„Aufstand für Frieden“: Mehr als 50.000 Menschen bei Schwarzer und Wagenknecht

„Wir sind dem Atomtod so nah wie nie zuvor“, sagte Alice Schwarzer am Sonnabend vor dem Brandenburger Tor. Zehntausende applaudierten.

Wagenknecht und Schwarzer wollen eine neue Bürgerbewegung starten. Das Manifest und der  Aufstand für den Frieden seien erst der Anfang.
Wagenknecht und Schwarzer wollen eine neue Bürgerbewegung starten. Das Manifest und der Aufstand für den Frieden seien erst der Anfang.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Die Kundgebung soll jeden Moment losgehen. Für die Größe der Demo ist es beachtlich still, überall sieht man Flaggen mit der Friedenstaube. Es ist Samstag, 14 Uhr, auf dem Platz des 18. März, auf der Westseite des Brandenburger Tors. Die Menge wartet auf Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, die zum „Aufstand für Frieden“ aufgerufen haben. Eine Sprecherin der Veranstaltung verkündet, dass bereits 50.000 Menschen zu sehen sind. Noch mehr, heißt es, seien unterwegs zum Stadtzentrum.

Die Polizei rechnete mit 10.000 Teilnehmern, am Ende wurden es nach Aussage der Berliner Polizeisprecherin Anja Dierschke kurz nach der Demo rund 13.000, weit entfernt von den 50.000 Menschen, die der Veranstalter verkündet hatte. Nach Informationen der Berliner Zeitung aus Sicherheitskreisen sind jedoch die Veranstalterangaben korrekt.

Bevor es losgeht, verliest der Versammlungsleiter Anweisungen der Berliner Polizei, die von den Teilnehmern für den friedlichen Ablauf der Demo zu beachten seien. Jegliche Symboliken und Kennzeichen, die den Krieg zwischen Russland und der Ukraine verherrlichen würden, seien nicht gestattet. Er beginnt aufzuzählen: Darunter fielen etwa russische und sowjetische Militär-Flaggen, doch dann werden die Buhrufe so laut, dass 50 Meter weg von der Tribüne nichts mehr zu verstehen ist. Ein Mann ruft laut: „Lang lebe Russland!“

„Das ist der Anfang einer Bürgerbewegung“, ist einer der ersten Sätze von Alice Schwarzer, als sie zum Mikrofon greift. Zwei Wochen ist es her, als die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer gemeinsam ein „Manifest für den Frieden“ veröffentlichen, in dem sie zu Friedensverhandlungen mit Russland und dem Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine aufriefen.

Das „Manifest für den Frieden“ eint verschiedenste politische Gruppen

Das Manifest stieß auf heftige Kritik, sowohl seitens der Regierungsparteien als auch von der Linken selbst. Deutschlandweit werfen Kritiker dem Manifest Naivität und die Unterschlagung der Leiden der Ukrainerinnen und Ukrainer vor, während Wagenknecht und Schwarzer in dem Dokument Deutschland und die USA als Kriegstreiber anprangern. Jenes fand neben Erstunterzeichnern wie Reinhardt May, Martin Sonneborn oder Gregor Gysi eine immer größer werdende Zustimmung in der Bevölkerung: Mittlerweile unterzeichneten über 630.000 Menschen das Manifest. Auch Tino Chrupalla, Bundessprecher der AfD, unterzeichnete das Dokument.

Besorgte Stimmen rechneten beim „Aufstand für Frieden“ mit einem Aufeinandertreffen extremistischer Gruppierungen von rechts und links, da das Manifest bei beiden Strömungen Anklang gefunden hatte. „Aufstand für Frieden“ bat im Voraus, auf das Mitbringen von Partei- und Nationalfahnen jeder Art zu verzichten. Besonders rechtsextreme Flaggen, Embleme und Symbole hätten auf der Kundgebung keinen Platz.

Im Gegensatz zum gestrigen Tag, an dem auch das Brandenburger Tor in den Farben der ukrainischen Flagge angestrahlt worden ist, ist keine ukrainische Flagge im Wind zu sehen, entgegen der ursprünglichen Befürchtungen aber auch keine rechtsextremen Banner oder das Z-Symbol der Befürworter des russischen Angriffs. Auf den Plakaten steht „Not our war“ oder „Keine Waffen an die Ukraine, Diplomatie sofort“. In Redepausen rufen die Menschen „Keine Waffen, Frieden schaffen“.

Demonstrierende beim „Aufstand für Frieden“
Demonstrierende beim „Aufstand für Frieden“Markus Wächter/Berliner Zeitung

Frieden statt Waffenlieferungen

Um 14.15 Uhr eröffnet Alice Schwarzer die Kundgebung. „Wir sind so glücklich euch zu sehen“, sagt Schwarzer. Die Menge jubelt. Sie berichtet davon, dass sie Sahra Wagenknecht erst einen Tag vor Veröffentlichung des Manifests für den Frieden persönlich kennengelernt hat. Schon im Januar habe sie sich an die Linke-Politikern gewendet, da „endlich etwas getan werden muss“. Sahra Wagenknecht pflichtet ihrer Verbündeten bei: „Die Friedensbewegung muss wieder auf die Straße.“ Die Forderungen der beiden Frauen sind deutlich – Waffenlieferungen müssen gestoppt und Friedensverhandlungen geführt werden.

