Berlin: Kostenschätzung des Senats zur Enteignung von Deutsche Wohnen und Co.
Eine Enteignung großer Immobilienunternehmen in Berlin käme die Stadt teuer zu stehen. Jedenfalls, wenn es nach der amtlichen Kostenschätzung geht, die in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zum Volksbegehren der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ erarbeitet wurde.
Die Vergesellschaftung von 243.000 Wohnungen in Berlin würde demnach Entschädigungskosten von schätzungsweise 28,8 Milliarden bis 36 Milliarden Euro verursachen, heißt es aus zuverlässiger Quelle. Hinzu kämen Erwerbsnebenkosten von bis zu 180 Millionen Euro. Darüber hinaus fielen weitere einmalige Kosten von 1,5 bis 2,9 Milliarden Euro an – unter anderem für die Erfassung und technische Bewertung der Immobilien sowie für Entschädigungen für unbebaute Grundstücke.
Mit enthalten in der Rechnung sind zudem Ausgleichszahlungen für Wertminderungen und für das dann überzählige Personal bei den betroffenen Unternehmen. Für die Finanzierung der einmaligen Kosten und die Bewirtschaftung der Wohnungen müsste Berlin dem Vernehmen nach zusätzlich zu den Mieteinnahmen voraussichtlich Mittel in Höhe von 100 bis 340 Millionen Euro jährlich aufbringen. Bei aktuell sehr günstigen Finanzierungsbedingungen, wie es heißt. Und unter der Voraussetzung, dass die Mieten unverändert bleiben.
Initiative beruft sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes
Die Finanzierungskalkulation beruht auf der Annahme, dass die Wohnungen auf eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) übertragen werden. Bei der amtlichen Kostenschätzung handelt es sich den Angaben zufolge um „eine grobe Schätzung“, die auf Informationen mit Stand zum Ende des vergangenen Jahres beruhen. Offiziell soll die Kostenschätzung der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ erst noch zugestellt werden. Der Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint hatte am Montagmorgen zuerst über das Zahlengerüst informiert.
Wie berichtet, strebt die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ an, die Häuser von Immobilienunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen zu vergesellschaften. Die Initiative beruft sich dabei auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Darin ist formuliert, dass „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden können. Nach den Berechnung der Initiative fallen für eine Entschädigung der Immobilienunternehmen Kosten zwischen 7,3 Milliarden Euro und 13,7 Milliarden Euro an.
Für Initiative stehen die Mieter an erster Stelle
„Die Berechnungen des Senats orientieren sich anscheinend nur am Marktwert der Wohnungsbestände“, sagt der Sprecher der Initiative, Rouzbeh Taheri. „Unser Beschluss sieht aber vor, deutlich unter Marktwert zu entschädigen.“ Dabei stütze sich die Initiative auf die herrschende Meinung in der Rechtswissenschaft, die bei einer Vergesellschaftung nach Artikel 15 eine Entschädigung unterhalb des Marktwerts für zulässig halte.
„Wir orientieren uns bei unserem Entschädigungsmodell nicht an den spekulativen Marktpreisen“, sagt Taheri. „Wir setzen die Interessen der Mieterschaft an erste Stelle.“ Von den 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro Entschädigung, die die Initiative ansetze, müssten nur 20 Prozent aus dem Landeshaushalt aufgebracht werden. Die restliche Summe, die als Kredit aufzunehmen wäre, könnte aus den laufenden Mieteinnahmen refinanziert werden.
Neben der Deutsche Wohnen kommen für eine Vergesellschaftung laut der Initiative unter anderem Unternehmen wie Vonovia, ADO, Akelius und Covivio in Betracht. Die Berechnung der Initiative geht davon aus, dass rund 200.000 Wohnungen vergesellschaftet werden.
BBU sieht sich durch Kostenschätzung in Kritik bestätigt
Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), zu dessen Mitgliedern die Deutsche Wohnen gehört, sieht sich durch die amtliche Kostenschätzung in seiner Kritik bestätigt. „Die Kostenschätzung macht deutlich: Berlin kann sich diesen Volksentscheid nicht leisten“, sagt BBU-Chefin Maren Kern. Die Kosten würden einen gesamten Jahreshaushalt übersteigen und wären mehr als das Sechsfache der bisherigen BER-Baukosten.
„Zu den ohnehin schon zahlreichen erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken kommt spätestens jetzt noch ein weiterer hinzu“, sagt Kern: „die Missachtung der grundgesetzlichen Schuldenbremse.“ Das käme einem „finanzpolitischen Aus für Berlin gleich“, so die BBU-Chefin.
Der CDU-Abgeordnete Christian Gräff fordert: „Rot-Rot-Grün muss seine abenteuerlichen Enteignungsfantastereien endlich beerdigen.“ Denn sonst drohe Berlin nach senatsinternen Berechnungen eine neue Schuldenkrise über Jahrzehnte. Gleichzeitig wäre damit keine einzige neue Wohnung gebaut, Mieten würden nicht sinken, so Gräff. Bis auf die Linke unterstützt bisher allerdings keine der drei Regierungsparteien Enteignungen.
Der FDP-Abgeordnete Stefan Förster fordert vom Senat, dem Volksbegehren keine Zulässigkeit zu erteilen. „Dieses Volksbegehren beruht auf dem Gedanken der Umverteilung, die die katastrophale Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt nicht verbessert.“ Ganz im Gegenteil, so Förster: „Was wir in Berlin jedoch brauchen ist ein Entspannung in der Wohnungspolitik, die nur durch bauen, bauen und abermals bauen entstehen wird und nicht durch eine ideologisch getriebene Enteignungsdebatte, die am Ende der Steuerzahler zu tragen hat.“
Die Berliner zeigen sich in der Frage, ob sie Enteignungen für sinnvoll halten, schwankend. Während im Januar bei einer Forsa-Umfrage 44 Prozent der Befragten die Enteignung als sinnvoll einstuften und 39 Prozent dagegen votierten, war es im Februar umgekehrt: 39 Prozent unterstützten den Vorschlag, 47 Prozent lehnten ihn ab.