler von „Sanchez“, sagte zum Beispiel, dass „alle Komparsen im Film aus der Gropiusstadt kamen“, was den Film eben so authentisch gemacht hat: ob eine Schlägerei in der Parkanlage Gropiusstadt, eine Verfolgungsjagd mit der Polizei in der Lipschitzallee oder eine Szene im Bus, in der sich die Protagonisten mit ihrer vulgären Sprache gegenseitig überboten.

Für die Inhaftierten ist es jedenfalls ein Abend, an dem sie am kulturellen Leben Berlins teilnehmen. Vorfreude ist deutlich hörbar, als Lena Kreck verkündete, dass man noch diese Woche den Lobrecht-Roman in der JVA-Bibliothek ausleihen könne. Auch für die Schauspieler und Filmemacher war es ein Termin, weit weg vom Trubel am Potsdamer Platz. Ein Gefangener fragte die jungen Schauspieler, wie sie es finden, im Knast ihren Film zu zeigen. „Die Berlinale-Lichter machen mich nervös“, sagt Aaron Morales, „aber sonst fühle ich mich hier sehr wohl.“