Tausende Menschen haben sich am Samstag zur Kundgebung am Brandenburger Tor versammelt.
Tausende Menschen haben sich am Samstag zur Kundgebung am Brandenburger Tor versammelt.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Die Teilnehmer der Kundgebung sind ähnlich bunt zusammengestellt wie die Befürworter des Manifests: von Linken und Pazifisten hin zu AfD-Politkern und Rechtsextremen. Laut Polizeisprecherin Dierschke lasse sich der überwiegende Großteil der Teilnehmer jedoch der „bürgerlichen Mitte“ zuordnen. Zu Ausschreitungen kam es laut Dierschke nicht. Das mag auch an der hohen Polizeipräsenz gelegen haben, mehr als 1400 Beamten waren in der gesamten Innenstadt im Einsatz. Bei der Demonstration am Vortrag, an der nach Angaben der Polizei 10.000 Personen teilnahmen, waren 800 Polizisten im Einsatz.

Der dritte Weltkrieg „steht kurz bevor“

Anschließend folgt eine digitale Begrüßungsrede durch den amerikanischen Ökonomen Jeffrey Sachs, der bereits im Juni 2022 einen offenen Brief unterzeichnete und zum Waffenstillstand aufrief. Die Teilnehmer sind begeistert, dass selbst ein Amerikaner ganz offen für das Ende des Kriegs wirbt. Sachs spricht auch über die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines: „Die USA hat diese Pipelines zerstört.“ Er ist der Meinung, dass die roten Linien auf beiden Seiten nicht überschritten werden dürfen. Eine Teilnehmerin klatscht Beifall und sagt: „Der hat die Klarsicht, die unseren Politikern fehlt.“

Corinna Kirchhoff, Schauspielerin und Unterstützerin des Manifests, spricht zwar nicht über die USA, aber über Olaf Scholz. Der müsse „in die Pflicht genommen werden“, da sich Europa auf der „Rutschbahn in den nächsten Krieg befinde“. Der Beginn eines dritten Weltkriegs stehe kurz bevor und nur mithilfe von Friedensverhandlungen könne man diese Entwicklung laut Kirchhoff noch stoppen. Ihre Ausführung wird von tosendem Applaus begleitet.

Europa stehen dunkle Zeiten bevor

Sowohl Publizist Hans-Peter Waldrich als auch Brigadegeneral Erich Vad schließen sich dieser Weltkriegsprognose an. Jeder weitere Tag des Krieges produziert weitere „Leichenberge“, so Waldrich. Zudem sei die Geschichte der atomaren Abschreckung ein „Ammenmärchen“ und führe nur dazu, dass der Krieg auch in Europa Einzug halte. Die westliche Welt provoziere diese Eskalation geradezu, indem sie weiter „Tötungsgeräte und Mordwerkzeuge“ liefere. Erich Vad sieht das ganz ähnlich und spricht von einem absoluten politischen Militarismus in Europa. Seiner Meinung nach können „Waffenlieferungen den Ukrainern leider nicht helfen“. Ohne Friedensverhandlungen drohe Europa zum „Kriegsschauplatz“ zu werden.

In unmittelbarer Entfernung haben sich Gegendemonstranten positioniert, allerdings befinden sich diese in starker Unterzahl. Ihr Motto: „Gerade denken gegen Querdenken und Rechts-Querfront stoppen“. Die Veranstaltung beginnt zeitgleich mit der „Friedenskundgebung“ von Wagenknecht und Schwarzer. Zudem versammelten sich ab 15.30 Uhr Personen vor der russischen Botschaft Unter den Linden und stellten die Frage: „Solidarität mit Ukrainern – Ernst gemeint? Dann hört Ihnen zu, nicht Wagenknecht.“

Wagenknecht rechnet mit der Bundesregierung ab

Nun tritt Sahra Wagenknecht erneut ans Rednerpult, begleitet von tosendem Applaus. Sie sagt: „Von jetzt an werden wir unsere Stimmen so laut erheben, dass uns keiner mehr übersehen kann.“ Von rechten Gruppierungen distanziert sich Wagenknecht, dennoch spricht sie von einer kranken Debatte, die in Deutschland geführt werde. Das Niveau politischer Diskussionen sei verloren gegangen. Die Regierung sei mittlerweile so „kriegsbesoffen“, dass sie die unmittelbare Gefahr eines Atomkriegs nicht mehr sehe. Außenministerin Annalena Baerbock bezeichnet Wagenknecht als „Elefant im Porzellanladen“, Anton Hofreiter nennt sie „Panzertoni“ und Marie-Agnes Strack-Zimmermann sei eine „Rüstungslobbyistin“. Die Teilnehmer der Demonstration rufen und applaudieren.

Die letzte Rede an diesem verschneiten Samstagnachmittag hält Frauenrechtlerin Alice Schwarzer. Einige Teilnehmer verlassen das Gelände bereits. Also versucht Schwarzer die Anwesenden zum Bleiben zu bewegen und sagt: „Die Nennung des Namens Annalena Baerbock ist hier eine sichere Bank, das hab ich schon gemerkt.“ Gleich darauf rufen die Demonstranten: „Baerbock weg! Baerbock weg!“ Dem Atomtod sei man momentan so nah wie noch nie zuvor, denn Russland führe einen „Stellvertreterkrieg mit den USA“. Sie beendet ihre Rede mit den Worten: „Wir lassen uns nicht einschüchtern.“


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