Aktivistin zum zweiten Mal vor Gericht: „Der Klimawandel ist radikal, nicht ich“
Berlin: Siebenmal soll sich die Angeklagte bei Aktionen der Letzten Generation auf die Straße gesetzt haben. Ein Polizist hat offenbar eine Akte manipuliert.

Die Angeklagte gesteht, ohne Umschweife. Ja, sie habe siebenmal bei Protesten der Letzten Generation auf der Fahrbahn gesessen. Festgeklebt hat sie sich auch. Sie ist wegen Nötigung im Straßenverkehr und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt. „Der Klimawandel ist radikal, nicht ich“, sagt sie.
Zwei der Strafbefehle stellt die Richterin zu Beginn der Verhandlung am Freitagvormittag im Amtsgericht in Moabit ein. Wie sich später herausstellt, war das mit der Staatsanwaltschaft so abgesprochen, sofern die Angeklagte sich auf diese Weise einlässt. Damals, im Februar 2022, war Helga H. laut Anklageschrift noch nicht festgeklebt.
Das Gericht verurteilte Helga H. bereits im November 2022 wegen drei Straßenblockaden. Damals zahlte sie eine Strafe von 1350 Euro. An diesem Freitag fällt im Amtsgericht Tiergarten noch kein Urteil. Ein Polizist hat offenbar ein Foto in der Akte an einer bestimmten Stelle geschwärzt, wie der Verteidiger feststellt: Ein Busfahrer hatte bei einer der Blockaden über die Anzeige ein „Danke“ aufleuchten lassen, dieser Schriftzug war auf dem Foto nicht mehr zu sehen. Voraussichtlich sei das für das Urteil nicht entscheidend, deutet die Richterin an. Dennoch könnten sich die Umstände durch die Befragung des Polizisten als Zeugen ändern. Der Verteidiger führt an, dass es möglich sei, dass der Polizist auch noch andere Änderungen vorgenommen habe.
Seit mehreren Wochen laufen nun die Verfahren gegen die Klimaaktivisten. In dieser Woche bekam ein Verfahren in Süddeutschland besonders viel Aufmerksamkeit, weil die Angeklagten derzeit zu einem privaten Urlaub in Thailand weilen. Die Berliner Staatsanwaltschaft habe derweil inzwischen 1100 Verfahren zu den Aktionen von Klimademonstranten auf den Tisch bekommen. Das teilte die Senatsjustizverwaltung Anfang Januar mit. Offen sind nach den Angaben derzeit 164 Verfahren. 130 Fälle seien eingestellt worden, etwa weil Beweise nicht ausreichen.
Gründerin des Verbands der Unverpackt-Läden
Zu Beginn des Prozesses in Moabit liest die 56-Jährige eine Stellungnahme vor, die sich vor allem auf ihre Motivation bezieht. „Ich habe Angst, dass wir die Kipppunkte erreichen“, sagt sie. Helga H. sagt auch, dass sie sich gegen Massentierhaltung einsetze, vegetarisch ernähre und den Verein Unverpackt e.V. mitgegründet habe. Trotzdem produziere die Gesellschaft weiterhin so viele Fleischprodukte und Verpackungsmüll „wie nie“. Sie könne verstehen, dass die Autofahrer genervt seien. „Und es tut mir auch leid, dass ich den Polizisten Arbeit mache.“ Der „Feueralarm“ der Letzten Generation sei nervig, aber notwendig.
Vier Zeugen entlässt die Richterin wegen der Geständnisse ohne Aussage, ein Zeuge fehlt unentschuldigt. Im Verfahren geht es überwiegend um den 4. Juli 2022 und die Blockade bei einer Autobahnausfahrt. Neben dem Bus, der „Danke“ auf der Anzeigetafel leuchten ließ, stand auch ein Feuerwehrauto in der Schlange der Wartenden. Helga H. sagt, dass der linke Fahrstreifen frei war und sie sich wunderte, dass das Rettungsfahrzeug diesen nicht nutzte.
Die beiden Polizisten, die später als Zeugen aussagen, sagen dagegen aus, dass die „ganze Straße dicht“ gewesen sei. Allerdings sei es bei solchen Blockaden durchaus üblich, dass nicht alle Personen festgeklebt sind. Wegen des Festklebens habe der Kollege sie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung angezeigt. Eine Tube Sekundenkleber lag vor ihr, zwei weitere haben Beamte bei der Durchsuchung gefunden.
Laut der Angeklagten begannen die Polizisten an diesem Tag erst nach über einer Stunde, die Aktivisten abzulösen und wegzutragen. Warum, wisse sie nicht, möglicherweise aber, weil die Zeitung Die Welt noch Fotos machte, vermutet sie. Nach dem Ablösen verlasse sie die Fahrbahn außerdem immer selbstständig, sagt Helga H. Der Prozess wird am 17. Februar um 13.30 Uhr fortgesetzt.